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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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EMPÖRUNG DER ITALIKER.
war als ein reiner Abklatsch der römischen oder, was dasselbe
ist, eine abermalige Wiederholung der ganz Italien gemeinsamen
Politie: eine Stadtordnung statt einer Staatsconstitution, mit
Urversammlungen von gleicher Unbehülflichkeit und Nichtigkeit
wie die römischen Comitien es waren, mit einem regierenden
Collegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trägt
wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine
Vielzahl concurrirender höchster Beamten ausgeübten Executive
-- es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab,
wie zum Beispiel der Consul- oder Praetortitel des höchstcom-
mandirenden Magistrats nach einem Siege auch von dem Feld-
herrn der Italiker vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es
ändert sich eben nichts als der Name, ganz wie auf dem Münzen
der Insurgenten dasselbe Götterbild erscheint und nur die Bei-
schrift nicht Roma sondern Italia lautet. Nur darin unterscheidet
nicht zu seinem Vortheil sich dies Insurgenten-Rom von dem
ursprünglichen, dass das letztere denn doch eine städtische Ent-
wickelung gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwi-
schen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem Wege sich ge-
bildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als der Con-
gressplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiction die
Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt ge-
stempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, dass hier, wo die plötz-
liche Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer
neuen politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativver-
fassung im modernen Sinn so nahe legte, doch von einer sol-
chen keine Spur, ja das Gegentheil sich zeigt* und nur die com-
munale Organisation in einer noch unnatürlicheren Weise als bis-
her reproducirt wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deut-
lich wie hier, dass dem Alterthum die freie Verfassung unzer-
trennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes in eigener

* Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor p. 538 und
Strabon 5, 4. 2 noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn
zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, dass die Bürgerschaft die Be-
amten wählte. Dass der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden
und andere Competenz haben sollte als der römische, ist wohl behauptet,
aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten Zusammensetzung
natürlich für eine einigermassen gleichmässige Vertretung der insurgirten
Städte gesorgt haben; allein dass die Senatoren regelmässig von den Ge-
meinden deputirt werden sollten, ist nirgends gesagt. Ebenso wenig schliesst
der Auftrag an den Senat die Verfassung zu entwerfen die Promulgation
durch den Beamten und die Ratification durch die Volksversammlung aus.

EMPÖRUNG DER ITALIKER.
war als ein reiner Abklatsch der römischen oder, was dasselbe
ist, eine abermalige Wiederholung der ganz Italien gemeinsamen
Politie: eine Stadtordnung statt einer Staatsconstitution, mit
Urversammlungen von gleicher Unbehülflichkeit und Nichtigkeit
wie die römischen Comitien es waren, mit einem regierenden
Collegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trägt
wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine
Vielzahl concurrirender höchster Beamten ausgeübten Executive
— es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab,
wie zum Beispiel der Consul- oder Praetortitel des höchstcom-
mandirenden Magistrats nach einem Siege auch von dem Feld-
herrn der Italiker vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es
ändert sich eben nichts als der Name, ganz wie auf dem Münzen
der Insurgenten dasselbe Götterbild erscheint und nur die Bei-
schrift nicht Roma sondern Italia lautet. Nur darin unterscheidet
nicht zu seinem Vortheil sich dies Insurgenten-Rom von dem
ursprünglichen, daſs das letztere denn doch eine städtische Ent-
wickelung gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwi-
schen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem Wege sich ge-
bildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als der Con-
greſsplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiction die
Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt ge-
stempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, daſs hier, wo die plötz-
liche Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer
neuen politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativver-
fassung im modernen Sinn so nahe legte, doch von einer sol-
chen keine Spur, ja das Gegentheil sich zeigt* und nur die com-
munale Organisation in einer noch unnatürlicheren Weise als bis-
her reproducirt wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deut-
lich wie hier, daſs dem Alterthum die freie Verfassung unzer-
trennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes in eigener

* Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor p. 538 und
Strabon 5, 4. 2 noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn
zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daſs die Bürgerschaft die Be-
amten wählte. Daſs der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden
und andere Competenz haben sollte als der römische, ist wohl behauptet,
aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten Zusammensetzung
natürlich für eine einigermaſsen gleichmäſsige Vertretung der insurgirten
Städte gesorgt haben; allein daſs die Senatoren regelmäſsig von den Ge-
meinden deputirt werden sollten, ist nirgends gesagt. Ebenso wenig schlieſst
der Auftrag an den Senat die Verfassung zu entwerfen die Promulgation
durch den Beamten und die Ratification durch die Volksversammlung aus.
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[221/0231] EMPÖRUNG DER ITALIKER. war als ein reiner Abklatsch der römischen oder, was dasselbe ist, eine abermalige Wiederholung der ganz Italien gemeinsamen Politie: eine Stadtordnung statt einer Staatsconstitution, mit Urversammlungen von gleicher Unbehülflichkeit und Nichtigkeit wie die römischen Comitien es waren, mit einem regierenden Collegium, das dieselben Elemente der Oligarchie in sich trägt wie der römische Senat, mit einer in gleicher Art durch eine Vielzahl concurrirender höchster Beamten ausgeübten Executive — es geht diese Nachbildung bis in das kleinste Detail hinab, wie zum Beispiel der Consul- oder Praetortitel des höchstcom- mandirenden Magistrats nach einem Siege auch von dem Feld- herrn der Italiker vertauscht wird mit dem Titel Imperator. Es ändert sich eben nichts als der Name, ganz wie auf dem Münzen der Insurgenten dasselbe Götterbild erscheint und nur die Bei- schrift nicht Roma sondern Italia lautet. Nur darin unterscheidet nicht zu seinem Vortheil sich dies Insurgenten-Rom von dem ursprünglichen, daſs das letztere denn doch eine städtische Ent- wickelung gehabt und seine unnatürliche Zwischenstellung zwi- schen Stadt und Staat wenigstens auf natürlichem Wege sich ge- bildet hatte, wogegen das neue Italia gar nichts war als der Con- greſsplatz der Insurgenten und durch eine reine Legalfiction die Bewohner der Halbinsel zu Bürgern dieser neuen Hauptstadt ge- stempelt wurden. Bezeichnend aber ist es, daſs hier, wo die plötz- liche Verschmelzung einer Anzahl einzelner Gemeinden zu einer neuen politischen Einheit den Gedanken einer Repräsentativver- fassung im modernen Sinn so nahe legte, doch von einer sol- chen keine Spur, ja das Gegentheil sich zeigt * und nur die com- munale Organisation in einer noch unnatürlicheren Weise als bis- her reproducirt wird. Vielleicht nirgends zeigt es sich so deut- lich wie hier, daſs dem Alterthum die freie Verfassung unzer- trennlich ist von dem Auftreten des souveränen Volkes in eigener * Selbst aus unserer dürftigen Kunde, worunter Diodor p. 538 und Strabon 5, 4. 2 noch das Beste geben, erhellt dies sehr bestimmt; wie denn zum Beispiel der letztere ausdrücklich sagt, daſs die Bürgerschaft die Be- amten wählte. Daſs der Senat von Italia in anderer Weise gebildet werden und andere Competenz haben sollte als der römische, ist wohl behauptet, aber nicht bewiesen worden. Man wird bei der ersten Zusammensetzung natürlich für eine einigermaſsen gleichmäſsige Vertretung der insurgirten Städte gesorgt haben; allein daſs die Senatoren regelmäſsig von den Ge- meinden deputirt werden sollten, ist nirgends gesagt. Ebenso wenig schlieſst der Auftrag an den Senat die Verfassung zu entwerfen die Promulgation durch den Beamten und die Ratification durch die Volksversammlung aus.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/231>, abgerufen am 24.11.2024.