Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE VÖLKER DES NORDENS. stationen, westlich Agathe (Agde) und Rhoda (Rosas), östlichTauroention (Ciotat), Olbia (Hyeres?), Antipolis (Antibes) und Nikaea (Nizza), die Küstenfahrt wie den Landweg von den Pyre- näen zu den Alpen sicherten und deren mercantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland hinein reichten. Eine Expe- dition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die liguri- schen Oxybier und Dekieten ward im J. 600 von den Römern theils auf Ansuchen der Massalioten, theils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Theil verlustvollen Gefechten dieser Theil des Gebirges gezwungen den Massalioten fortan stehende Geisseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass um diese Zeit zu- gleich in dem ganzen von Massalia abhängigen Gebiete jenseit der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst auf- blühende Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbe- sitzer und Kaufleute untersagt ward*. Einen ähnlichen Cha- rakter finanzieller Speculation trägt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Ge- gend von Vercelli und Bard und im ganzen Thal der Doria Baltea) von den Römern unter dem Consul Appius Claudius im J. 611 gegen die Salasser geführt ward. Er ward veranlasst durch die grosse Ausdehnung der Wäschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Aecker entzog und erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Inter- vention der Römer hervorrief. Der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie alle übrigen mit einer Niederlage begannen, führte endlich die Unterwerfung der Salasser und die Abtretung des Goldbezir- kes an das römische Aerar herbei. Einige Jahrzehende später (654) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Colonie Epo- redia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl um durch sie den westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpass zu be- herrschen. Einen ernsteren Charakter nahm der alpinische Krieg erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Consul 629 dessen Führung übernahm. Er * Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im J. 625 sagen
lässt (de rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kom- men lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im J. 637 (S. 93 A.) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseidon. fr. 25 Müll.; Strabon 4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrh. der Stadt ist bekannt. DIE VÖLKER DES NORDENS. stationen, westlich Agathe (Agde) und Rhoda (Rosas), östlichTauroention (Ciotat), Olbia (Hyères?), Antipolis (Antibes) und Nikaea (Nizza), die Küstenfahrt wie den Landweg von den Pyre- näen zu den Alpen sicherten und deren mercantile und politische Verbindungen weit ins Binnenland hinein reichten. Eine Expe- dition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die liguri- schen Oxybier und Dekieten ward im J. 600 von den Römern theils auf Ansuchen der Massalioten, theils im eigenen Interesse unternommen und nach heftigen und zum Theil verlustvollen Gefechten dieser Theil des Gebirges gezwungen den Massalioten fortan stehende Geiſseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daſs um diese Zeit zu- gleich in dem ganzen von Massalia abhängigen Gebiete jenseit der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst auf- blühende Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbe- sitzer und Kaufleute untersagt ward*. Einen ähnlichen Cha- rakter finanzieller Speculation trägt der Krieg, der wegen der Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Ge- gend von Vercelli und Bard und im ganzen Thal der Doria Baltea) von den Römern unter dem Consul Appius Claudius im J. 611 gegen die Salasser geführt ward. Er ward veranlaſst durch die groſse Ausdehnung der Wäschereien, welche den Bewohnern der niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Aecker entzog und erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Inter- vention der Römer hervorrief. Der Krieg, obwohl die Römer auch ihn wie alle übrigen mit einer Niederlage begannen, führte endlich die Unterwerfung der Salasser und die Abtretung des Goldbezir- kes an das römische Aerar herbei. Einige Jahrzehende später (654) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Colonie Epo- redia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl um durch sie den westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaſs zu be- herrschen. Einen ernsteren Charakter nahm der alpinische Krieg erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des Gaius Gracchus, als Consul 629 dessen Führung übernahm. Er * Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im J. 625 sagen
läſst (de rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kom- men lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich. Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon der Weinbau der Genuaten im J. 637 (S. 93 A.) beweist; ebensowenig auf das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseidon. fr. 25 Müll.; Strabon 4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach dem Rhonegebiet im siebenten Jahrh. der Stadt ist bekannt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0163" n="153"/><fw place="top" type="header">DIE VÖLKER DES NORDENS.</fw><lb/> stationen, westlich Agathe (Agde) und Rhoda (Rosas), östlich<lb/> Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyères?), Antipolis (Antibes) und<lb/> Nikaea (Nizza), die Küstenfahrt wie den Landweg von den Pyre-<lb/> näen zu den Alpen sicherten und deren mercantile und politische<lb/> Verbindungen weit ins Binnenland hinein reichten. Eine Expe-<lb/> dition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die liguri-<lb/> schen Oxybier und Dekieten ward im J. 600 von den Römern<lb/> theils auf Ansuchen der Massalioten, theils im eigenen Interesse<lb/> unternommen und nach heftigen und zum Theil verlustvollen<lb/> Gefechten dieser Theil des Gebirges gezwungen den Massalioten<lb/> fortan stehende Geiſseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu<lb/> zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daſs um diese Zeit zu-<lb/> gleich in dem ganzen von Massalia abhängigen Gebiete jenseit<lb/> der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst auf-<lb/> blühende Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbe-<lb/> sitzer und Kaufleute untersagt ward<note place="foot" n="*">Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im J. 625 sagen<lb/> läſst (<hi rendition="#i">de rep.</hi> 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kom-<lb/> men lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich.<lb/> Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon<lb/> der Weinbau der Genuaten im J. 637 (S. 93 A.) beweist; ebensowenig auf<lb/> das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseidon. <hi rendition="#i">fr.</hi> 25 Müll.;<lb/> Strabon 4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach<lb/> dem Rhonegebiet im siebenten Jahrh. der Stadt ist bekannt.</note>. Einen ähnlichen Cha-<lb/> rakter finanzieller Speculation trägt der Krieg, der wegen der<lb/> Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Ge-<lb/> gend von Vercelli und Bard und im ganzen Thal der Doria Baltea)<lb/> von den Römern unter dem Consul Appius Claudius im J. 611<lb/> gegen die Salasser geführt ward. Er ward veranlaſst durch die<lb/> groſse Ausdehnung der Wäschereien, welche den Bewohnern der<lb/> niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Aecker entzog<lb/> und erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Inter-<lb/> vention der Römer hervorrief. Der Krieg, obwohl die Römer auch<lb/> ihn wie alle übrigen mit einer Niederlage begannen, führte endlich<lb/> die Unterwerfung der Salasser und die Abtretung des Goldbezir-<lb/> kes an das römische Aerar herbei. Einige Jahrzehende später<lb/> (654) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Colonie Epo-<lb/> redia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl um durch sie den<lb/> westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaſs zu be-<lb/> herrschen. Einen ernsteren Charakter nahm der alpinische Krieg<lb/> erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des<lb/> Gaius Gracchus, als Consul 629 dessen Führung übernahm. Er<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [153/0163]
DIE VÖLKER DES NORDENS.
stationen, westlich Agathe (Agde) und Rhoda (Rosas), östlich
Tauroention (Ciotat), Olbia (Hyères?), Antipolis (Antibes) und
Nikaea (Nizza), die Küstenfahrt wie den Landweg von den Pyre-
näen zu den Alpen sicherten und deren mercantile und politische
Verbindungen weit ins Binnenland hinein reichten. Eine Expe-
dition in die Alpen oberhalb Nizza und Antibes gegen die liguri-
schen Oxybier und Dekieten ward im J. 600 von den Römern
theils auf Ansuchen der Massalioten, theils im eigenen Interesse
unternommen und nach heftigen und zum Theil verlustvollen
Gefechten dieser Theil des Gebirges gezwungen den Massalioten
fortan stehende Geiſseln zu geben und ihnen jährlichen Zins zu
zahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daſs um diese Zeit zu-
gleich in dem ganzen von Massalia abhängigen Gebiete jenseit
der Alpen der nach dem Muster des massaliotischen daselbst auf-
blühende Wein- und Oelbau im Interesse der italischen Gutsbe-
sitzer und Kaufleute untersagt ward *. Einen ähnlichen Cha-
rakter finanzieller Speculation trägt der Krieg, der wegen der
Goldgruben und Goldwäschereien von Victumulae (in der Ge-
gend von Vercelli und Bard und im ganzen Thal der Doria Baltea)
von den Römern unter dem Consul Appius Claudius im J. 611
gegen die Salasser geführt ward. Er ward veranlaſst durch die
groſse Ausdehnung der Wäschereien, welche den Bewohnern der
niedriger liegenden Landschaft das Wasser für ihre Aecker entzog
und erst einen Vermittlungsversuch, sodann die bewaffnete Inter-
vention der Römer hervorrief. Der Krieg, obwohl die Römer auch
ihn wie alle übrigen mit einer Niederlage begannen, führte endlich
die Unterwerfung der Salasser und die Abtretung des Goldbezir-
kes an das römische Aerar herbei. Einige Jahrzehende später
(654) ward auf dem hier gewonnenen Gebiet die Colonie Epo-
redia (Ivrea) angelegt, hauptsächlich wohl um durch sie den
westlichen wie durch Aquileia den östlichen Alpenpaſs zu be-
herrschen. Einen ernsteren Charakter nahm der alpinische Krieg
erst an, als Marcus Fulvius Flaccus, der treue Bundesgenosse des
Gaius Gracchus, als Consul 629 dessen Führung übernahm. Er
* Wenn Cicero, indem er dies den Africanus schon im J. 625 sagen
läſst (de rep. 3, 9), nicht einen Anachronismus sich hat zu Schulden kom-
men lassen, so bleibt wohl nur die im Text bezeichnete Auffassung möglich.
Auf Norditalien und Ligurien bezieht diese Verfügung sich nicht, wie schon
der Weinbau der Genuaten im J. 637 (S. 93 A.) beweist; ebensowenig auf
das unmittelbare Gebiet von Massalia (Just. 43, 4; Poseidon. fr. 25 Müll.;
Strabon 4, 179). Die starke Ausfuhr von Oel und Wein aus Italien nach
dem Rhonegebiet im siebenten Jahrh. der Stadt ist bekannt.
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