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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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EMPÖRUNG DER ITALIKER.
Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der
Sieg blieb den Römern, doch gelang es dem Judacilius mit einem
Theil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu werfen. Die Bela-
gerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig * durch die Fe-
stigkeit des Platzes und die verzweifelte Vertheidigung der Be-
wohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegs-
erklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Judacilius endlich nach
mehr als jähriger Belagerung den Moment der Capitulation heran-
kommen sah, liess er die Häupter der römisch gesinnten Fraction
der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich
selbst den Tod. So wurden die Thore geöffnet und die römischen
Executionen lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle ange-
sehenen Bürger wurden hingerichtet, die übrigen mit dem Bet-
telstab ausgetrieben, sämmtliches Hab und Gut von Staatswegen
eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von
Asculum durchzogen zahlreiche römische Corps die benachbarten
aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der andern
zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius
Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte.
In Apulien drang der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Sa-
lapia und Cannae und belagerte Canusium. Ein samnitischer
Heerhaufen unter Marius Egnatius kam der unkriegerischen Land-
schaft zu Hülfe und drängte die Römer zurück. Allein bei dem
Uebergang über den Aufidus gelang es dem römischen Feldherrn
die Feinde zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
musste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer
drangen wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Her-
ren von ganz Apulien. Auch am Fucinersee und am Majellagebirg,
in den Hauptsitzen der Insurrection gelang es den Römern die
Oberhand zu erringen; die Marser ergaben sich an die Unterfeld-
herrn Strabos Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner
und Paeligner im folgenden Jahr (666) an Strabo selbst; die Insur-
gentenhauptstadt Italia ward wieder die bescheidene paelignische
Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats mussten
flüchten auf samnitisches Gebiet. -- Die römische Südarmee,
welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig die
Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind be-
setzte südliche Campanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert

* Schleuderbleie mit den Namen der Legionen, die sie warfen, auch
wohl mit ,Mars der Rächer' oder ,Roma, triff!' finden sich von jener Zeit
her noch jetzt mitunter in der Gegend von Ascoli.

EMPÖRUNG DER ITALIKER.
Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der
Sieg blieb den Römern, doch gelang es dem Judacilius mit einem
Theil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu werfen. Die Bela-
gerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig * durch die Fe-
stigkeit des Platzes und die verzweifelte Vertheidigung der Be-
wohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegs-
erklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Judacilius endlich nach
mehr als jähriger Belagerung den Moment der Capitulation heran-
kommen sah, lieſs er die Häupter der römisch gesinnten Fraction
der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich
selbst den Tod. So wurden die Thore geöffnet und die römischen
Executionen lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle ange-
sehenen Bürger wurden hingerichtet, die übrigen mit dem Bet-
telstab ausgetrieben, sämmtliches Hab und Gut von Staatswegen
eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von
Asculum durchzogen zahlreiche römische Corps die benachbarten
aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der andern
zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius
Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte.
In Apulien drang der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Sa-
lapia und Cannae und belagerte Canusium. Ein samnitischer
Heerhaufen unter Marius Egnatius kam der unkriegerischen Land-
schaft zu Hülfe und drängte die Römer zurück. Allein bei dem
Uebergang über den Aufidus gelang es dem römischen Feldherrn
die Feinde zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres
muſste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer
drangen wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Her-
ren von ganz Apulien. Auch am Fucinersee und am Majellagebirg,
in den Hauptsitzen der Insurrection gelang es den Römern die
Oberhand zu erringen; die Marser ergaben sich an die Unterfeld-
herrn Strabos Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner
und Paeligner im folgenden Jahr (666) an Strabo selbst; die Insur-
gentenhauptstadt Italia ward wieder die bescheidene paelignische
Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats muſsten
flüchten auf samnitisches Gebiet. — Die römische Südarmee,
welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig die
Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind be-
setzte südliche Campanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert

* Schleuderbleie mit den Namen der Legionen, die sie warfen, auch
wohl mit ‚Mars der Rächer‘ oder ‚Roma, triff!‘ finden sich von jener Zeit
her noch jetzt mitunter in der Gegend von Ascoli.
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[233/0243] EMPÖRUNG DER ITALIKER. Tage 75000 Römer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den Römern, doch gelang es dem Judacilius mit einem Theil des Entsatzheeres sich in die Stadt zu werfen. Die Bela- gerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig * durch die Fe- stigkeit des Platzes und die verzweifelte Vertheidigung der Be- wohner, welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegs- erklärung innerhalb ihrer Mauern. Als Judacilius endlich nach mehr als jähriger Belagerung den Moment der Capitulation heran- kommen sah, lieſs er die Häupter der römisch gesinnten Fraction der Bürgerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst den Tod. So wurden die Thore geöffnet und die römischen Executionen lösten die italischen ab: alle Offiziere und alle ange- sehenen Bürger wurden hingerichtet, die übrigen mit dem Bet- telstab ausgetrieben, sämmtliches Hab und Gut von Staatswegen eingezogen. Während der Belagerung und nach dem Fall von Asculum durchzogen zahlreiche römische Corps die benachbarten aufständischen Landschaften und bewogen eine nach der andern zur Unterwerfung. Die Marruciner fügten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdrücklich geschlagen hatte. In Apulien drang der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Sa- lapia und Cannae und belagerte Canusium. Ein samnitischer Heerhaufen unter Marius Egnatius kam der unkriegerischen Land- schaft zu Hülfe und drängte die Römer zurück. Allein bei dem Uebergang über den Aufidus gelang es dem römischen Feldherrn die Feinde zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres muſste in den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Römer drangen wieder vor bis nach Venusia und Rubi und wurden Her- ren von ganz Apulien. Auch am Fucinersee und am Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrection gelang es den Römern die Oberhand zu erringen; die Marser ergaben sich an die Unterfeld- herrn Strabos Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden Jahr (666) an Strabo selbst; die Insur- gentenhauptstadt Italia ward wieder die bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats muſsten flüchten auf samnitisches Gebiet. — Die römische Südarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand, hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind be- setzte südliche Campanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert * Schleuderbleie mit den Namen der Legionen, die sie warfen, auch wohl mit ‚Mars der Rächer‘ oder ‚Roma, triff!‘ finden sich von jener Zeit her noch jetzt mitunter in der Gegend von Ascoli.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/243>, abgerufen am 23.11.2024.