Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. banthal, zur See mit ihrer Flotte das schwarze Meer beherrscht;allein Pantikapaeon war nicht mehr was es gewesen war. Nir- gends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der führenden Macht erfüllte, die den Athenern aller- dings auch durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahe gelegt wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im Ganzen sich selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt ernstlich hier ein- zugreifen, obwohl Philippos der Vater Alexanders und Lysima- chos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Civilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot des Vortheils wie der Ehre. Der Fall von Si- nope, das Sinken von Rhodos vollendete die Isolirung der Hel- lenen am Nordgestade des schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber giebt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dniepermündung bei Oczakow), die etwa um diese Zeit fallen mag. Die Bürgerschaft muss dem Barbarenkönig nicht bloss jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel, wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankerott und man muss die Weihgeschenke zum Pfand setzen. Inzwischen drängen draussen vor den Thoren sich die Stämme: das Gebiet wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja was das Aergste ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so dass zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran denkt sie ganz aufzugeben. -- Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Thäler des Kuban und Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte. Es war kein Wunder, dass die Hellenen, wie es schon in Dios- kurias geschehen war, auch hier überall den pontischen König mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und sei- nen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. banthal, zur See mit ihrer Flotte das schwarze Meer beherrscht;allein Pantikapaeon war nicht mehr was es gewesen war. Nir- gends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die Pflichten der führenden Macht erfüllte, die den Athenern aller- dings auch durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahe gelegt wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im Ganzen sich selbst überlassen. Die griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt ernstlich hier ein- zugreifen, obwohl Philippos der Vater Alexanders und Lysima- chos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Civilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten völlig das Gebot des Vortheils wie der Ehre. Der Fall von Si- nope, das Sinken von Rhodos vollendete die Isolirung der Hel- lenen am Nordgestade des schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber giebt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der Dniepermündung bei Oczakow), die etwa um diese Zeit fallen mag. Die Bürgerschaft muſs dem Barbarenkönig nicht bloſs jährlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel, wenn die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankerott und man muſs die Weihgeschenke zum Pfand setzen. Inzwischen drängen drauſsen vor den Thoren sich die Stämme: das Gebiet wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja was das Aergste ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die Skythen suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so daſs zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran denkt sie ganz aufzugeben. — Diese Zustände fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm des Kaukasus überschreitend hinabstieg in die Thäler des Kuban und Terek und gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte. Es war kein Wunder, daſs die Hellenen, wie es schon in Dios- kurias geschehen war, auch hier überall den pontischen König mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und sei- nen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0272" n="262"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.</fw><lb/> banthal, zur See mit ihrer Flotte das schwarze Meer beherrscht;<lb/> allein Pantikapaeon war nicht mehr was es gewesen war. Nir-<lb/> gends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den<lb/> traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner<lb/> guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die<lb/> Pflichten der führenden Macht erfüllte, die den Athenern aller-<lb/> dings auch durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders<lb/> nahe gelegt wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an<lb/> blieben diese Landschaften im Ganzen sich selbst überlassen. Die<lb/> griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt ernstlich hier ein-<lb/> zugreifen, obwohl Philippos der Vater Alexanders und Lysima-<lb/> chos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche<lb/> mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische<lb/> Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Civilisation<lb/> dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten<lb/> völlig das Gebot des Vortheils wie der Ehre. Der Fall von Si-<lb/> nope, das Sinken von Rhodos vollendete die Isolirung der Hel-<lb/> lenen am Nordgestade des schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild<lb/> ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber giebt uns eine<lb/> Inschrift von Olbia (unweit der Dniepermündung bei Oczakow),<lb/> die etwa um diese Zeit fallen mag. Die Bürgerschaft muſs dem<lb/> Barbarenkönig nicht bloſs jährlichen Zins an sein Hoflager<lb/> schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder<lb/> auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise<lb/> auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der<lb/> Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel, wenn<lb/> die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankerott<lb/> und man muſs die Weihgeschenke zum Pfand setzen. Inzwischen<lb/> drängen drauſsen vor den Thoren sich die Stämme: das Gebiet<lb/> wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja was<lb/> das Aergste ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die<lb/> Skythen suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich<lb/> selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so<lb/> daſs zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran<lb/> denkt sie ganz aufzugeben. — Diese Zustände fand Mithradates<lb/> vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm des Kaukasus<lb/> überschreitend hinabstieg in die Thäler des Kuban und Terek und<lb/> gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte.<lb/> Es war kein Wunder, daſs die Hellenen, wie es schon in Dios-<lb/> kurias geschehen war, auch hier überall den pontischen König<lb/> mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und sei-<lb/> nen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [262/0272]
VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
banthal, zur See mit ihrer Flotte das schwarze Meer beherrscht;
allein Pantikapaeon war nicht mehr was es gewesen war. Nir-
gends empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den
traurigen Rückgang der hellenischen Nation. Athen in seiner
guten Zeit ist der einzige Griechenstaat gewesen, der hier die
Pflichten der führenden Macht erfüllte, die den Athenern aller-
dings auch durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders
nahe gelegt wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an
blieben diese Landschaften im Ganzen sich selbst überlassen. Die
griechischen Landmächte sind nie dazu gelangt ernstlich hier ein-
zugreifen, obwohl Philippos der Vater Alexanders und Lysima-
chos einigemal dazu ansetzten; und auch die Römer, auf welche
mit der Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische
Verpflichtung überging, hier, wo die griechische Civilisation
dessen bedurfte, ihr starker Schild zu sein, vernachlässigten
völlig das Gebot des Vortheils wie der Ehre. Der Fall von Si-
nope, das Sinken von Rhodos vollendete die Isolirung der Hel-
lenen am Nordgestade des schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild
ihrer Lage den schweifenden Barbaren gegenüber giebt uns eine
Inschrift von Olbia (unweit der Dniepermündung bei Oczakow),
die etwa um diese Zeit fallen mag. Die Bürgerschaft muſs dem
Barbarenkönig nicht bloſs jährlichen Zins an sein Hoflager
schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der Stadt lagert oder
auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in ähnlicher Weise
auch geringere Häuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der
Barbaren mit Geschenken abfinden, und es geht ihr übel, wenn
die Gabe zu geringfügig erscheint. Die Stadtkasse ist bankerott
und man muſs die Weihgeschenke zum Pfand setzen. Inzwischen
drängen drauſsen vor den Thoren sich die Stämme: das Gebiet
wird verwüstet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja was
das Aergste ist, die schwächeren der barbarischen Nachbarn, die
Skythen suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich
selber zu bergen, der ummauerten Stadt sich zu bemächtigen, so
daſs zahlreiche Bürger dieselbe verlassen und man schon daran
denkt sie ganz aufzugeben. — Diese Zustände fand Mithradates
vor, als seine makedonische Phalanx den Kamm des Kaukasus
überschreitend hinabstieg in die Thäler des Kuban und Terek und
gleichzeitig seine Flotte in den Gewässern der Krim sich zeigte.
Es war kein Wunder, daſs die Hellenen, wie es schon in Dios-
kurias geschehen war, auch hier überall den pontischen König
mit offenen Armen empfingen und in dem Halbhellenen und sei-
nen griechisch gerüsteten Kappadokiern ihre Befreier sahen. Es
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |