Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL IV. nur das Gleiche bot, dieselben Dienste zu leisten, und hattennichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit gab, den Senat zu chicaniren oder zu hemmen; sie waren weder durch Dankbar- keits- noch durch Vortheilsrücksichten an die Herrschaft des Senats dauernd gefesselt. So regierte die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloss auf den gleichen Basen wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde zweckmässige Institutionen umstiess, aber den Gassenban- den wie den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie sass auf dem erledigten Thron mit bösem Gewis- sen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig auch nur planmässig sie an- zugreifen, unsicher im Thun und im Lassen ausser wo der eigene materielle Vortheil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Wider- spruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigen- nutzes, ein unübertroffenes Ideal der Missregierung. Es konnte nicht anders sein; die gesammte Nation war in VIERTES BUCH. KAPITEL IV. nur das Gleiche bot, dieselben Dienste zu leisten, und hattennichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit gab, den Senat zu chicaniren oder zu hemmen; sie waren weder durch Dankbar- keits- noch durch Vortheilsrücksichten an die Herrschaft des Senats dauernd gefesselt. So regierte die Restauration weiter mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis. Ihre Herrschaft ruhte nicht bloſs auf den gleichen Basen wie die des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im Bunde zweckmäſsige Institutionen umstieſs, aber den Gassenban- den wie den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen machtlos. Sie saſs auf dem erledigten Thron mit bösem Gewis- sen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eigenen Staates grollend und doch unfähig auch nur planmäſsig sie an- zugreifen, unsicher im Thun und im Lassen auſser wo der eigene materielle Vortheil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Wider- spruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigen- nutzes, ein unübertroffenes Ideal der Miſsregierung. Es konnte nicht anders sein; die gesammte Nation war in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0134" n="124"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/> nur das Gleiche bot, dieselben Dienste zu leisten, und hatten<lb/> nichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit gab, den Senat zu<lb/> chicaniren oder zu hemmen; sie waren weder durch Dankbar-<lb/> keits- noch durch Vortheilsrücksichten an die Herrschaft des<lb/> Senats dauernd gefesselt. So regierte die Restauration weiter<lb/> mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie<lb/> und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis.<lb/> Ihre Herrschaft ruhte nicht bloſs auf den gleichen Basen wie die<lb/> des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch<lb/> schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im<lb/> Bunde zweckmäſsige Institutionen umstieſs, aber den Gassenban-<lb/> den wie den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen<lb/> machtlos. Sie saſs auf dem erledigten Thron mit bösem Gewis-<lb/> sen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eigenen<lb/> Staates grollend und doch unfähig auch nur planmäſsig sie an-<lb/> zugreifen, unsicher im Thun und im Lassen auſser wo der eigene<lb/> materielle Vortheil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die<lb/> eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Wider-<lb/> spruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigen-<lb/> nutzes, ein unübertroffenes Ideal der Miſsregierung.</p><lb/> <p>Es konnte nicht anders sein; die gesammte Nation war in<lb/> intellectuellem und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten<lb/> Stände. Die Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich<lb/> nicht überreich an Talenten und die Bänke des Senats vollge-<lb/> drängt von feigem und verlottertem adlichen Gesindel; indeſs es<lb/> saſsen doch in demselben auch Scipio Aemilianus, Gaius Lae-<lb/> lius, Quintus Metellus, Publius Crassus, Publius Scaevola und<lb/> zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und wer einigen<lb/> guten Willen mitbrachte, konnte urtheilen, daſs der Senat in der<lb/> Unrechtfertigkeit ein gewisses Maſs und ein gewisses Decorum<lb/> einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann wiederher-<lb/> gestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der Restauration.<lb/> Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht und seit<lb/> mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so<lb/> hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht<lb/> ihr den Abgrund gezeigt, der vor ihren Füſsen klaffte. War es<lb/> ein Wunder, daſs fortan der Groll immer und, wo sie es wagte,<lb/> der Schrecken das Regiment der altadlichen Herrenpartei be-<lb/> zeichnete? daſs die Regierenden noch unendlich schroffer und<lb/> gewaltsamer als bisher als festgeschlossene Partei zusammen-<lb/> standen gegen die nicht regierende Menge? daſs die Familien-<lb/> politik jetzt eben wie in den schlimmsten Zeiten des Patriciats<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0134]
VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
nur das Gleiche bot, dieselben Dienste zu leisten, und hatten
nichts dagegen, wenn sich eine Gelegenheit gab, den Senat zu
chicaniren oder zu hemmen; sie waren weder durch Dankbar-
keits- noch durch Vortheilsrücksichten an die Herrschaft des
Senats dauernd gefesselt. So regierte die Restauration weiter
mit den Wünschen und Gesinnungen der legitimen Aristokratie
und mit der Verfassung und den Regierungsmitteln der Tyrannis.
Ihre Herrschaft ruhte nicht bloſs auf den gleichen Basen wie die
des Gracchus, sondern sie war auch gleich schlecht, ja noch
schlechter befestigt; sie war stark, wo sie mit dem Pöbel im
Bunde zweckmäſsige Institutionen umstieſs, aber den Gassenban-
den wie den kaufmännischen Interessen gegenüber vollkommen
machtlos. Sie saſs auf dem erledigten Thron mit bösem Gewis-
sen und getheilten Hoffnungen, den Institutionen des eigenen
Staates grollend und doch unfähig auch nur planmäſsig sie an-
zugreifen, unsicher im Thun und im Lassen auſser wo der eigene
materielle Vortheil sprach, ein Bild der Treulosigkeit gegen die
eigene wie die entgegengesetzte Partei, des inneren Wider-
spruchs, der kläglichsten Ohnmacht, des gemeinsten Eigen-
nutzes, ein unübertroffenes Ideal der Miſsregierung.
Es konnte nicht anders sein; die gesammte Nation war in
intellectuellem und sittlichem Verfall, vor allem aber die höchsten
Stände. Die Aristokratie vor der Gracchenzeit war wahrlich
nicht überreich an Talenten und die Bänke des Senats vollge-
drängt von feigem und verlottertem adlichen Gesindel; indeſs es
saſsen doch in demselben auch Scipio Aemilianus, Gaius Lae-
lius, Quintus Metellus, Publius Crassus, Publius Scaevola und
zahlreiche andere achtbare und fähige Männer, und wer einigen
guten Willen mitbrachte, konnte urtheilen, daſs der Senat in der
Unrechtfertigkeit ein gewisses Maſs und ein gewisses Decorum
einhalte. Diese Aristokratie war gestürzt und sodann wiederher-
gestellt worden; fortan ruhte auf ihr der Fluch der Restauration.
Hatte die Aristokratie früher regiert schlecht und recht und seit
mehr als einem Jahrhundert ohne jede fühlbare Opposition, so
hatte die durchgemachte Krise wie ein Blitz in dunkler Nacht
ihr den Abgrund gezeigt, der vor ihren Füſsen klaffte. War es
ein Wunder, daſs fortan der Groll immer und, wo sie es wagte,
der Schrecken das Regiment der altadlichen Herrenpartei be-
zeichnete? daſs die Regierenden noch unendlich schroffer und
gewaltsamer als bisher als festgeschlossene Partei zusammen-
standen gegen die nicht regierende Menge? daſs die Familien-
politik jetzt eben wie in den schlimmsten Zeiten des Patriciats
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |