Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.MARIUS UND DRUSUS. eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, aber rück-sichtslos heftigen und mehr von Leidenschaft, als von staats- männischen Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, so lange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, dass der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine Incapacität; dass sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adlichen an Titeln erreichen und wo möglich überbieten möchte, nicht aber der des Staatsmanns, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt; dass jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, trotz der sonst günstigen Verhältnisse nothwendig an ihm selber schei- tern musste. Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig passiv, gleich als ob der politi- sche Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müsste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Gei- stern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reissaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen liess, versuchte er in der üblichen Weise poli- tisch-moralischer Confusionare seine Verbündeten zu desavoui- ren und zugleich die von ihnen erlangten Resultate festzuhalten. Es giebt ein Geschichtchen, dass der General einst in zwei ver- schiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Satur- ninus und den Seinen, in dem andern mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlung gepflogen habe, dort über das Losschlagen gegen den Senat, hier über das Einschreiten gegen die Revolte, und dass er unter Vorwänden, wie sie der Peinlich- keit der Situation entsprachen, zwischen beiden Conferenzen ab und zu gegangen sei -- ein Geschichtchen so sicherlich erfun- den und so sicher treffend wie nur irgend ein Einfall des Aristo- phanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs den Schein annahm, als gedenke er den durch die appuleischen Gesetze geforderten Eid der vorgekommenen Formfehler halber zu verweigern; als er dann dennoch den Eid schwor, dies that unter dem Vor- behalt, wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, den natürlich sämmtliche Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so dass durch diese Weise der Beeidi- gung die Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern viel- 13*
MARIUS UND DRUSUS. eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, aber rück-sichtslos heftigen und mehr von Leidenschaft, als von staats- männischen Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man hatte sich vortrefflich vertragen, so lange es sich nur noch um Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es sich sehr bald, daſs der gefeierte Feldherr in der Politik nichts war als eine Incapacität; daſs sein Ehrgeiz der des Bauern war, der den Adlichen an Titeln erreichen und wo möglich überbieten möchte, nicht aber der des Staatsmanns, der regieren will, weil er dazu in sich die Kraft fühlt; daſs jedes Unternehmen, welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, trotz der sonst günstigen Verhältnisse nothwendig an ihm selber schei- tern muſste. Während die entscheidenden Anträge von seinen Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden, verhielt Marius sich vollständig passiv, gleich als ob der politi- sche Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müſste mit seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Gei- stern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reiſsaus. Als seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich nicht erreichen lieſs, versuchte er in der üblichen Weise poli- tisch-moralischer Confusionare seine Verbündeten zu desavoui- ren und zugleich die von ihnen erlangten Resultate festzuhalten. Es giebt ein Geschichtchen, daſs der General einst in zwei ver- schiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Satur- ninus und den Seinen, in dem andern mit den Abgeordneten der Oligarchie geheime Unterhandlung gepflogen habe, dort über das Losschlagen gegen den Senat, hier über das Einschreiten gegen die Revolte, und daſs er unter Vorwänden, wie sie der Peinlich- keit der Situation entsprachen, zwischen beiden Conferenzen ab und zu gegangen sei — ein Geschichtchen so sicherlich erfun- den und so sicher treffend wie nur irgend ein Einfall des Aristo- phanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius bei der Eidesfrage, wobei er anfangs den Schein annahm, als gedenke er den durch die appuleischen Gesetze geforderten Eid der vorgekommenen Formfehler halber zu verweigern; als er dann dennoch den Eid schwor, dies that unter dem Vor- behalt, wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein Vorbehalt, den natürlich sämmtliche Senatoren in ihren Schwur gleichfalls aufnahmen, so daſs durch diese Weise der Beeidi- gung die Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern viel- 13*
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MARIUS UND DRUSUS.
eines politisch unfähigen Feldherrn und eines fähigen, aber rück-
sichtslos heftigen und mehr von Leidenschaft, als von staats-
männischen Zwecken erfüllten Demagogen von der Gasse. Man
hatte sich vortrefflich vertragen, so lange es sich nur noch um
Pläne handelte; als es dann aber zur Ausführung kam, zeigte es
sich sehr bald, daſs der gefeierte Feldherr in der Politik nichts
war als eine Incapacität; daſs sein Ehrgeiz der des Bauern war,
der den Adlichen an Titeln erreichen und wo möglich überbieten
möchte, nicht aber der des Staatsmanns, der regieren will,
weil er dazu in sich die Kraft fühlt; daſs jedes Unternehmen,
welches auf seine politische Persönlichkeit gebaut war, trotz der
sonst günstigen Verhältnisse nothwendig an ihm selber schei-
tern muſste. Während die entscheidenden Anträge von seinen
Genossen gestellt, von seinen Soldaten durchgefochten wurden,
verhielt Marius sich vollständig passiv, gleich als ob der politi-
sche Führer nicht ebenso wie der militärische, wenn es zum
Hauptangriff geht, überall und vor allen einstehen müſste mit
seiner Person. Aber es war damit nicht genug; vor den Gei-
stern, die er selber gerufen, erschrak er und nahm Reiſsaus. Als
seine Genossen zu Mitteln griffen, die ein ehrlicher Mann nicht
billigen konnte, ohne die aber freilich das angestrebte Ziel sich
nicht erreichen lieſs, versuchte er in der üblichen Weise poli-
tisch-moralischer Confusionare seine Verbündeten zu desavoui-
ren und zugleich die von ihnen erlangten Resultate festzuhalten.
Es giebt ein Geschichtchen, daſs der General einst in zwei ver-
schiedenen Zimmern seines Hauses in dem einen mit dem Satur-
ninus und den Seinen, in dem andern mit den Abgeordneten der
Oligarchie geheime Unterhandlung gepflogen habe, dort über das
Losschlagen gegen den Senat, hier über das Einschreiten gegen
die Revolte, und daſs er unter Vorwänden, wie sie der Peinlich-
keit der Situation entsprachen, zwischen beiden Conferenzen ab
und zu gegangen sei — ein Geschichtchen so sicherlich erfun-
den und so sicher treffend wie nur irgend ein Einfall des Aristo-
phanes. Offenkundig ward die zweideutige Stellung des Marius
bei der Eidesfrage, wobei er anfangs den Schein annahm, als
gedenke er den durch die appuleischen Gesetze geforderten
Eid der vorgekommenen Formfehler halber zu verweigern; als
er dann dennoch den Eid schwor, dies that unter dem Vor-
behalt, wofern die Gesetze wirklich rechtsbeständig seien; ein
Vorbehalt, den natürlich sämmtliche Senatoren in ihren Schwur
gleichfalls aufnahmen, so daſs durch diese Weise der Beeidi-
gung die Gültigkeit der Gesetze nicht gesichert, sondern viel-
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