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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den
Befreier empfing; es ward üblich ihn zu verehren unter dem Na-
men des neuen Bakchos, in dem wie in dem göttlichen Indier-
sieger Asien und Hellas sich abermals begegneten. Die Städte und
Inseln sandten wo er hinkam ihm Boten entgegen ,den rettenden
Gott' zu sich einzuladen und festlich gekleidet strömte die Bür-
gerschaft vor die Thore ihn zu empfangen. Einzelne Orte lieferten
die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere gebunden an den
König ein, so Laodikeia den Commandanten der Stadt Quintus
Oppius, Mytilene auf Lesbos den Consul Manius Aquillius *. Die
ganze Wuth des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in
seine Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber
des Krieges. Bald zu Fuss angefesselt an einen gewaltigen berit-
tenen Bastarner, bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen
Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien
geführt; als endlich das arme Schaustück wieder am königlichen
Hof in Pergamon anlangte, ward auf Befehl des Königs, um seine
Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe, zu sättigen,
ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, bis er unter Qua-
len den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn,
der allein hinreicht seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe
der adlichen Männer. Von Ephesos aus erliess König Mithradates
an alle von ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl an
einem und demselben Tage sämmtliche in ihrem Bezirk sich auf-
haltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Ge-
schlechts und des Alters zu tödten und bei schwerer Strafe einem
der Verfehmten zur Rettung behülflich zu sein, die Leichen der Er-
schlagenen den Vögeln zum Frass hinzuwerfen, die Habe einzuzie-
hen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur Hälfte an den König ab-
zuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit Ausnahme weniger
Bezirke, wie z. B. der Insel Kos, pünctlich vollzogen und achtzig,
nach andern Berichten hundert und funfzigtausend wenn nicht
unschuldige so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit kal-
tem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet -- eine grauen-
volle Execution, welche durch die gute Gelegenheit der Schulden
sich zu entledigen und die Willfährigkeit einer dem Sultan zu jedem
Henkerdienst bereiten Nation wenigstens ebenso sehr hervorgeru-
fen ward wie durch das damit verglichen edle Gefühl der Rache.

* Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius
traf fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithra-
dats Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.
Röm. Gesch. II. 18

DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den
Befreier empfing; es ward üblich ihn zu verehren unter dem Na-
men des neuen Bakchos, in dem wie in dem göttlichen Indier-
sieger Asien und Hellas sich abermals begegneten. Die Städte und
Inseln sandten wo er hinkam ihm Boten entgegen ‚den rettenden
Gott‘ zu sich einzuladen und festlich gekleidet strömte die Bür-
gerschaft vor die Thore ihn zu empfangen. Einzelne Orte lieferten
die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere gebunden an den
König ein, so Laodikeia den Commandanten der Stadt Quintus
Oppius, Mytilene auf Lesbos den Consul Manius Aquillius *. Die
ganze Wuth des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in
seine Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber
des Krieges. Bald zu Fuſs angefesselt an einen gewaltigen berit-
tenen Bastarner, bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen
Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien
geführt; als endlich das arme Schaustück wieder am königlichen
Hof in Pergamon anlangte, ward auf Befehl des Königs, um seine
Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaſst habe, zu sättigen,
ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, bis er unter Qua-
len den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn,
der allein hinreicht seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe
der adlichen Männer. Von Ephesos aus erlieſs König Mithradates
an alle von ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl an
einem und demselben Tage sämmtliche in ihrem Bezirk sich auf-
haltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Ge-
schlechts und des Alters zu tödten und bei schwerer Strafe einem
der Verfehmten zur Rettung behülflich zu sein, die Leichen der Er-
schlagenen den Vögeln zum Fraſs hinzuwerfen, die Habe einzuzie-
hen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur Hälfte an den König ab-
zuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit Ausnahme weniger
Bezirke, wie z. B. der Insel Kos, pünctlich vollzogen und achtzig,
nach andern Berichten hundert und funfzigtausend wenn nicht
unschuldige so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit kal-
tem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet — eine grauen-
volle Execution, welche durch die gute Gelegenheit der Schulden
sich zu entledigen und die Willfährigkeit einer dem Sultan zu jedem
Henkerdienst bereiten Nation wenigstens ebenso sehr hervorgeru-
fen ward wie durch das damit verglichen edle Gefühl der Rache.

* Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius
traf fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithra-
dats Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab.
Röm. Gesch. II. 18
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[273/0283] DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem Jubel, der den Befreier empfing; es ward üblich ihn zu verehren unter dem Na- men des neuen Bakchos, in dem wie in dem göttlichen Indier- sieger Asien und Hellas sich abermals begegneten. Die Städte und Inseln sandten wo er hinkam ihm Boten entgegen ‚den rettenden Gott‘ zu sich einzuladen und festlich gekleidet strömte die Bür- gerschaft vor die Thore ihn zu empfangen. Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden römischen Offiziere gebunden an den König ein, so Laodikeia den Commandanten der Stadt Quintus Oppius, Mytilene auf Lesbos den Consul Manius Aquillius *. Die ganze Wuth des Barbaren, der den, vor dem er gezittert hat, in seine Macht bekommt, entlud sich über den unglücklichen Urheber des Krieges. Bald zu Fuſs angefesselt an einen gewaltigen berit- tenen Bastarner, bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien geführt; als endlich das arme Schaustück wieder am königlichen Hof in Pergamon anlangte, ward auf Befehl des Königs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlaſst habe, zu sättigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, bis er unter Qua- len den Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der allein hinreicht seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der adlichen Männer. Von Ephesos aus erlieſs König Mithradates an alle von ihm abhängigen Statthalter und Städte den Befehl an einem und demselben Tage sämmtliche in ihrem Bezirk sich auf- haltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Ge- schlechts und des Alters zu tödten und bei schwerer Strafe einem der Verfehmten zur Rettung behülflich zu sein, die Leichen der Er- schlagenen den Vögeln zum Fraſs hinzuwerfen, die Habe einzuzie- hen und sie zur Hälfte an die Mörder, zur Hälfte an den König ab- zuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit Ausnahme weniger Bezirke, wie z. B. der Insel Kos, pünctlich vollzogen und achtzig, nach andern Berichten hundert und funfzigtausend wenn nicht unschuldige so doch wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit kal- tem Blut an einem Tage in Kleinasien geschlachtet — eine grauen- volle Execution, welche durch die gute Gelegenheit der Schulden sich zu entledigen und die Willfährigkeit einer dem Sultan zu jedem Henkerdienst bereiten Nation wenigstens ebenso sehr hervorgeru- fen ward wie durch das damit verglichen edle Gefühl der Rache. * Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf fünfundzwanzig Jahre später die Vergeltung, indem sie nach Mithra- dats Tode dessen Sohn Pharnakes an die Römer übergab. Röm. Gesch. II. 18

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/283>, abgerufen am 22.11.2024.