Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den König sich auf-lehnten und endlich dieser Bruder ihn stürzte und tödten liess, gab der König von Armenien Tigranes (reg. seit 660) den asia- tischen Verhältnissen eine ganz andere Gestalt. Armenien, das seit seiner Selbstständigkeitserklärung in die nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, getheilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes zum ersten- mal zu einem Königreich vereinigt, und theils diese Machtverdop- pelung, theils die Schwäche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich nicht bloss aus der Clientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie abgetre- tenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das Ober- königthum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Se- leukiden und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu bringen. -- In Kleinasien endlich bestand die Län- dertheilung, wie sie nach Auflösung des attalischen Reiches unter römischer Einwirkung festgestellt worden war (S. 52), wesent- lich ungeändert; ausser dass Grossphrygien, nachdem Gaius Gracchus die Verhandlungen zwischen Mithradates Euergetes und dem Consul Aquillius aufgedeckt hatte (S. 109), dem König von Pontos wieder entzogen und als freie Landschaft mit der römi- schen Provinz Asia, wie Hellas mit Makedonien, verbunden worden war (um 634). In dem Zustande der Clientelstaaten, der Kö- nigreiche Bithynien, Kappadokien, Pontos, der Fürstenthümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen Städtebünde und Freistädte, war eine äusserliche Umänderung zunächst nicht wahr- zunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Theils durch die natürliche Steigerung des tyrannischen Regiments, theils durch die mittelbare Einwirkung der römischen Revolution -- man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigenthums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner daselbst nebenbei betrieben -- ward der schon von Haus aus schwere Druck der römischen Herrschaft in einer Weise erhöht, dass weder die Königskrone noch die Bauernhütte mehr sicher war vor Confiscation, dass jeder Halm für den römischen Zehnt- herrn zu wachsen, jedes Kind freier Aeltern für die römischen Sclavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der Asiate in seiner unerschöpflichen Passivität auch diese Qual; allein es war nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den König sich auf-lehnten und endlich dieser Bruder ihn stürzte und tödten lieſs, gab der König von Armenien Tigranes (reg. seit 660) den asia- tischen Verhältnissen eine ganz andere Gestalt. Armenien, das seit seiner Selbstständigkeitserklärung in die nordöstliche Hälfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die südwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, getheilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes zum ersten- mal zu einem Königreich vereinigt, und theils diese Machtverdop- pelung, theils die Schwäche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen König von ganz Armenien möglich nicht bloſs aus der Clientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie abgetre- tenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das Ober- königthum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Se- leukiden und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an Armenien zu bringen. — In Kleinasien endlich bestand die Län- dertheilung, wie sie nach Auflösung des attalischen Reiches unter römischer Einwirkung festgestellt worden war (S. 52), wesent- lich ungeändert; auſser daſs Groſsphrygien, nachdem Gaius Gracchus die Verhandlungen zwischen Mithradates Euergetes und dem Consul Aquillius aufgedeckt hatte (S. 109), dem König von Pontos wieder entzogen und als freie Landschaft mit der römi- schen Provinz Asia, wie Hellas mit Makedonien, verbunden worden war (um 634). In dem Zustande der Clientelstaaten, der Kö- nigreiche Bithynien, Kappadokien, Pontos, der Fürstenthümer Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen Städtebünde und Freistädte, war eine äuſserliche Umänderung zunächst nicht wahr- zunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Theils durch die natürliche Steigerung des tyrannischen Regiments, theils durch die mittelbare Einwirkung der römischen Revolution — man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigenthums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die römischen Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner daselbst nebenbei betrieben — ward der schon von Haus aus schwere Druck der römischen Herrschaft in einer Weise erhöht, daſs weder die Königskrone noch die Bauernhütte mehr sicher war vor Confiscation, daſs jeder Halm für den römischen Zehnt- herrn zu wachsen, jedes Kind freier Aeltern für die römischen Sclavenzwinger geboren zu werden schien. 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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den König sich auf-
lehnten und endlich dieser Bruder ihn stürzte und tödten lieſs,
gab der König von Armenien Tigranes (reg. seit 660) den asia-
tischen Verhältnissen eine ganz andere Gestalt. Armenien, das
seit seiner Selbstständigkeitserklärung in die nordöstliche Hälfte
oder das eigentliche Armenien, das Reich der Artaxiaden, und die
südwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden, getheilt
gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes zum ersten-
mal zu einem Königreich vereinigt, und theils diese Machtverdop-
pelung, theils die Schwäche der parthischen Herrschaft machten
es dem neuen König von ganz Armenien möglich nicht bloſs aus
der Clientel der Parther sich zu lösen und die früher an sie abgetre-
tenen Landschaften zurückzugewinnen, sondern sogar das Ober-
königthum von Asien, wie es von den Achämeniden auf die Se-
leukiden und von diesen auf die Arsakiden übergegangen war, an
Armenien zu bringen. — In Kleinasien endlich bestand die Län-
dertheilung, wie sie nach Auflösung des attalischen Reiches unter
römischer Einwirkung festgestellt worden war (S. 52), wesent-
lich ungeändert; auſser daſs Groſsphrygien, nachdem Gaius
Gracchus die Verhandlungen zwischen Mithradates Euergetes und
dem Consul Aquillius aufgedeckt hatte (S. 109), dem König von
Pontos wieder entzogen und als freie Landschaft mit der römi-
schen Provinz Asia, wie Hellas mit Makedonien, verbunden worden
war (um 634). In dem Zustande der Clientelstaaten, der Kö-
nigreiche Bithynien, Kappadokien, Pontos, der Fürstenthümer
Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen Städtebünde und
Freistädte, war eine äuſserliche Umänderung zunächst nicht wahr-
zunehmen. Innerlich hatte dagegen der Charakter der römischen
Herrschaft allerdings überall sich wesentlich umgestaltet. Theils
durch die natürliche Steigerung des tyrannischen Regiments,
theils durch die mittelbare Einwirkung der römischen Revolution
— man erinnere sich an die Einziehung des Bodeneigenthums
in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die römischen
Zehnten und Zölle und an die Menschenjagden, die die Zöllner
daselbst nebenbei betrieben — ward der schon von Haus aus
schwere Druck der römischen Herrschaft in einer Weise erhöht,
daſs weder die Königskrone noch die Bauernhütte mehr sicher
war vor Confiscation, daſs jeder Halm für den römischen Zehnt-
herrn zu wachsen, jedes Kind freier Aeltern für die römischen
Sclavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der
Asiate in seiner unerschöpflichen Passivität auch diese Qual;
allein es war nicht Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen
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