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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
sich wieder zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die ge-
sammte Bürgerschaft den Legionen sich entgegenzuwerfen; es
war vergebens. Selbst als die Sclaven unter dem Versprechen
der Freiheit aufgefordert wurden sich zu bewaffnen, erschienen
deren nicht mehr als drei. Es blieb den Führern nichts übrig
als eiligst durch die noch unbesetzten Thore zu entrinnen; nach
wenigen Stunden war Sulla unbeschränkter Herr von Rom. Diese
Nacht brannten die Wachtfeuer der Legionen auf dem grossen
Marktplatz der Hauptstadt.

Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Feh-
den hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die poli-
tischen Kämpfe auf dem Punct angekommen waren, wo nur noch
offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung giebt, als auch
dass die Gewalt des Knittels nichts ist gegen die Gewalt des Schwer-
tes. Es war die conservative Partei, die zuerst das Schwert ge-
zogen hatte; die entgegenstehende, die, wenn gleich ausgehend
von reformistischen und im Grunde wahrhaft conservativen Ten-
denzen, doch zuerst die Bahn der Revolution betreten hatte, war
durch das Schwert der Verfassungspartei völlig und schmäh-
lich geschlagen. Von selbst verstand es sich, dass die sulpici-
schen Gesetze als von Rechtswegen nichtig bezeichnet wurden.
Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten sich ge-
flüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als Vater-
landsfeinde bezeichnet und zur Fahndung und Hinrichtung aus-
geschrieben. Publius Sulpicius ward in Folge dessen bei Lau-
rentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte
Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf
eben derselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst
noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft ge-
standen hatte. Die andern Geächteten wurden verfolgt; auch dem
alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der
Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch
eine Kette von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo
der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der
Sieger von Vercellae und mit athemloser Spannung vernahm man
in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In
Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen um nach Africa sich ein-
zuschiffen; allein widrige Winde und Mangel an Vorräthen zwan-
gen ihn am circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück
in die Irre zu gehen. Von Wenigen begleitet und keinem Dach
sich anvertrauend gelangte der greise Consular zu Fuss, oft vom
Hunger gepeinigt, in die Nähe der römischen Colonie Minturnae

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
sich wieder zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die ge-
sammte Bürgerschaft den Legionen sich entgegenzuwerfen; es
war vergebens. Selbst als die Sclaven unter dem Versprechen
der Freiheit aufgefordert wurden sich zu bewaffnen, erschienen
deren nicht mehr als drei. Es blieb den Führern nichts übrig
als eiligst durch die noch unbesetzten Thore zu entrinnen; nach
wenigen Stunden war Sulla unbeschränkter Herr von Rom. Diese
Nacht brannten die Wachtfeuer der Legionen auf dem groſsen
Marktplatz der Hauptstadt.

Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Feh-
den hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daſs die poli-
tischen Kämpfe auf dem Punct angekommen waren, wo nur noch
offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung giebt, als auch
daſs die Gewalt des Knittels nichts ist gegen die Gewalt des Schwer-
tes. Es war die conservative Partei, die zuerst das Schwert ge-
zogen hatte; die entgegenstehende, die, wenn gleich ausgehend
von reformistischen und im Grunde wahrhaft conservativen Ten-
denzen, doch zuerst die Bahn der Revolution betreten hatte, war
durch das Schwert der Verfassungspartei völlig und schmäh-
lich geschlagen. Von selbst verstand es sich, daſs die sulpici-
schen Gesetze als von Rechtswegen nichtig bezeichnet wurden.
Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten sich ge-
flüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als Vater-
landsfeinde bezeichnet und zur Fahndung und Hinrichtung aus-
geschrieben. Publius Sulpicius ward in Folge dessen bei Lau-
rentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte
Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf
eben derselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst
noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft ge-
standen hatte. Die andern Geächteten wurden verfolgt; auch dem
alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der
Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch
eine Kette von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo
der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der
Sieger von Vercellae und mit athemloser Spannung vernahm man
in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In
Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen um nach Africa sich ein-
zuschiffen; allein widrige Winde und Mangel an Vorräthen zwan-
gen ihn am circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück
in die Irre zu gehen. Von Wenigen begleitet und keinem Dach
sich anvertrauend gelangte der greise Consular zu Fuſs, oft vom
Hunger gepeinigt, in die Nähe der römischen Colonie Minturnae

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[246/0256] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. sich wieder zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die ge- sammte Bürgerschaft den Legionen sich entgegenzuwerfen; es war vergebens. Selbst als die Sclaven unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden sich zu bewaffnen, erschienen deren nicht mehr als drei. Es blieb den Führern nichts übrig als eiligst durch die noch unbesetzten Thore zu entrinnen; nach wenigen Stunden war Sulla unbeschränkter Herr von Rom. Diese Nacht brannten die Wachtfeuer der Legionen auf dem groſsen Marktplatz der Hauptstadt. Die erste militärische Intervention in den bürgerlichen Feh- den hatte es zur vollen Evidenz gebracht, sowohl daſs die poli- tischen Kämpfe auf dem Punct angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung giebt, als auch daſs die Gewalt des Knittels nichts ist gegen die Gewalt des Schwer- tes. Es war die conservative Partei, die zuerst das Schwert ge- zogen hatte; die entgegenstehende, die, wenn gleich ausgehend von reformistischen und im Grunde wahrhaft conservativen Ten- denzen, doch zuerst die Bahn der Revolution betreten hatte, war durch das Schwert der Verfassungspartei völlig und schmäh- lich geschlagen. Von selbst verstand es sich, daſs die sulpici- schen Gesetze als von Rechtswegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten Anhänger hatten sich ge- flüchtet; sie wurden, zwölf an der Zahl, von dem Senat als Vater- landsfeinde bezeichnet und zur Fahndung und Hinrichtung aus- geschrieben. Publius Sulpicius ward in Folge dessen bei Lau- rentum ergriffen und niedergemacht und das an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf eben derselben Rednerbühne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft ge- standen hatte. Die andern Geächteten wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Mörder auf den Fersen. Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette von Erbärmlichkeiten getrübt haben mochte, jetzt, wo der Retter des Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit athemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen um nach Africa sich ein- zuschiffen; allein widrige Winde und Mangel an Vorräthen zwan- gen ihn am circeischen Vorgebirg zu landen und auf gut Glück in die Irre zu gehen. Von Wenigen begleitet und keinem Dach sich anvertrauend gelangte der greise Consular zu Fuſs, oft vom Hunger gepeinigt, in die Nähe der römischen Colonie Minturnae

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/256>, abgerufen am 25.11.2024.