Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL III. sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr bot. Im Auftrag desSenats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor den gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins (S. 81) zu erlassen und ihre Landloose für freies und veräusserungsfähiges Eigenthum zu erklären; ferner statt in den überseeischen das Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Colonien, jede von 3000 Colonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete -- im Ge- gensatz gegen die gracchische Familiencommission -- auf jegliche Theilnahme an diesem ehrenvollen Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden vermuthlich die Latiner genannt, denn anderes occupirte Domanialland als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, dass dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten die Latiner für andere Verluste zu beschwichtigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die Concurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche Tyrannisirung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache schon weg- gegeben waren, das für 36000 neue Bauerhufen erforderliche occupirte Domanialland eigentlich belegen sein möge, endlich Drusus Erklärung, dass er mit der Ausführung seines Gesetzes nichts zu thun haben wolle, so verwünscht gescheit, dass sie bei- nahe herzlich albern war. Indess für das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, dass Gracchus, auf dessen per- sönlichen Einfluss alles ankam, eben in Africa war um die kar- thagische Colonie einzurichten, und sein Stellvertreter in der Hauptstadt Marcus Flaccus durch sein heftiges und ungeschick- tes Auftreten den Gegnern in die Hände arbeitete. Das ,Volk' ratificirte demnach die livischen Gesetze ebenso bereitwillig wie früher die sempronischen. Es vergalt sodann dem neuesten Wohlthäter wie üblich dadurch, dass es dem früheren einen mässigen Tritt versetzte und als dieser sich für das J. 633 zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wieder wählte; wobei übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. VIERTES BUCH. KAPITEL III. sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr bot. Im Auftrag desSenats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor den gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins (S. 81) zu erlassen und ihre Landloose für freies und veräuſserungsfähiges Eigenthum zu erklären; ferner statt in den überseeischen das Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Colonien, jede von 3000 Colonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten Männer ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete — im Ge- gensatz gegen die gracchische Familiencommission — auf jegliche Theilnahme an diesem ehrenvollen Geschäft. Als diejenigen, die die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden vermuthlich die Latiner genannt, denn anderes occupirte Domanialland als das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien vorhanden gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des Drusus, wie die Bestimmung, daſs dem latinischen Soldaten nur von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem römischen Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die allem Anschein nach den Zweck hatten die Latiner für andere Verluste zu beschwichtigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die Concurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das Bestreben das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch weitere gemeinschaftliche Tyrannisirung der Latiner noch enger zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel, nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache schon weg- gegeben waren, das für 36000 neue Bauerhufen erforderliche occupirte Domanialland eigentlich belegen sein möge, endlich Drusus Erklärung, daſs er mit der Ausführung seines Gesetzes nichts zu thun haben wolle, so verwünscht gescheit, daſs sie bei- nahe herzlich albern war. Indeſs für das plumpe Wild, das man fangen wollte, war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu und war vielleicht entscheidend, daſs Gracchus, auf dessen per- sönlichen Einfluſs alles ankam, eben in Africa war um die kar- thagische Colonie einzurichten, und sein Stellvertreter in der Hauptstadt Marcus Flaccus durch sein heftiges und ungeschick- tes Auftreten den Gegnern in die Hände arbeitete. Das ‚Volk‘ ratificirte demnach die livischen Gesetze ebenso bereitwillig wie früher die sempronischen. Es vergalt sodann dem neuesten Wohlthäter wie üblich dadurch, daſs es dem früheren einen mäſsigen Tritt versetzte und als dieser sich für das J. 633 zum drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wieder wählte; wobei übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus früher beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0124" n="114"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. 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VIERTES BUCH. KAPITEL III.
sonst zugesichert hatte, sondern noch mehr bot. Im Auftrag des
Senats schlug der Volkstribun Marcus Livius Drusus vor den
gracchischen Landempfängern den auferlegten Zins (S. 81) zu
erlassen und ihre Landloose für freies und veräuſserungsfähiges
Eigenthum zu erklären; ferner statt in den überseeischen das
Proletariat zu versorgen in zwölf italischen Colonien, jede von
3000 Colonisten, zu deren Ausführung das Volk die geeigneten
Männer ernennen möge; nur Drusus selbst verzichtete — im Ge-
gensatz gegen die gracchische Familiencommission — auf jegliche
Theilnahme an diesem ehrenvollen Geschäft. Als diejenigen, die
die Kosten dieses Plans zu tragen hätten, wurden vermuthlich
die Latiner genannt, denn anderes occupirte Domanialland als
das von ihnen benutzte scheint nicht mehr in Italien vorhanden
gewesen zu sein. Auch finden sich einzelne Verfügungen des
Drusus, wie die Bestimmung, daſs dem latinischen Soldaten nur
von seinem vorgesetzten latinischen, nicht von dem römischen
Offizier Stockprügel sollten zuerkannt werden dürfen, die allem
Anschein nach den Zweck hatten die Latiner für andere Verluste
zu beschwichtigen. Der Plan war nicht von den feinsten. Die
Concurrenzunternehmung war allzu deutlich, allzu sichtlich das
Bestreben das schöne Band zwischen Adel und Proletariat durch
weitere gemeinschaftliche Tyrannisirung der Latiner noch enger
zu ziehen, die Frage allzu nahe gelegt, wo denn auf der Halbinsel,
nachdem die italischen Domänen in der Hauptsache schon weg-
gegeben waren, das für 36000 neue Bauerhufen erforderliche
occupirte Domanialland eigentlich belegen sein möge, endlich
Drusus Erklärung, daſs er mit der Ausführung seines Gesetzes
nichts zu thun haben wolle, so verwünscht gescheit, daſs sie bei-
nahe herzlich albern war. Indeſs für das plumpe Wild, das man
fangen wollte, war die grobe Schlinge eben recht. Es kam hinzu
und war vielleicht entscheidend, daſs Gracchus, auf dessen per-
sönlichen Einfluſs alles ankam, eben in Africa war um die kar-
thagische Colonie einzurichten, und sein Stellvertreter in der
Hauptstadt Marcus Flaccus durch sein heftiges und ungeschick-
tes Auftreten den Gegnern in die Hände arbeitete. Das ‚Volk‘
ratificirte demnach die livischen Gesetze ebenso bereitwillig wie
früher die sempronischen. Es vergalt sodann dem neuesten
Wohlthäter wie üblich dadurch, daſs es dem früheren einen
mäſsigen Tritt versetzte und als dieser sich für das J. 633 zum
drittenmal um das Tribunat bewarb, ihn nicht wieder wählte;
wobei übrigens auch noch Unrechtfertigkeiten des von Gracchus
früher beleidigten wahlleitenden Tribuns vorgekommen sein sollen.
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