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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
selben; auch die Reform von 513 hatte die Bevorzugung der Ver-
mögenden wohl beschränkt, aber doch streng daran festgehalten
den unter 11000 Sesterzen (786 Thlr.) abgeschätzten Bürgern
keinerlei Einfluss auf die Wahlen zu gestatten. Schon wegen der
ungeheuren finanziellen Umwandlung, die inzwischen eingetreten
war und selbst eine nominelle Erhöhung des Minimalcensus ge-
rechtfertigt haben würde, konnte man auch von dieser Massregel
sagen, dass sie den Buchstaben der Verfassung dem Geiste dersel-
ben opferte und dem schändlichen Stimmenkauf sammt allem was
daran hing in der möglichst milden Form zu wehren wenigstens
versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner,
die Wiederaufnahme der Colonisationspläne gaben den redenden
Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war Sulpicius
leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und
wie Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht überse-
hen werden darf, dass er diese Massregeln nach dem Siege und
durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiemit verbindet, dass
Sulla die hauptsächlichen Fundamente der gracchischen Verfas-
sung bestehen liess und weder an den Rittergerichten noch an
den Kornvertheilungen rüttelte, so wird man das Urtheil gerecht-
fertigt finden, dass die sullanische Ordnung von 666 den seit dem
Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich fest-
hielt und nur theils die der bestehenden Verfassung zunächst Gefahr
drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäss änderte, theils den
vorhandenen socialen Uebeln nach Kräften abzuhelfen suchte,
so weit beides sich thun liess ohne die tieferliegenden Schäden
zu berühren. Energische Verachtung des constitutionellen For-
malismus in Verbindung mit ernstem verfassungstreuem Sinn,
klare Einsichten und löbliche Absichten bezeichnen durchaus diese
Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse Leichtfertigkeit und
Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter Wille dazu
gehörte um zu glauben, dass das Vorberathungsrecht des Senats
gegen die künftige Demagogie sich widerstandsfähiger erweisen
werde als das Intercessionsrecht und die Religion.

In der That stiegen an dem reinen Himmel der Conserva-
tiven sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse
nahmen einen immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der
Staat dadurch, dass die sulpicische Revolution den Abgang des
Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden er-
litten; die Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben
werden. Inzwischen hoffte Sulla theils in den Consuln, die nach

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
selben; auch die Reform von 513 hatte die Bevorzugung der Ver-
mögenden wohl beschränkt, aber doch streng daran festgehalten
den unter 11000 Sesterzen (786 Thlr.) abgeschätzten Bürgern
keinerlei Einfluſs auf die Wahlen zu gestatten. Schon wegen der
ungeheuren finanziellen Umwandlung, die inzwischen eingetreten
war und selbst eine nominelle Erhöhung des Minimalcensus ge-
rechtfertigt haben würde, konnte man auch von dieser Maſsregel
sagen, daſs sie den Buchstaben der Verfassung dem Geiste dersel-
ben opferte und dem schändlichen Stimmenkauf sammt allem was
daran hing in der möglichst milden Form zu wehren wenigstens
versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner,
die Wiederaufnahme der Colonisationspläne gaben den redenden
Beweis, daſs Sulla, wenn er auch nicht gemeint war Sulpicius
leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und
wie Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den
materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht überse-
hen werden darf, daſs er diese Maſsregeln nach dem Siege und
durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiemit verbindet, daſs
Sulla die hauptsächlichen Fundamente der gracchischen Verfas-
sung bestehen lieſs und weder an den Rittergerichten noch an
den Kornvertheilungen rüttelte, so wird man das Urtheil gerecht-
fertigt finden, daſs die sullanische Ordnung von 666 den seit dem
Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich fest-
hielt und nur theils die der bestehenden Verfassung zunächst Gefahr
drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäſs änderte, theils den
vorhandenen socialen Uebeln nach Kräften abzuhelfen suchte,
so weit beides sich thun lieſs ohne die tieferliegenden Schäden
zu berühren. Energische Verachtung des constitutionellen For-
malismus in Verbindung mit ernstem verfassungstreuem Sinn,
klare Einsichten und löbliche Absichten bezeichnen durchaus diese
Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse Leichtfertigkeit und
Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter Wille dazu
gehörte um zu glauben, daſs das Vorberathungsrecht des Senats
gegen die künftige Demagogie sich widerstandsfähiger erweisen
werde als das Intercessionsrecht und die Religion.

In der That stiegen an dem reinen Himmel der Conserva-
tiven sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse
nahmen einen immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der
Staat dadurch, daſs die sulpicische Revolution den Abgang des
Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden er-
litten; die Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben
werden. Inzwischen hoffte Sulla theils in den Consuln, die nach

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[250/0260] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. selben; auch die Reform von 513 hatte die Bevorzugung der Ver- mögenden wohl beschränkt, aber doch streng daran festgehalten den unter 11000 Sesterzen (786 Thlr.) abgeschätzten Bürgern keinerlei Einfluſs auf die Wahlen zu gestatten. Schon wegen der ungeheuren finanziellen Umwandlung, die inzwischen eingetreten war und selbst eine nominelle Erhöhung des Minimalcensus ge- rechtfertigt haben würde, konnte man auch von dieser Maſsregel sagen, daſs sie den Buchstaben der Verfassung dem Geiste dersel- ben opferte und dem schändlichen Stimmenkauf sammt allem was daran hing in der möglichst milden Form zu wehren wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen zu Gunsten der Schuldner, die Wiederaufnahme der Colonisationspläne gaben den redenden Beweis, daſs Sulla, wenn er auch nicht gemeint war Sulpicius leidenschaftlichen Anträgen beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus, wie überhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an sich geneigt war; wobei nicht überse- hen werden darf, daſs er diese Maſsregeln nach dem Siege und durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiemit verbindet, daſs Sulla die hauptsächlichen Fundamente der gracchischen Verfas- sung bestehen lieſs und weder an den Rittergerichten noch an den Kornvertheilungen rüttelte, so wird man das Urtheil gerecht- fertigt finden, daſs die sullanische Ordnung von 666 den seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo wesentlich fest- hielt und nur theils die der bestehenden Verfassung zunächst Gefahr drohenden überlieferten Satzungen zeitgemäſs änderte, theils den vorhandenen socialen Uebeln nach Kräften abzuhelfen suchte, so weit beides sich thun lieſs ohne die tieferliegenden Schäden zu berühren. Energische Verachtung des constitutionellen For- malismus in Verbindung mit ernstem verfassungstreuem Sinn, klare Einsichten und löbliche Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter Wille dazu gehörte um zu glauben, daſs das Vorberathungsrecht des Senats gegen die künftige Demagogie sich widerstandsfähiger erweisen werde als das Intercessionsrecht und die Religion. In der That stiegen an dem reinen Himmel der Conserva- tiven sehr bald neue Wolken auf. Die asiatischen Verhältnisse nahmen einen immer drohenderen Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, daſs die sulpicische Revolution den Abgang des Heeres nach Asien verzögert hatte, den schwersten Schaden er- litten; die Einschiffung konnte auf keinen Fall länger verschoben werden. Inzwischen hoffte Sulla theils in den Consuln, die nach

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/260>, abgerufen am 22.11.2024.