Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE VÖLKER DES NORDENS. genen Römers sich nicht nach Italien mit seinem Heer zu wagen,ihn niederstiess. Maximus befahl darauf seinem Collegen sein Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses wo die ganze vereinigte römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüber sich aufstellte und ihm durch ihre ansehnliche Zahl so imponirt haben soll, dass die Kimbrer anfingen zu unterhan- deln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfniss. Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Consul sei- nem stolzeren und besser gebornen, aber nicht besser gearteten proconsularischen Collegen Caepio von Rechtswegen übergeordnet; allein dieser weigerte sich ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu berathen und behauptete nach wie vor sein selbständiges Commando. Eine persönliche Zu- sammenkunft der Feldherren, die die Offiziere erzwangen, erwei- terte nur den Riss. Als Caepio sodann den Maximus mit den Bo- ten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff die Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen und warf mit seinem Heertheil allein schleunigst sich auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so dass auch sein Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oct. 649). Sein Untergang zog sodann die nicht minder voll- ständige Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb so viel von dem unge- heuren und unbehülflichen Tross gefallen, nur zehn Mann ent- kommen sein -- so viel ist gewiss, dass es nur wenigen von den beiden Heeren gelang sich zu retten, da die römischen Heere mit dem Fluss im Rücken gefochten hatten. Es war eine Niederlage, die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Durch Italien ging ein furchtbares Entsetzen, wie man es nicht gekannt hatte seit den hannibalischen Zeiten. Man war es schon so gewohnt jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen, dass die Nie- derlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus ohne nachhalti- gen Eindruck vorübergegangen waren; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, dass es überflüssig schien die ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beach- ten. Die Schlacht von Arausio aber, die erschreckende Nähe, in der das siegreiche Kimbrerheer gegen die unvertheidigten Alpen- pässe stand, die sowohl in der römischen Landschaft jenseit der Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt aus- brechende Insurrection, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus diesen Träumen und man gedachte wieder der nie ganz vergessenen Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des DIE VÖLKER DES NORDENS. genen Römers sich nicht nach Italien mit seinem Heer zu wagen,ihn niederstieſs. Maximus befahl darauf seinem Collegen sein Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses wo die ganze vereinigte römische Streitmacht dem Kimbrerheer gegenüber sich aufstellte und ihm durch ihre ansehnliche Zahl so imponirt haben soll, daſs die Kimbrer anfingen zu unterhan- deln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfniſs. Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Consul sei- nem stolzeren und besser gebornen, aber nicht besser gearteten proconsularischen Collegen Caepio von Rechtswegen übergeordnet; allein dieser weigerte sich ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen und gemeinschaftlich die Operationen zu berathen und behauptete nach wie vor sein selbständiges Commando. Eine persönliche Zu- sammenkunft der Feldherren, die die Offiziere erzwangen, erwei- terte nur den Riſs. Als Caepio sodann den Maximus mit den Bo- ten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff die Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen und warf mit seinem Heertheil allein schleunigst sich auf den Feind. Er ward völlig vernichtet, so daſs auch sein Lager dem Feinde in die Hände fiel (6. Oct. 649). Sein Untergang zog sodann die nicht minder voll- ständige Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es sollen 80000 römische Soldaten und halb so viel von dem unge- heuren und unbehülflichen Troſs gefallen, nur zehn Mann ent- kommen sein — so viel ist gewiſs, daſs es nur wenigen von den beiden Heeren gelang sich zu retten, da die römischen Heere mit dem Fluſs im Rücken gefochten hatten. Es war eine Niederlage, die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit überbot. Durch Italien ging ein furchtbares Entsetzen, wie man es nicht gekannt hatte seit den hannibalischen Zeiten. Man war es schon so gewohnt jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen, daſs die Nie- derlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus ohne nachhalti- gen Eindruck vorübergegangen waren; die Unüberwindlichkeit der römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, daſs es überflüssig schien die ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beach- ten. Die Schlacht von Arausio aber, die erschreckende Nähe, in der das siegreiche Kimbrerheer gegen die unvertheidigten Alpen- pässe stand, die sowohl in der römischen Landschaft jenseit der Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt aus- brechende Insurrection, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten furchtbar auf aus diesen Träumen und man gedachte wieder der nie ganz vergessenen Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0179" n="169"/><fw place="top" type="header">DIE VÖLKER DES NORDENS.</fw><lb/> genen Römers sich nicht nach Italien mit seinem Heer zu wagen,<lb/> ihn niederstieſs. 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Als Caepio sodann den Maximus mit den Bo-<lb/> ten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff die<lb/> Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen und warf mit seinem<lb/> Heertheil allein schleunigst sich auf den Feind. Er ward völlig<lb/> vernichtet, so daſs auch sein Lager dem Feinde in die Hände fiel<lb/> (6. Oct. 649). Sein Untergang zog sodann die nicht minder voll-<lb/> ständige Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es<lb/> sollen 80000 römische Soldaten und halb so viel von dem unge-<lb/> heuren und unbehülflichen Troſs gefallen, nur zehn Mann ent-<lb/> kommen sein — so viel ist gewiſs, daſs es nur wenigen von den<lb/> beiden Heeren gelang sich zu retten, da die römischen Heere mit<lb/> dem Fluſs im Rücken gefochten hatten. Es war eine Niederlage,<lb/> die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit überbot.<lb/> Durch Italien ging ein furchtbares Entsetzen, wie man es nicht<lb/> gekannt hatte seit den hannibalischen Zeiten. 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DIE VÖLKER DES NORDENS.
genen Römers sich nicht nach Italien mit seinem Heer zu wagen,
ihn niederstieſs. Maximus befahl darauf seinem Collegen sein
Heer über die Rhone zu führen; widerwillig sich fügend erschien
dieser endlich bei Arausio (Orange) am linken Ufer des Flusses
wo die ganze vereinigte römische Streitmacht dem Kimbrerheer
gegenüber sich aufstellte und ihm durch ihre ansehnliche Zahl
so imponirt haben soll, daſs die Kimbrer anfingen zu unterhan-
deln. Allein die beiden Führer lebten im heftigsten Zerwürfniſs.
Maximus, ein geringer und unfähiger Mann, war als Consul sei-
nem stolzeren und besser gebornen, aber nicht besser gearteten
proconsularischen Collegen Caepio von Rechtswegen übergeordnet;
allein dieser weigerte sich ein gemeinschaftliches Lager zu beziehen
und gemeinschaftlich die Operationen zu berathen und behauptete
nach wie vor sein selbständiges Commando. Eine persönliche Zu-
sammenkunft der Feldherren, die die Offiziere erzwangen, erwei-
terte nur den Riſs. Als Caepio sodann den Maximus mit den Bo-
ten der Kimbrer verhandeln sah, meinte er diesen im Begriff die
Ehre ihrer Unterwerfung allein zu gewinnen und warf mit seinem
Heertheil allein schleunigst sich auf den Feind. Er ward völlig
vernichtet, so daſs auch sein Lager dem Feinde in die Hände fiel
(6. Oct. 649). Sein Untergang zog sodann die nicht minder voll-
ständige Niederlage der zweiten römischen Armee nach sich. Es
sollen 80000 römische Soldaten und halb so viel von dem unge-
heuren und unbehülflichen Troſs gefallen, nur zehn Mann ent-
kommen sein — so viel ist gewiſs, daſs es nur wenigen von den
beiden Heeren gelang sich zu retten, da die römischen Heere mit
dem Fluſs im Rücken gefochten hatten. Es war eine Niederlage,
die materiell und moralisch den Tag von Cannae weit überbot.
Durch Italien ging ein furchtbares Entsetzen, wie man es nicht
gekannt hatte seit den hannibalischen Zeiten. Man war es schon
so gewohnt jeden Krieg mit Unfällen zu eröffnen, daſs die Nie-
derlagen des Carbo, des Silanus, des Longinus ohne nachhalti-
gen Eindruck vorübergegangen waren; die Unüberwindlichkeit
der römischen Waffen stand so unerschütterlich fest, daſs es
überflüssig schien die ziemlich zahlreichen Ausnahmen zu beach-
ten. Die Schlacht von Arausio aber, die erschreckende Nähe, in
der das siegreiche Kimbrerheer gegen die unvertheidigten Alpen-
pässe stand, die sowohl in der römischen Landschaft jenseit der
Alpen als auch bei den Lusitanern aufs neue und verstärkt aus-
brechende Insurrection, der wehrlose Zustand Italiens rüttelten
furchtbar auf aus diesen Träumen und man gedachte wieder der
nie ganz vergessenen Keltenstürme des vierten Jahrhunderts, des
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