beispiellos trümmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen lässt.
Der erste Sturm traf, wie begreiflich, die in den insurgirten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Thore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande herein- schafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia; dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Wider- stand. Aehnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den Grenzen der insurgirten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee unter Caesar in der grösstentheils noch zu Rom hal- tenden campanischen Landschaft sich im Frühjahr 664 gesam- melt und Capua mit seinem für die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet so wie die bedeutenderen Bundesstädte mit Be- satzung versehen hatte, versuchte sie überzugehen zur Offensive und den kleineren nach Samnium und Lucanien unter Marcus Mar- cellus und Publius Crassus vorausgesandten Abtheilungen zu Hülfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Cato mit starkem Verlust zurückgewiesen und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstrasse von Campanien nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Stadt sah sich jetzt ausschliesslich auf den Muth und die Ausdauer ihrer Besatzung und ihres Commandan- ten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, der bedrängten Festung für einen Augen- blick Luft; allein dennoch ward sie nach hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahrs durch die äusserste Hungersnoth gezwungen zu capituliren. Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genöthigt sich in Grumentum einzu- schliessen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst überlassen müssen. Die Insurrection griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Campanien ein- rückte, übergab die Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mu- tilus Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest
VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
beispiellos trümmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen läſst.
Der erste Sturm traf, wie begreiflich, die in den insurgirten Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Thore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande herein- schafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt Aesernia; dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Wider- stand. Aehnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und während die römischen Heere sich an den Grenzen der insurgirten Landschaft aufstellten. Nachdem die Südarmee unter Caesar in der gröſstentheils noch zu Rom hal- tenden campanischen Landschaft sich im Frühjahr 664 gesam- melt und Capua mit seinem für die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet so wie die bedeutenderen Bundesstädte mit Be- satzung versehen hatte, versuchte sie überzugehen zur Offensive und den kleineren nach Samnium und Lucanien unter Marcus Mar- cellus und Publius Crassus vorausgesandten Abtheilungen zu Hülfe zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Cato mit starkem Verlust zurückgewiesen und die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten, denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstraſse von Campanien nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart angegriffene Stadt sah sich jetzt ausschlieſslich auf den Muth und die Ausdauer ihrer Besatzung und ihres Commandan- ten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla mit derselben kühnen Verschlagenheit wie den Zug zu Bocchus glücklich zu Ende führte, der bedrängten Festung für einen Augen- blick Luft; allein dennoch ward sie nach hartnäckiger Gegenwehr gegen Ende des Jahrs durch die äuſserste Hungersnoth gezwungen zu capituliren. Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und genöthigt sich in Grumentum einzu- schlieſsen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien und die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich selbst überlassen müssen. Die Insurrection griff um sich; wie Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Campanien ein- rückte, übergab die Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mu- tilus Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest
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VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
beispiellos trümmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild
sich nicht herstellen läſst.
Der erste Sturm traf, wie begreiflich, die in den insurgirten
Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre
Thore schlossen und die bewegliche Habe vom Lande herein-
schafften. Silo warf sich auf die Zwingburg der Marser, das feste
Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte Latinerstadt
Aesernia; dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten Wider-
stand. Aehnliche Kämpfe mögen im Norden um Firmum, Hatria,
Pinna, im Süden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt
haben, bevor und während die römischen Heere sich an den
Grenzen der insurgirten Landschaft aufstellten. Nachdem die
Südarmee unter Caesar in der gröſstentheils noch zu Rom hal-
tenden campanischen Landschaft sich im Frühjahr 664 gesam-
melt und Capua mit seinem für die Finanzen Roms so wichtigen
Domanialgebiet so wie die bedeutenderen Bundesstädte mit Be-
satzung versehen hatte, versuchte sie überzugehen zur Offensive
und den kleineren nach Samnium und Lucanien unter Marcus Mar-
cellus und Publius Crassus vorausgesandten Abtheilungen zu Hülfe
zu kommen. Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern
unter Publius Vettius Cato mit starkem Verlust zurückgewiesen und
die wichtige Stadt Venafrum trat hierauf über zu den Insurgenten,
denen sie die römische Besatzung in die Hände lieferte. Durch
den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstraſse von Campanien
nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits
hart angegriffene Stadt sah sich jetzt ausschlieſslich auf den
Muth und die Ausdauer ihrer Besatzung und ihres Commandan-
ten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein Streifzug, den Sulla
mit derselben kühnen Verschlagenheit wie den Zug zu Bocchus
glücklich zu Ende führte, der bedrängten Festung für einen Augen-
blick Luft; allein dennoch ward sie nach hartnäckiger Gegenwehr
gegen Ende des Jahrs durch die äuſserste Hungersnoth gezwungen
zu capituliren. Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus
Lamponius geschlagen und genöthigt sich in Grumentum einzu-
schlieſsen, das nach langer und harter Belagerung fiel. Apulien
und die südlichen Landschaften hatte man ohnehin gänzlich sich
selbst überlassen müssen. Die Insurrection griff um sich; wie
Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Campanien ein-
rückte, übergab die Bürgerschaft von Nola ihm ihre Stadt und
lieferte die römische Besatzung aus, deren Befehlshaber auf Mu-
tilus Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die siegreiche Armee
untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/234>, abgerufen am 24.11.2024.
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