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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
bune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dec. 654, kam es zur
Schlacht auf dem grossen Markte, der ersten, die seit Rom stand
innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert ward. Der Aus-
gang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularpartei ward
geschlagen und hinaufgedrängt auf das Capitol, wo man ihnen
das Wasser abschnitt und sie dadurch nöthigte sich zu ergeben.
Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen
Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut
rief Saturninus der Menge zu, dass alles was er beantragt im Ein-
verständniss mit dem Consul geschehen sei; selbst einem schlech-
teren Mann, als Marius war, musste grauen vor der ehrlosen
Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indess er war längst nicht
mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Ju-
gend das Dach des Rathhauses am Markt, in das man vorläufig
die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und stei-
nigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den mei-
sten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Ver-
steck gefunden und gleichfalls getödtet. Ohne Urtheil und Recht
starben an diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes, ein
Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl ande-
rer bekannter und zum Theil guten Familien angehöriger Män-
ner. Man durfte trotz der schweren und blutigen Verschuldun-
gen, die die Häupter auf sich geladen hatten, dennoch sie be-
dauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich
lässt und sie nöthigt im verzweifelten Kampf zwecklos unterzu-
gehen.

Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg
erfochten, nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten
als an diesem zehnten December. Es war das Wenigste, dass
man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden
Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten;
schwerer fiel ins Gewicht, dass der einzige Mann, der damals im
Stande war der Regierung gefährlich zu werden, sich selber öf-
fentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, dass
die beiden oppositionellen Elemente, der Capitalistenstand und
das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgin-
gen. Zwar war dies nicht das Werk der Regierung; was Gaius
Gracchus gewandte Hand zusammengezwungen, hatte theils die
Macht der Verhältnisse, theils und vor allem die grobe Bauern-
faust seines unfähigen Nachtreters wieder aufgelöst; allein im
Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der
Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum

VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
bune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dec. 654, kam es zur
Schlacht auf dem groſsen Markte, der ersten, die seit Rom stand
innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert ward. Der Aus-
gang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularpartei ward
geschlagen und hinaufgedrängt auf das Capitol, wo man ihnen
das Wasser abschnitt und sie dadurch nöthigte sich zu ergeben.
Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen
Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut
rief Saturninus der Menge zu, daſs alles was er beantragt im Ein-
verständniſs mit dem Consul geschehen sei; selbst einem schlech-
teren Mann, als Marius war, muſste grauen vor der ehrlosen
Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indeſs er war längst nicht
mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Ju-
gend das Dach des Rathhauses am Markt, in das man vorläufig
die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und stei-
nigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den mei-
sten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Ver-
steck gefunden und gleichfalls getödtet. Ohne Urtheil und Recht
starben an diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes, ein
Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl ande-
rer bekannter und zum Theil guten Familien angehöriger Män-
ner. Man durfte trotz der schweren und blutigen Verschuldun-
gen, die die Häupter auf sich geladen hatten, dennoch sie be-
dauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich
läſst und sie nöthigt im verzweifelten Kampf zwecklos unterzu-
gehen.

Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg
erfochten, nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten
als an diesem zehnten December. Es war das Wenigste, daſs
man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden
Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten;
schwerer fiel ins Gewicht, daſs der einzige Mann, der damals im
Stande war der Regierung gefährlich zu werden, sich selber öf-
fentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daſs
die beiden oppositionellen Elemente, der Capitalistenstand und
das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgin-
gen. Zwar war dies nicht das Werk der Regierung; was Gaius
Gracchus gewandte Hand zusammengezwungen, hatte theils die
Macht der Verhältnisse, theils und vor allem die grobe Bauern-
faust seines unfähigen Nachtreters wieder aufgelöst; allein im
Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der
Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum

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[198/0208] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. bune ihr Amt anzutreten hatten, am 10. Dec. 654, kam es zur Schlacht auf dem groſsen Markte, der ersten, die seit Rom stand innerhalb der Mauern der Hauptstadt geliefert ward. Der Aus- gang war keinen Augenblick zweifelhaft. Die Popularpartei ward geschlagen und hinaufgedrängt auf das Capitol, wo man ihnen das Wasser abschnitt und sie dadurch nöthigte sich zu ergeben. Marius, der den Oberbefehl führte, hätte gern seinen ehemaligen Verbündeten und jetzigen Gefangenen das Leben gerettet; laut rief Saturninus der Menge zu, daſs alles was er beantragt im Ein- verständniſs mit dem Consul geschehen sei; selbst einem schlech- teren Mann, als Marius war, muſste grauen vor der ehrlosen Rolle, die er an diesem Tage spielte. Indeſs er war längst nicht mehr Herr der Dinge. Ohne Befehl erklimmte die vornehme Ju- gend das Dach des Rathhauses am Markt, in das man vorläufig die Gefangenen eingesperrt hatte, deckte die Ziegel ab und stei- nigte sie mit denselben. So kam Saturninus um mit den mei- sten der namhafteren Gefangenen. Glaucia ward in einem Ver- steck gefunden und gleichfalls getödtet. Ohne Urtheil und Recht starben an diesem Tage vier Beamte des römischen Volkes, ein Praetor, ein Quaestor, zwei Volkstribune und eine Anzahl ande- rer bekannter und zum Theil guten Familien angehöriger Män- ner. Man durfte trotz der schweren und blutigen Verschuldun- gen, die die Häupter auf sich geladen hatten, dennoch sie be- dauern; sie fielen wie die Vorposten, die das Hauptheer im Stich läſst und sie nöthigt im verzweifelten Kampf zwecklos unterzu- gehen. Nie hatte die Regierungspartei einen vollständigeren Sieg erfochten, nie die Opposition eine härtere Niederlage erlitten als an diesem zehnten December. Es war das Wenigste, daſs man sich einiger unbequemer Schreier entledigt hatte, die jeden Tag durch Gesellen von gleichem Schlag ersetzt werden konnten; schwerer fiel ins Gewicht, daſs der einzige Mann, der damals im Stande war der Regierung gefährlich zu werden, sich selber öf- fentlich und vollständig vernichtet hatte; am schwersten, daſs die beiden oppositionellen Elemente, der Capitalistenstand und das Proletariat, gänzlich entzweit aus dem Kampfe hervorgin- gen. Zwar war dies nicht das Werk der Regierung; was Gaius Gracchus gewandte Hand zusammengezwungen, hatte theils die Macht der Verhältnisse, theils und vor allem die grobe Bauern- faust seines unfähigen Nachtreters wieder aufgelöst; allein im Resultat kam nichts darauf an, ob Berechnung oder Glück der Regierung zum Siege verhalf. Eine kläglichere Stellung ist kaum

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/208>, abgerufen am 27.11.2024.