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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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EMPÖRUNG DER ITALIKER.
Gemeinden festhalten, theils möglichst viele Ueberläufer aus den
feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Ge-
setze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar zur
Anwendung gekommen, lässt sich nicht genau sagen, da wir den
Umfang der Insurrection zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur
im Allgemeinen anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf
jeden Fall, dass die bisher latinischen Gemeinden, sowohl die
Ueberreste der alten latinischen Eidgenossenschaft wie Tibur und
Praeneste, als auch besonders die latinischen Colonien mit Aus-
nahme der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen dadurch
eintraten in den römischen Bürgerverband. Ausserdem fand das
Gesetz Anwendung auf die vereinzelten Bundesgenossenstädte
zwischen dem Po und dem Apennin wie z. B. Ravenna, auf eine
Anzahl etruskischer und auf die treugebliebenen Bundesstädte in
Süditalien wie Nuceria und Neapolis. Dass einzelne bisher beson-
ders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des Bürgerrechts
schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug seinen bis-
herigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Land-
dienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies
Domanialnutzungen garantirte, gegen das sehr beschränkte Neu-
bürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus
den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten,
dass diese Stadt, so wie auch Rhegion und vielleicht noch andere
griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den
Bürgerverband ihre bisherige Communalverfassung und die grie-
chische Sprache als officielle unverändert beibehalten haben. Auf
alle Fälle ward in Folge dieser Gesetze theils der römische Bür-
gerverband in der Art erweitert, dass zahlreiche und ansehnliche
von der sicilischen Meerenge bis zum Po zerstreute Stadtgemein-
den dadurch aufgingen in die römische Bürgerschaft, theils die
Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Verlei-
hung des besten bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der
gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen.

Gestützt auf diese Concessionen an die schwankenden Ge-
meinden nahmen die Römer mit neuem Muthe den Kampf auf
gegen die aufständischen Districte. Man hatte von den bestehen-
den politischen Institutionen so viel niedergerissen als nothwen-
dig schien um die weitere Verbreitung des Brandes zu hindern;
die Insurrection griff fortan wenigstens nicht weiter um sich.
Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war,
wurde sie wohl mehr noch durch das julische Gesetz als durch
den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt.

EMPÖRUNG DER ITALIKER.
Gemeinden festhalten, theils möglichst viele Ueberläufer aus den
feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Ge-
setze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar zur
Anwendung gekommen, läſst sich nicht genau sagen, da wir den
Umfang der Insurrection zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur
im Allgemeinen anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf
jeden Fall, daſs die bisher latinischen Gemeinden, sowohl die
Ueberreste der alten latinischen Eidgenossenschaft wie Tibur und
Praeneste, als auch besonders die latinischen Colonien mit Aus-
nahme der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen dadurch
eintraten in den römischen Bürgerverband. Auſserdem fand das
Gesetz Anwendung auf die vereinzelten Bundesgenossenstädte
zwischen dem Po und dem Apennin wie z. B. Ravenna, auf eine
Anzahl etruskischer und auf die treugebliebenen Bundesstädte in
Süditalien wie Nuceria und Neapolis. Daſs einzelne bisher beson-
ders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des Bürgerrechts
schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug seinen bis-
herigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Land-
dienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies
Domanialnutzungen garantirte, gegen das sehr beschränkte Neu-
bürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus
den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten,
daſs diese Stadt, so wie auch Rhegion und vielleicht noch andere
griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den
Bürgerverband ihre bisherige Communalverfassung und die grie-
chische Sprache als officielle unverändert beibehalten haben. Auf
alle Fälle ward in Folge dieser Gesetze theils der römische Bür-
gerverband in der Art erweitert, daſs zahlreiche und ansehnliche
von der sicilischen Meerenge bis zum Po zerstreute Stadtgemein-
den dadurch aufgingen in die römische Bürgerschaft, theils die
Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Verlei-
hung des besten bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der
gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen.

Gestützt auf diese Concessionen an die schwankenden Ge-
meinden nahmen die Römer mit neuem Muthe den Kampf auf
gegen die aufständischen Districte. Man hatte von den bestehen-
den politischen Institutionen so viel niedergerissen als nothwen-
dig schien um die weitere Verbreitung des Brandes zu hindern;
die Insurrection griff fortan wenigstens nicht weiter um sich.
Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war,
wurde sie wohl mehr noch durch das julische Gesetz als durch
den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt.

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[231/0241] EMPÖRUNG DER ITALIKER. Gemeinden festhalten, theils möglichst viele Ueberläufer aus den feindlichen Reihen herüberziehen. In welchem Umfang diese Ge- setze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar zur Anwendung gekommen, läſst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der Insurrection zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im Allgemeinen anzugeben vermögen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, daſs die bisher latinischen Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen Eidgenossenschaft wie Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Colonien mit Aus- nahme der wenigen zu den Insurgenten übergegangenen dadurch eintraten in den römischen Bürgerverband. Auſserdem fand das Gesetz Anwendung auf die vereinzelten Bundesgenossenstädte zwischen dem Po und dem Apennin wie z. B. Ravenna, auf eine Anzahl etruskischer und auf die treugebliebenen Bundesstädte in Süditalien wie Nuceria und Neapolis. Daſs einzelne bisher beson- ders bevorzugte Gemeinden über die Annahme des Bürgerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug seinen bis- herigen Vertrag mit Rom, der den Bürgern Freiheit vom Land- dienst und ihre griechische Verfassung, vielleicht auch überdies Domanialnutzungen garantirte, gegen das sehr beschränkte Neu- bürgerrecht hinzugeben, ist begreiflich; es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstände wegen geschlossenen Vergleichen herzuleiten, daſs diese Stadt, so wie auch Rhegion und vielleicht noch andere griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Bürgerverband ihre bisherige Communalverfassung und die grie- chische Sprache als officielle unverändert beibehalten haben. Auf alle Fälle ward in Folge dieser Gesetze theils der römische Bür- gerverband in der Art erweitert, daſs zahlreiche und ansehnliche von der sicilischen Meerenge bis zum Po zerstreute Stadtgemein- den dadurch aufgingen in die römische Bürgerschaft, theils die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen durch die Verlei- hung des besten bundesgenössischen Rechts gleichsam mit der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Bürgerrecht beliehen. Gestützt auf diese Concessionen an die schwankenden Ge- meinden nahmen die Römer mit neuem Muthe den Kampf auf gegen die aufständischen Districte. Man hatte von den bestehen- den politischen Institutionen so viel niedergerissen als nothwen- dig schien um die weitere Verbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrection griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das julische Gesetz als durch den Erfolg der römischen Waffen so auffallend rasch überwältigt.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/241>, abgerufen am 23.11.2024.