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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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hin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volks-
tribunen Marcus Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte
jedem in Italien verbürgerten und domicilirten Mann eine zweimonat-
liche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle durch An-
meldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht
zu gewinnen. Indess sollten diese Neubürger ähnlich den Frei-
gelassenen im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, dass von
den fünfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelas-
senen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob diese Be-
schränkung persönlich oder, wie es eher scheint, erblich war, ist
nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel bezog sich
zunächst auf das eigentliche Italien, das nördlich damals noch
wenig über Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kelten-
land diesseit der Alpen, das zwar Provinz war und blieb, aber in
der Administration wie in der Colonisirung längst als Theil Ita-
liens galt, wurden sämmtliche latinische Colonien und von den
übrigen bundesgenössischen Ortschaften die nicht sehr zahlrei-
chen diesseit des Po belegenen wie die italischen Gemeinden be-
handelt. Die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen
ward in Folge eines von dem Consul Strabo im J. 665 ein-
gebrachten Gesetzes zwar nach italischer Stadtverfassung orga-
nisirt, so dass die hiezu nicht sich eignenden Gemeinden, na-
mentlich die Dorfschaften in den Alpenthälern, einzelnen Städten
als abhängige und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden; diese
neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem römischen Bürger-
thum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiction, dass sie
latinische Colonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, welche
bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden
hatten. Italien endigte also damals factisch am Po, während die
transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward; wovon
der Grund unzweifelhaft darin zu suchen ist, dass die Landschaft
zwischen dem Apennin und Po längst nach italischem Muster or-
ganisirt war, in der nördlichen dagegen, wo es ausser Eporedia
und Aquileia keine Bürger- oder latinische Colonien gab und aus
der die einheimischen Stämme ja keineswegs verdrängt worden
waren, das keltische Wesen und die keltische Gauverfassung noch
grossentheils bestand. -- So ansehnlich diese Zugeständnisse
waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als hundert-
undfunfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der
römischen Bürgerschaft, so enthielten sie doch nichts weniger
als eine Capitulation mit den wirklichen Insurgenten, sondern
sollten theils die schwankenden und mit dem Abfall drohenden

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hin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volks-
tribunen Marcus Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte
jedem in Italien verbürgerten und domicilirten Mann eine zweimonat-
liche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle durch An-
meldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht
zu gewinnen. Indeſs sollten diese Neubürger ähnlich den Frei-
gelassenen im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daſs von
den fünfunddreiſsig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelas-
senen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob diese Be-
schränkung persönlich oder, wie es eher scheint, erblich war, ist
nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Maſsregel bezog sich
zunächst auf das eigentliche Italien, das nördlich damals noch
wenig über Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kelten-
land diesseit der Alpen, das zwar Provinz war und blieb, aber in
der Administration wie in der Colonisirung längst als Theil Ita-
liens galt, wurden sämmtliche latinische Colonien und von den
übrigen bundesgenössischen Ortschaften die nicht sehr zahlrei-
chen diesseit des Po belegenen wie die italischen Gemeinden be-
handelt. Die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen
ward in Folge eines von dem Consul Strabo im J. 665 ein-
gebrachten Gesetzes zwar nach italischer Stadtverfassung orga-
nisirt, so daſs die hiezu nicht sich eignenden Gemeinden, na-
mentlich die Dorfschaften in den Alpenthälern, einzelnen Städten
als abhängige und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden; diese
neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem römischen Bürger-
thum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiction, daſs sie
latinische Colonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, welche
bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden
hatten. Italien endigte also damals factisch am Po, während die
transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward; wovon
der Grund unzweifelhaft darin zu suchen ist, daſs die Landschaft
zwischen dem Apennin und Po längst nach italischem Muster or-
ganisirt war, in der nördlichen dagegen, wo es auſser Eporedia
und Aquileia keine Bürger- oder latinische Colonien gab und aus
der die einheimischen Stämme ja keineswegs verdrängt worden
waren, das keltische Wesen und die keltische Gauverfassung noch
groſsentheils bestand. — So ansehnlich diese Zugeständnisse
waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als hundert-
undfunfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der
römischen Bürgerschaft, so enthielten sie doch nichts weniger
als eine Capitulation mit den wirklichen Insurgenten, sondern
sollten theils die schwankenden und mit dem Abfall drohenden

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[230/0240] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. hin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volks- tribunen Marcus Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbürgerten und domicilirten Mann eine zweimonat- liche Frist, binnen welcher es ihm gestattet sein solle durch An- meldung bei einem römischen Beamten das römische Bürgerrecht zu gewinnen. Indeſs sollten diese Neubürger ähnlich den Frei- gelassenen im Stimmrecht in der Art beschränkt sein, daſs von den fünfunddreiſsig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelas- senen nur in vier, eingeschrieben werden konnten; ob diese Be- schränkung persönlich oder, wie es eher scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Maſsregel bezog sich zunächst auf das eigentliche Italien, das nördlich damals noch wenig über Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kelten- land diesseit der Alpen, das zwar Provinz war und blieb, aber in der Administration wie in der Colonisirung längst als Theil Ita- liens galt, wurden sämmtliche latinische Colonien und von den übrigen bundesgenössischen Ortschaften die nicht sehr zahlrei- chen diesseit des Po belegenen wie die italischen Gemeinden be- handelt. Die Landschaft zwischen dem Po und den Alpen ward in Folge eines von dem Consul Strabo im J. 665 ein- gebrachten Gesetzes zwar nach italischer Stadtverfassung orga- nisirt, so daſs die hiezu nicht sich eignenden Gemeinden, na- mentlich die Dorfschaften in den Alpenthälern, einzelnen Städten als abhängige und zinspflichtige Dörfer zugelegt wurden; diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem römischen Bürger- thum beschenkt, sondern durch die rechtliche Fiction, daſs sie latinische Colonien seien, mit denjenigen Rechten bekleidet, welche bisher den latinischen Städten geringeren Rechts zugestanden hatten. Italien endigte also damals factisch am Po, während die transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward; wovon der Grund unzweifelhaft darin zu suchen ist, daſs die Landschaft zwischen dem Apennin und Po längst nach italischem Muster or- ganisirt war, in der nördlichen dagegen, wo es auſser Eporedia und Aquileia keine Bürger- oder latinische Colonien gab und aus der die einheimischen Stämme ja keineswegs verdrängt worden waren, das keltische Wesen und die keltische Gauverfassung noch groſsentheils bestand. — So ansehnlich diese Zugeständnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der seit mehr als hundert- undfunfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit der römischen Bürgerschaft, so enthielten sie doch nichts weniger als eine Capitulation mit den wirklichen Insurgenten, sondern sollten theils die schwankenden und mit dem Abfall drohenden

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/240>, abgerufen am 23.11.2024.