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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
erwartet und sich darauf eingerichtet der drohenden Intervention
zu begegnen. Er hatte im Lager vor Numantia noch mehr von Rom
kennen gelernt als die römische Taktik: der numidische Prinz, ein-
geführt in die Kreise der römischen Aristokraten, war zugleich
eingeweiht worden in die römischen Coterieintriguen und hatte
an der Quelle studirt, was man römischen Adlichen zumuthen
könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte
er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit
vornehmen römischen Kameraden gepflogen und Scipio hatte ihn
ernstlich erinnern müssen, dass es fremden Prinzen anständiger
sei mit dem römischen Staat als mit einzelnen römischen Bür-
gern Freundschaft zu halten. Jugurthas Gesandte erschienen in
Rom, nicht bloss mit Worten ausgerüstet; dass sie die richtigen
diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewählt hatten, bewies der
Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht
überzeugten sich in unglaublicher Geschwindigkeit, dass Hiem-
psal seiner Grausamkeit halber von seinen Unterthanen umge-
bracht worden und dass der Urheber des Erbfolgekrieges nicht
Jugurtha, sondern Adherbal sei. Selbst die leitenden Männer im
Senat erschraken vor dem Scandal; Marcus Scaurus suchte zu
steuern; es war umsonst. Der Senat überging das Geschehene mit
Stillschweigen und verfügte, dass die beiden überlebenden Testa-
mentserben das Reich zu gleichen Theilen erhalten und zur Verhü-
tung neuen Haders die Theilung durch eine Commission des Senats
vorgenommen werden solle. Es geschah; der Consular Lucius
Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
Revolution, nahm die Gelegenheit wahr den Lohn für seinen Pa-
triotismus einzuziehen und liess sich an die Spitze dieser Com-
mission stellen. Die Theilung fiel durchaus zu Jugurthas Gun-
sten und nicht zum Nachtheil der Commissarien aus; die Haupt-
stadt Cirta (Constantine) mit ihrem Hafen Rusicas (Philippeville)
kam zwar an Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast
ganz aus Sandwüsten bestehende östliche Theil des Reiches, Ju-
gurtha dagegen die fruchtbare und bevölkerte Westhälfte (das
spätere caesariensische und sitifensische Mauretanien) zu Theil.
-- Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem
Schein im Wege der Vertheidigung Adherbal um seine Hälfte
bringen zu können, reizte Jugurtha denselben zum Kriege; indess
da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen ge-
witzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen
liess und sich begnügte in Rom Beschwerde zu führen, begann
Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläuftigkeiten, seinerseits ohne

VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
erwartet und sich darauf eingerichtet der drohenden Intervention
zu begegnen. Er hatte im Lager vor Numantia noch mehr von Rom
kennen gelernt als die römische Taktik: der numidische Prinz, ein-
geführt in die Kreise der römischen Aristokraten, war zugleich
eingeweiht worden in die römischen Coterieintriguen und hatte
an der Quelle studirt, was man römischen Adlichen zumuthen
könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte
er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit
vornehmen römischen Kameraden gepflogen und Scipio hatte ihn
ernstlich erinnern müssen, daſs es fremden Prinzen anständiger
sei mit dem römischen Staat als mit einzelnen römischen Bür-
gern Freundschaft zu halten. Jugurthas Gesandte erschienen in
Rom, nicht bloſs mit Worten ausgerüstet; daſs sie die richtigen
diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewählt hatten, bewies der
Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht
überzeugten sich in unglaublicher Geschwindigkeit, daſs Hiem-
psal seiner Grausamkeit halber von seinen Unterthanen umge-
bracht worden und daſs der Urheber des Erbfolgekrieges nicht
Jugurtha, sondern Adherbal sei. Selbst die leitenden Männer im
Senat erschraken vor dem Scandal; Marcus Scaurus suchte zu
steuern; es war umsonst. Der Senat überging das Geschehene mit
Stillschweigen und verfügte, daſs die beiden überlebenden Testa-
mentserben das Reich zu gleichen Theilen erhalten und zur Verhü-
tung neuen Haders die Theilung durch eine Commission des Senats
vorgenommen werden solle. Es geschah; der Consular Lucius
Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der
Revolution, nahm die Gelegenheit wahr den Lohn für seinen Pa-
triotismus einzuziehen und lieſs sich an die Spitze dieser Com-
mission stellen. Die Theilung fiel durchaus zu Jugurthas Gun-
sten und nicht zum Nachtheil der Commissarien aus; die Haupt-
stadt Cirta (Constantine) mit ihrem Hafen Rusicas (Philippeville)
kam zwar an Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast
ganz aus Sandwüsten bestehende östliche Theil des Reiches, Ju-
gurtha dagegen die fruchtbare und bevölkerte Westhälfte (das
spätere caesariensische und sitifensische Mauretanien) zu Theil.
— Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem
Schein im Wege der Vertheidigung Adherbal um seine Hälfte
bringen zu können, reizte Jugurtha denselben zum Kriege; indeſs
da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen ge-
witzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen
lieſs und sich begnügte in Rom Beschwerde zu führen, begann
Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläuftigkeiten, seinerseits ohne

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[134/0144] VIERTES BUCH. KAPITEL IV. erwartet und sich darauf eingerichtet der drohenden Intervention zu begegnen. Er hatte im Lager vor Numantia noch mehr von Rom kennen gelernt als die römische Taktik: der numidische Prinz, ein- geführt in die Kreise der römischen Aristokraten, war zugleich eingeweiht worden in die römischen Coterieintriguen und hatte an der Quelle studirt, was man römischen Adlichen zumuthen könne; schon damals, sechzehn Jahre vor Micipsas Tode, hatte er illoyale Unterhandlungen über die numidische Erbfolge mit vornehmen römischen Kameraden gepflogen und Scipio hatte ihn ernstlich erinnern müssen, daſs es fremden Prinzen anständiger sei mit dem römischen Staat als mit einzelnen römischen Bür- gern Freundschaft zu halten. Jugurthas Gesandte erschienen in Rom, nicht bloſs mit Worten ausgerüstet; daſs sie die richtigen diplomatischen Ueberzeugungsmittel gewählt hatten, bewies der Erfolg. Die eifrigsten Vertreter von Adherbals gutem Recht überzeugten sich in unglaublicher Geschwindigkeit, daſs Hiem- psal seiner Grausamkeit halber von seinen Unterthanen umge- bracht worden und daſs der Urheber des Erbfolgekrieges nicht Jugurtha, sondern Adherbal sei. Selbst die leitenden Männer im Senat erschraken vor dem Scandal; Marcus Scaurus suchte zu steuern; es war umsonst. Der Senat überging das Geschehene mit Stillschweigen und verfügte, daſs die beiden überlebenden Testa- mentserben das Reich zu gleichen Theilen erhalten und zur Verhü- tung neuen Haders die Theilung durch eine Commission des Senats vorgenommen werden solle. Es geschah; der Consular Lucius Opimius, bekannt durch seine Verdienste um die Beseitigung der Revolution, nahm die Gelegenheit wahr den Lohn für seinen Pa- triotismus einzuziehen und lieſs sich an die Spitze dieser Com- mission stellen. Die Theilung fiel durchaus zu Jugurthas Gun- sten und nicht zum Nachtheil der Commissarien aus; die Haupt- stadt Cirta (Constantine) mit ihrem Hafen Rusicas (Philippeville) kam zwar an Adherbal, allein eben dadurch ward ihm der fast ganz aus Sandwüsten bestehende östliche Theil des Reiches, Ju- gurtha dagegen die fruchtbare und bevölkerte Westhälfte (das spätere caesariensische und sitifensische Mauretanien) zu Theil. — Es war arg; bald kam es noch schlimmer. Um mit einigem Schein im Wege der Vertheidigung Adherbal um seine Hälfte bringen zu können, reizte Jugurtha denselben zum Kriege; indeſs da der schwache Mann, durch die gemachten Erfahrungen ge- witzigt, Jugurthas Reiter sein Gebiet ungehindert brandschatzen lieſs und sich begnügte in Rom Beschwerde zu führen, begann Jugurtha, ungeduldig über diese Weitläuftigkeiten, seinerseits ohne

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/144>, abgerufen am 27.11.2024.