Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL IV. sehen in Landschaften, wo die vereinigten Eigenthümlichkeitender Bevölkerung und des Terrains einem Führer, der sich ein- mal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten den Krieg in endlosen Detailkämpfen fortzuspinnen oder auch gar ihn eine Zeitlang schlafen zu lassen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer Gewalt wieder zu erwecken? -- Als Metellus im J. 647 wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha ihm nirgends Stand; bald tauchte er da auf, bald an einem andern weit entfernten Punct; es schien als würde man eben so leicht über die Löwen als über diese Reiter der Wüste Herr werden. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der König war ver- schwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der grossen Wüste und vom Medscherdathal durch eine wasser- und baumlose Steppe von zehn Meilen in der Breite geschieden, lagen in quelligen Oasen zwei feste Plätze, nördlich Thala (später Thelepte, bei Husch el Cheme), weiter südlich Capsa (Kafsa); in die erstere Stadt hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwar- ten. Metellus wagte es durch eine Einöde, in der das Wasser in Schläuchen mitgeführt werden musste, dem König zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; allein nicht bloss vernichteten die römischen Ueberläufer mit dem Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zu- gleich den werthvollsten Theil der Beute, sondern worauf mehr ankam, es war dem König Jugurtha gelungen mit seinen Kindern und seiner Kasse zu entkommen. So war zwar Numidien so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt dass der Krieg damit zu Ende gegangen wäre, schien er nur über ein immer weiteres Gebiet sich ausdehnen zu wollen. Im Süden begannen die freien gaetulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, nicht abgeneigt jetzt mit seinem Schwieger- sohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen. Er nahm ihn bei sich auf und mit den eigenen zahllosen Reiterschaaren Jugurthas Haufen vereinigend rückte er in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man begann zu un- terhandeln; Bocchus aber beeilte sich nicht aus seiner zweideu- tigen Stellung herauszutreten. Es war klar, dass er mit Jugur- thas Person den eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen VIERTES BUCH. KAPITEL IV. sehen in Landschaften, wo die vereinigten Eigenthümlichkeitender Bevölkerung und des Terrains einem Führer, der sich ein- mal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten den Krieg in endlosen Detailkämpfen fortzuspinnen oder auch gar ihn eine Zeitlang schlafen zu lassen, um ihn im rechten Augenblick mit neuer Gewalt wieder zu erwecken? — Als Metellus im J. 647 wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha ihm nirgends Stand; bald tauchte er da auf, bald an einem andern weit entfernten Punct; es schien als würde man eben so leicht über die Löwen als über diese Reiter der Wüste Herr werden. Eine Schlacht ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der König war ver- schwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen Beilek von Tunis, hart am Saum der groſsen Wüste und vom Medscherdathal durch eine wasser- und baumlose Steppe von zehn Meilen in der Breite geschieden, lagen in quelligen Oasen zwei feste Plätze, nördlich Thala (später Thelepte, bei Husch el Cheme), weiter südlich Capsa (Kafsa); in die erstere Stadt hatte Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen Schätzen und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwar- ten. Metellus wagte es durch eine Einöde, in der das Wasser in Schläuchen mitgeführt werden muſste, dem König zu folgen; Thala ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; allein nicht bloſs vernichteten die römischen Ueberläufer mit dem Gebäude, in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zu- gleich den werthvollsten Theil der Beute, sondern worauf mehr ankam, es war dem König Jugurtha gelungen mit seinen Kindern und seiner Kasse zu entkommen. So war zwar Numidien so gut wie ganz in den Händen der Römer; aber statt daſs der Krieg damit zu Ende gegangen wäre, schien er nur über ein immer weiteres Gebiet sich ausdehnen zu wollen. Im Süden begannen die freien gaetulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den Nationalkrieg gegen die Römer. Im Westen schien König Bocchus von Mauretanien, dessen Freundschaft die Römer in früherer Zeit verschmäht hatten, nicht abgeneigt jetzt mit seinem Schwieger- sohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen. Er nahm ihn bei sich auf und mit den eigenen zahllosen Reiterschaaren Jugurthas Haufen vereinigend rückte er in die Gegend von Cirta, wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man begann zu un- terhandeln; Bocchus aber beeilte sich nicht aus seiner zweideu- tigen Stellung herauszutreten. 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Der König war ver-<lb/> schwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen<lb/> Beilek von Tunis, hart am Saum der groſsen Wüste und vom<lb/> Medscherdathal durch eine wasser- und baumlose Steppe von<lb/> zehn Meilen in der Breite geschieden, lagen in quelligen Oasen<lb/> zwei feste Plätze, nördlich Thala (später Thelepte, bei Husch el<lb/> Cheme), weiter südlich Capsa (Kafsa); in die erstere Stadt hatte<lb/> Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen Schätzen<lb/> und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwar-<lb/> ten. 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VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
sehen in Landschaften, wo die vereinigten Eigenthümlichkeiten
der Bevölkerung und des Terrains einem Führer, der sich ein-
mal der Sympathien der Nation versichert hat, es gestatten den
Krieg in endlosen Detailkämpfen fortzuspinnen oder auch gar ihn
eine Zeitlang schlafen zu lassen, um ihn im rechten Augenblick
mit neuer Gewalt wieder zu erwecken? — Als Metellus im J.
647 wieder ins Feld rückte, hielt Jugurtha ihm nirgends Stand;
bald tauchte er da auf, bald an einem andern weit entfernten
Punct; es schien als würde man eben so leicht über die Löwen
als über diese Reiter der Wüste Herr werden. Eine Schlacht
ward geschlagen, ein Sieg gewonnen; aber was man mit dem
Sieg gewonnen hatte, war schwer zu sagen. Der König war ver-
schwunden in die unabsehliche Weite. Im Innern des heutigen
Beilek von Tunis, hart am Saum der groſsen Wüste und vom
Medscherdathal durch eine wasser- und baumlose Steppe von
zehn Meilen in der Breite geschieden, lagen in quelligen Oasen
zwei feste Plätze, nördlich Thala (später Thelepte, bei Husch el
Cheme), weiter südlich Capsa (Kafsa); in die erstere Stadt hatte
Jugurtha sich zurückgezogen mit seinen Kindern, seinen Schätzen
und dem Kern seiner Truppen, bessere Zeiten daselbst abzuwar-
ten. Metellus wagte es durch eine Einöde, in der das Wasser in
Schläuchen mitgeführt werden muſste, dem König zu folgen; Thala
ward erreicht und fiel nach vierzigtägiger Belagerung; allein nicht
bloſs vernichteten die römischen Ueberläufer mit dem Gebäude,
in dem sie nach Einnahme der Stadt sich selber verbrannten, zu-
gleich den werthvollsten Theil der Beute, sondern worauf mehr
ankam, es war dem König Jugurtha gelungen mit seinen Kindern
und seiner Kasse zu entkommen. So war zwar Numidien so gut
wie ganz in den Händen der Römer; aber statt daſs der Krieg
damit zu Ende gegangen wäre, schien er nur über ein immer
weiteres Gebiet sich ausdehnen zu wollen. Im Süden begannen
die freien gaetulischen Stämme der Wüste auf Jugurthas Ruf den
Nationalkrieg gegen die Römer. Im Westen schien König Bocchus
von Mauretanien, dessen Freundschaft die Römer in früherer Zeit
verschmäht hatten, nicht abgeneigt jetzt mit seinem Schwieger-
sohn gegen sie gemeinschaftliche Sache zu machen. Er nahm
ihn bei sich auf und mit den eigenen zahllosen Reiterschaaren
Jugurthas Haufen vereinigend rückte er in die Gegend von Cirta,
wo Metellus sich im Winterquartier befand. Man begann zu un-
terhandeln; Bocchus aber beeilte sich nicht aus seiner zweideu-
tigen Stellung herauszutreten. Es war klar, daſs er mit Jugur-
thas Person den eigentlichen Kampfpreis für Rom in Händen
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