Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL IV. hörte, seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloserAristokrat, der es zwar sich zur Ehre rechnete zum Besten des Staats Meuchelmörder zu dingen und was Fabricius gegen Pyr- rhos that, vermuthlich als unpraktische Donquixoterie verlacht haben würde, aber doch sich erwies als ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Mann und als ein einsichtiger und erfahrener Militär. In dieser Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurtheilen so weit frei, dass er sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, son- dern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränder- ten und verbesserten Exercirreglements in militärischen Kreisen geschätzt ward, und den tapferen von der Pike emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und andern fähigen Offizieren begleitet erschien Metellus im Laufe des J. 645 als Consul und Oberfeldherr bei der africanischen Armee, die er in einem so zerrütteten Zustand antraf, dass die Generale bisher nicht gewagt hatten sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie Niemand fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern des römischen Gebiets. Streng und rasch wurde sie reorganisirt und im Frühling des J. 646 * führte Metellus sie über die numi- dische Grenze. Wie Jugurtha der veränderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte Vergleichsanträge, indem er schliess- * In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von
Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging im Sommer 649 zu Ende; wenn also Marius als Consul 647 nach Nu- midien ging, so führte er dort das Commando in drei Campagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei. Wenn ferner der Beschluss des Volkes dem Marius den Oberbefehl zu übertragen zunächst ohne Erfolg blieb, weil der Senat kurz vorher dem Metellus das Commando verlängert hatte (c. 73), so kann dies nicht auf den Feldzug von 646 gehen, für den Marius noch gar keinen Anspruch auf das Commando machen konnte, sondern nur heissen, dass er nicht als Consul 647, sondern erst 648 als Proconsul nach Africa ging. Allem Anschein nach ging Metellus zwar schon 645 nach Africa, aber da er spät eintraf (c. 37. 44) und die Reorganisation des Hee- res Zeit kostete (c. 44), begannen die Operationen erst wieder im folgen- den Jahr, so dass also die beiden Feldzüge des Metellus 646. 647, die des Marius 648. 649 fallen. Dazu passt auch sehr wohl, dass die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältniss, in dem sie zu Marius Bewerbung um das Consulat stehen, nothwendig in das Jahr 646 gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist freilich der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 bei ihm Consul genannt wird. VIERTES BUCH. KAPITEL IV. hörte, seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloserAristokrat, der es zwar sich zur Ehre rechnete zum Besten des Staats Meuchelmörder zu dingen und was Fabricius gegen Pyr- rhos that, vermuthlich als unpraktische Donquixoterie verlacht haben würde, aber doch sich erwies als ein unbeugsamer, weder der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Mann und als ein einsichtiger und erfahrener Militär. In dieser Hinsicht war er auch von seinen Standesvorurtheilen so weit frei, daſs er sich zu seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, son- dern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränder- ten und verbesserten Exercirreglements in militärischen Kreisen geschätzt ward, und den tapferen von der Pike emporgedienten latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und andern fähigen Offizieren begleitet erschien Metellus im Laufe des J. 645 als Consul und Oberfeldherr bei der africanischen Armee, die er in einem so zerrütteten Zustand antraf, daſs die Generale bisher nicht gewagt hatten sie auf das feindliche Gebiet zu führen und sie Niemand fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern des römischen Gebiets. Streng und rasch wurde sie reorganisirt und im Frühling des J. 646 * führte Metellus sie über die numi- dische Grenze. Wie Jugurtha der veränderten Lage der Dinge inne ward, gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf begann, ernstlich gemeinte Vergleichsanträge, indem er schlieſs- * In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von
Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging im Sommer 649 zu Ende; wenn also Marius als Consul 647 nach Nu- midien ging, so führte er dort das Commando in drei Campagnen. Allein die Erzählung schildert nur zwei. Wenn ferner der Beschluſs des Volkes dem Marius den Oberbefehl zu übertragen zunächst ohne Erfolg blieb, weil der Senat kurz vorher dem Metellus das Commando verlängert hatte (c. 73), so kann dies nicht auf den Feldzug von 646 gehen, für den Marius noch gar keinen Anspruch auf das Commando machen konnte, sondern nur heiſsen, daſs er nicht als Consul 647, sondern erst 648 als Proconsul nach Africa ging. Allem Anschein nach ging Metellus zwar schon 645 nach Africa, aber da er spät eintraf (c. 37. 44) und die Reorganisation des Hee- res Zeit kostete (c. 44), begannen die Operationen erst wieder im folgen- den Jahr, so daſs also die beiden Feldzüge des Metellus 646. 647, die des Marius 648. 649 fallen. Dazu paſst auch sehr wohl, daſs die Schlacht am Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältniſs, in dem sie zu Marius Bewerbung um das Consulat stehen, nothwendig in das Jahr 646 gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist freilich der Schriftsteller auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 bei ihm Consul genannt wird. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0150" n="140"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/> hörte, seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser<lb/> Aristokrat, der es zwar sich zur Ehre rechnete zum Besten des<lb/> Staats Meuchelmörder zu dingen und was Fabricius gegen Pyr-<lb/> rhos that, vermuthlich als unpraktische Donquixoterie verlacht<lb/> haben würde, aber doch sich erwies als ein unbeugsamer, weder<lb/> der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Mann und als ein<lb/> einsichtiger und erfahrener Militär. In dieser Hinsicht war er<lb/> auch von seinen Standesvorurtheilen so weit frei, daſs er sich zu<lb/> seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, son-<lb/> dern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen<lb/> seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränder-<lb/> ten und verbesserten Exercirreglements in militärischen Kreisen<lb/> geschätzt ward, und den tapferen von der Pike emporgedienten<lb/> latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und andern<lb/> fähigen Offizieren begleitet erschien Metellus im Laufe des J. 645<lb/> als Consul und Oberfeldherr bei der africanischen Armee, die er<lb/> in einem so zerrütteten Zustand antraf, daſs die Generale bisher<lb/> nicht gewagt hatten sie auf das feindliche Gebiet zu führen und<lb/> sie Niemand fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern<lb/> des römischen Gebiets. Streng und rasch wurde sie reorganisirt<lb/> und im Frühling des J. 646 <note place="foot" n="*">In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von<lb/> Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging<lb/> im Sommer 649 zu Ende; wenn also Marius als Consul 647 nach Nu-<lb/> midien ging, so führte er dort das Commando in drei Campagnen. Allein<lb/> die Erzählung schildert nur zwei. Wenn ferner der Beschluſs des Volkes<lb/> dem Marius den Oberbefehl zu übertragen zunächst ohne Erfolg blieb,<lb/> weil der Senat kurz vorher dem Metellus das Commando verlängert hatte<lb/> (c. 73), so kann dies nicht auf den Feldzug von 646 gehen, für den Marius<lb/> noch gar keinen Anspruch auf das Commando machen konnte, sondern nur<lb/> heiſsen, daſs er nicht als Consul 647, sondern erst 648 als Proconsul nach<lb/> Africa ging. Allem Anschein nach ging Metellus zwar schon 645 nach<lb/> Africa, aber da er spät eintraf (c. 37. 44) und die Reorganisation des Hee-<lb/> res Zeit kostete (c. 44), begannen die Operationen erst wieder im folgen-<lb/> den Jahr, so daſs also die beiden Feldzüge des Metellus 646. 647, die des<lb/> Marius 648. 649 fallen. Dazu paſst auch sehr wohl, daſs die Schlacht am<lb/> Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältniſs, in dem sie zu<lb/> Marius Bewerbung um das Consulat stehen, nothwendig in das Jahr 646<lb/> gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist freilich der Schriftsteller<lb/> auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 bei ihm<lb/> Consul genannt wird.</note> führte Metellus sie über die numi-<lb/> dische Grenze. Wie Jugurtha der veränderten Lage der Dinge<lb/> inne ward, gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf<lb/> begann, ernstlich gemeinte Vergleichsanträge, indem er schlieſs-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [140/0150]
VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
hörte, seinen Grundsätzen nach ein starrer und rücksichtsloser
Aristokrat, der es zwar sich zur Ehre rechnete zum Besten des
Staats Meuchelmörder zu dingen und was Fabricius gegen Pyr-
rhos that, vermuthlich als unpraktische Donquixoterie verlacht
haben würde, aber doch sich erwies als ein unbeugsamer, weder
der Furcht noch der Bestechung zugänglicher Mann und als ein
einsichtiger und erfahrener Militär. In dieser Hinsicht war er
auch von seinen Standesvorurtheilen so weit frei, daſs er sich zu
seinen Unterbefehlshabern nicht vornehme Leute aussuchte, son-
dern den trefflichen Offizier Publius Rutilius Rufus, der wegen
seiner musterhaften Mannszucht und als Urheber eines veränder-
ten und verbesserten Exercirreglements in militärischen Kreisen
geschätzt ward, und den tapferen von der Pike emporgedienten
latinischen Bauernsohn Gaius Marius. Von diesen und andern
fähigen Offizieren begleitet erschien Metellus im Laufe des J. 645
als Consul und Oberfeldherr bei der africanischen Armee, die er
in einem so zerrütteten Zustand antraf, daſs die Generale bisher
nicht gewagt hatten sie auf das feindliche Gebiet zu führen und
sie Niemand fürchterlich war als den unglücklichen Bewohnern
des römischen Gebiets. Streng und rasch wurde sie reorganisirt
und im Frühling des J. 646 * führte Metellus sie über die numi-
dische Grenze. Wie Jugurtha der veränderten Lage der Dinge
inne ward, gab er sich verloren und machte, noch ehe der Kampf
begann, ernstlich gemeinte Vergleichsanträge, indem er schlieſs-
* In der spannenden und geistreichen Darstellung dieses Krieges von
Sallust ist die Chronologie mehr als billig vernachlässigt. Der Krieg ging
im Sommer 649 zu Ende; wenn also Marius als Consul 647 nach Nu-
midien ging, so führte er dort das Commando in drei Campagnen. Allein
die Erzählung schildert nur zwei. Wenn ferner der Beschluſs des Volkes
dem Marius den Oberbefehl zu übertragen zunächst ohne Erfolg blieb,
weil der Senat kurz vorher dem Metellus das Commando verlängert hatte
(c. 73), so kann dies nicht auf den Feldzug von 646 gehen, für den Marius
noch gar keinen Anspruch auf das Commando machen konnte, sondern nur
heiſsen, daſs er nicht als Consul 647, sondern erst 648 als Proconsul nach
Africa ging. Allem Anschein nach ging Metellus zwar schon 645 nach
Africa, aber da er spät eintraf (c. 37. 44) und die Reorganisation des Hee-
res Zeit kostete (c. 44), begannen die Operationen erst wieder im folgen-
den Jahr, so daſs also die beiden Feldzüge des Metellus 646. 647, die des
Marius 648. 649 fallen. Dazu paſst auch sehr wohl, daſs die Schlacht am
Muthul und die Belagerung von Zama nach dem Verhältniſs, in dem sie zu
Marius Bewerbung um das Consulat stehen, nothwendig in das Jahr 646
gesetzt werden müssen. Von Ungenauigkeiten ist freilich der Schriftsteller
auf keinen Fall freizusprechen; wie denn Marius sogar noch 649 bei ihm
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