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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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kern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen
nahm er jede Klage an und zwang nicht bloss die römischen
Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen
vollen Geldersatz zu leisten, sondern da einige ihrer angesehen-
sten und rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen
schuldig befunden wurden, liess er sie, taub gegen alle Beste-
chungsanträge, von Rechtswegen ans Kreuz schlagen. Der Senat
billigte sein Verfahren und liess seitdem den Statthaltern von Asia
es in die Instruction setzen, dass sie sich die Verwaltungsgrund-
sätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; allein die Ritter,
wenn sie gleich an den hochadlichen und vielvermögenden Staats-
mann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor Gericht,
zuletzt (um 662) sogar den angesehensten derselben, seinen Le-
gaten Publius Rufus, der nur durch seine Verdienste und aner-
kannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang vertheidigt
war. Die Anklage, dass dieser Mann sich in Asia habe Erpres-
sungen zu Schulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen
unter ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit
des Anklägers, eines gewissen Apicius; allein man liess dennoch
die willkommene Gelegenheit den Consular zu demüthigen nicht
vorübergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauer-
gewänder, die Thränen verschmähend, sich kurz, einfach und sach-
lich vertheidigte und den souveränen Capitalisten die begehrte Hul-
digung stolz verweigerte, ward er in der That verurtheilt und sein
mässiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter Entschädigungs-
ansprüche eingezogen. Der Verurtheilte begab sich in die angeb-
lich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von
sämmtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen
und Zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in litterarischer Musse
die ihm noch übrigen Tage. Diese schmachvolle Verurtheilung
war nur der ärgste, keineswegs der einzige Fall der Art. Kaum
war sie erfolgt, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwan-
zig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus
Scaurus wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; selbst
wenn er schuldig war, nach aristokratischen Begriffen ein Sacri-
legium. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewer-
bemässig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht
Rang, nicht Alter schützte mehr vor diesen frevelhaften und ge-
fährlichen Angriffen. Die Erpressungscommission ward aus einer
Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geissel; der offen-
kundigste Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitdiebe gewäh-
ren liess und sich nicht weigerte einen Theil der erpressten Sum-

VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
kern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen
nahm er jede Klage an und zwang nicht bloſs die römischen
Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen
vollen Geldersatz zu leisten, sondern da einige ihrer angesehen-
sten und rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen
schuldig befunden wurden, lieſs er sie, taub gegen alle Beste-
chungsanträge, von Rechtswegen ans Kreuz schlagen. Der Senat
billigte sein Verfahren und lieſs seitdem den Statthaltern von Asia
es in die Instruction setzen, daſs sie sich die Verwaltungsgrund-
sätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; allein die Ritter,
wenn sie gleich an den hochadlichen und vielvermögenden Staats-
mann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor Gericht,
zuletzt (um 662) sogar den angesehensten derselben, seinen Le-
gaten Publius Rufus, der nur durch seine Verdienste und aner-
kannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang vertheidigt
war. Die Anklage, daſs dieser Mann sich in Asia habe Erpres-
sungen zu Schulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen
unter ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit
des Anklägers, eines gewissen Apicius; allein man lieſs dennoch
die willkommene Gelegenheit den Consular zu demüthigen nicht
vorübergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauer-
gewänder, die Thränen verschmähend, sich kurz, einfach und sach-
lich vertheidigte und den souveränen Capitalisten die begehrte Hul-
digung stolz verweigerte, ward er in der That verurtheilt und sein
mäſsiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter Entschädigungs-
ansprüche eingezogen. Der Verurtheilte begab sich in die angeb-
lich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von
sämmtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen
und Zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in litterarischer Muſse
die ihm noch übrigen Tage. Diese schmachvolle Verurtheilung
war nur der ärgste, keineswegs der einzige Fall der Art. Kaum
war sie erfolgt, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwan-
zig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus
Scaurus wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; selbst
wenn er schuldig war, nach aristokratischen Begriffen ein Sacri-
legium. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewer-
bemäſsig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht
Rang, nicht Alter schützte mehr vor diesen frevelhaften und ge-
fährlichen Angriffen. Die Erpressungscommission ward aus einer
Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geiſsel; der offen-
kundigste Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitdiebe gewäh-
ren lieſs und sich nicht weigerte einen Theil der erpreſsten Sum-

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[202/0212] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. kern und Provinzialen, Vornehmen und Geringen zu machen nahm er jede Klage an und zwang nicht bloſs die römischen Kaufleute und Staatspächter wegen erwiesener Schädigungen vollen Geldersatz zu leisten, sondern da einige ihrer angesehen- sten und rücksichtslosesten Agenten todeswürdiger Verbrechen schuldig befunden wurden, lieſs er sie, taub gegen alle Beste- chungsanträge, von Rechtswegen ans Kreuz schlagen. Der Senat billigte sein Verfahren und lieſs seitdem den Statthaltern von Asia es in die Instruction setzen, daſs sie sich die Verwaltungsgrund- sätze Scaevolas zum Muster nehmen möchten; allein die Ritter, wenn sie gleich an den hochadlichen und vielvermögenden Staats- mann selber sich nicht wagten, zogen seine Gefährten vor Gericht, zuletzt (um 662) sogar den angesehensten derselben, seinen Le- gaten Publius Rufus, der nur durch seine Verdienste und aner- kannte Rechtschaffenheit, nicht durch Familienanhang vertheidigt war. Die Anklage, daſs dieser Mann sich in Asia habe Erpres- sungen zu Schulden kommen lassen, brach zwar fast zusammen unter ihrer eigenen Lächerlichkeit wie unter der Verworfenheit des Anklägers, eines gewissen Apicius; allein man lieſs dennoch die willkommene Gelegenheit den Consular zu demüthigen nicht vorübergehen, und da dieser, die falsche Beredsamkeit, die Trauer- gewänder, die Thränen verschmähend, sich kurz, einfach und sach- lich vertheidigte und den souveränen Capitalisten die begehrte Hul- digung stolz verweigerte, ward er in der That verurtheilt und sein mäſsiges Vermögen zur Befriedigung erdichteter Entschädigungs- ansprüche eingezogen. Der Verurtheilte begab sich in die angeb- lich von ihm ausgeplünderte Provinz und verlebte daselbst, von sämmtlichen Gemeinden mit Ehrengesandtschaften empfangen und Zeit seines Lebens gefeiert und beliebt, in litterarischer Muſse die ihm noch übrigen Tage. Diese schmachvolle Verurtheilung war nur der ärgste, keineswegs der einzige Fall der Art. Kaum war sie erfolgt, als der angesehenste aller Aristokraten, seit zwan- zig Jahren der Vormann des Senats, der siebzigjährige Marcus Scaurus wegen Erpressungen vor Gericht gezogen ward; selbst wenn er schuldig war, nach aristokratischen Begriffen ein Sacri- legium. Das Anklägeramt fing an von schlechten Gesellen gewer- bemäſsig betrieben zu werden und nicht Unbescholtenheit, nicht Rang, nicht Alter schützte mehr vor diesen frevelhaften und ge- fährlichen Angriffen. Die Erpressungscommission ward aus einer Schutzwehr der Provinzialen ihre schlimmste Geiſsel; der offen- kundigste Dieb ging frei aus, wenn er nur seine Mitdiebe gewäh- ren lieſs und sich nicht weigerte einen Theil der erpreſsten Sum-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/212>, abgerufen am 26.11.2024.