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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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SULPICISCHE REVOLUTION.
Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den
Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser
conservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt
auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnis-
sen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom be-
endigt worden ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern,
welche in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen die
Schuld überwunden zu sein gleichsam als ein Verbrechen büssen.
Wer sich erinnert an die prozessualischen Consequenzen, wie
sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des
Saturninus gezogen hatte (S. 85. 117. 199), der fühlt sich ge-
neigt, dem Sieger vom esquilinischen Markt das relative Lob der
Offenheit und Mässigung zu ertheilen, indem er einmal ohne viele
Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die ge-
schlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte;
zweitens die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenig-
stens das widerliche Wüthen gegen die geringen Leute nicht ge-
stattete. Eine ähnliche Mässigung zeigt sich in den politischen
Organisationen. Die wichtigste und scheinbar durchgreifendste
Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung brachte in der That nur
den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Ein-
klang. Die römische Legislation, wo jeder Consul, Praetor oder
Tribun jede beliebige Massregel bei der Bürgerschaft beantragen
und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus
aus absurd gewesen und mit der steigenden Nullität der Comitien es
immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil factisch
der Senat sich das Vorberathungsrecht vindicirt hatte und regel-
mässig jeden ohne solche Vorberathung zur Abstimmung ge-
langenden Antrag durch politische oder religiöse Intercession
gewohnt war zu ersticken (I, 200). Diese Dämme hatte die Re-
volution fortgeschwemmt und in Folge dessen fing nun jenes ab-
surde System an seine Consequenzen vollständig zu entwickeln
und jedem muthwilligen Buben den Umsturz des Staats in
formell legaler Weise möglich zu machen. Was war unter sol-
chen Umständen natürlicher, nothwendiger, im rechten Sinne
conservativer als das thatsächliche und bisher auf Umwegen rea-
lisirte Legislationsrecht des Senats jetzt förmlich und ausdrück-
lich anzuerkennen? Etwas Aehnliches gilt von der Erneuerung
des Wahlcensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf dem-

ligen oder zu verwerfen (I, 164. 193) ist von dem hier in Rede stehenden
Vorberathungsrecht des Senats durchaus verschieden.

SULPICISCHE REVOLUTION.
Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den
Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser
conservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt
auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnis-
sen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom be-
endigt worden ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern,
welche in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen die
Schuld überwunden zu sein gleichsam als ein Verbrechen büſsen.
Wer sich erinnert an die prozessualischen Consequenzen, wie
sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des
Saturninus gezogen hatte (S. 85. 117. 199), der fühlt sich ge-
neigt, dem Sieger vom esquilinischen Markt das relative Lob der
Offenheit und Mäſsigung zu ertheilen, indem er einmal ohne viele
Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die ge-
schlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte;
zweitens die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenig-
stens das widerliche Wüthen gegen die geringen Leute nicht ge-
stattete. Eine ähnliche Mäſsigung zeigt sich in den politischen
Organisationen. Die wichtigste und scheinbar durchgreifendste
Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung brachte in der That nur
den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Ein-
klang. Die römische Legislation, wo jeder Consul, Praetor oder
Tribun jede beliebige Maſsregel bei der Bürgerschaft beantragen
und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus
aus absurd gewesen und mit der steigenden Nullität der Comitien es
immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil factisch
der Senat sich das Vorberathungsrecht vindicirt hatte und regel-
mäſsig jeden ohne solche Vorberathung zur Abstimmung ge-
langenden Antrag durch politische oder religiöse Intercession
gewohnt war zu ersticken (I, 200). Diese Dämme hatte die Re-
volution fortgeschwemmt und in Folge dessen fing nun jenes ab-
surde System an seine Consequenzen vollständig zu entwickeln
und jedem muthwilligen Buben den Umsturz des Staats in
formell legaler Weise möglich zu machen. Was war unter sol-
chen Umständen natürlicher, nothwendiger, im rechten Sinne
conservativer als das thatsächliche und bisher auf Umwegen rea-
lisirte Legislationsrecht des Senats jetzt förmlich und ausdrück-
lich anzuerkennen? Etwas Aehnliches gilt von der Erneuerung
des Wahlcensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf dem-

ligen oder zu verwerfen (I, 164. 193) ist von dem hier in Rede stehenden
Vorberathungsrecht des Senats durchaus verschieden.
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[249/0259] SULPICISCHE REVOLUTION. Formen Justiz geübt, mit so rücksichtsloser Kühnheit an den Fundamenten der Verfassung gerüttelt und gemodelt wie dieser conservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnis- sen. Revolutionen sind nirgends und am wenigsten in Rom be- endigt worden ohne eine gewisse Zahl von Opfern zu fordern, welche in mehr oder minder der Justiz abgeborgten Formen die Schuld überwunden zu sein gleichsam als ein Verbrechen büſsen. Wer sich erinnert an die prozessualischen Consequenzen, wie sie die siegende Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte (S. 85. 117. 199), der fühlt sich ge- neigt, dem Sieger vom esquilinischen Markt das relative Lob der Offenheit und Mäſsigung zu ertheilen, indem er einmal ohne viele Umstände das, was Krieg war, auch als Krieg nahm und die ge- schlagenen Männer als rechtlose Feinde in die Acht erklärte; zweitens die Zahl der Opfer möglichst beschränkte und wenig- stens das widerliche Wüthen gegen die geringen Leute nicht ge- stattete. Eine ähnliche Mäſsigung zeigt sich in den politischen Organisationen. Die wichtigste und scheinbar durchgreifendste Neuerung hinsichtlich der Gesetzgebung brachte in der That nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in Ein- klang. Die römische Legislation, wo jeder Consul, Praetor oder Tribun jede beliebige Maſsregel bei der Bürgerschaft beantragen und ohne Debatte zur Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus absurd gewesen und mit der steigenden Nullität der Comitien es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen, weil factisch der Senat sich das Vorberathungsrecht vindicirt hatte und regel- mäſsig jeden ohne solche Vorberathung zur Abstimmung ge- langenden Antrag durch politische oder religiöse Intercession gewohnt war zu ersticken (I, 200). Diese Dämme hatte die Re- volution fortgeschwemmt und in Folge dessen fing nun jenes ab- surde System an seine Consequenzen vollständig zu entwickeln und jedem muthwilligen Buben den Umsturz des Staats in formell legaler Weise möglich zu machen. Was war unter sol- chen Umständen natürlicher, nothwendiger, im rechten Sinne conservativer als das thatsächliche und bisher auf Umwegen rea- lisirte Legislationsrecht des Senats jetzt förmlich und ausdrück- lich anzuerkennen? Etwas Aehnliches gilt von der Erneuerung des Wahlcensus. Die ältere Verfassung ruhte durchaus auf dem- * * ligen oder zu verwerfen (I, 164. 193) ist von dem hier in Rede stehenden Vorberathungsrecht des Senats durchaus verschieden.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/259>, abgerufen am 22.11.2024.