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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben
hatte, bestand in der That aus zwei wesentlich ungleichen Mas-
sen, die man der Lords- und der Cityaristokratie Englands ver-
gleichen kann. Die eine umfasste den thatsächlich geschlossenen
Kreis der regierenden Familien, die der unmittelbaren Specula-
tion sich fern hielten und ihre ungeheuren Capitalien theils in
Grundbesitz anlegten, theils als stille Gesellschafter bei den gro-
ssen Associationen verwertheten. Den Kern der zweiten Klasse
bildeten die Speculanten, welche als Geranten dieser Gesellschaf-
ten oder auf eigene Hand die Gross- und Geldgeschäfte im gan-
zen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Jene erste
Klasse ist wesentlich im Senat vertreten; diese zweite ward ge-
wöhnlich mit dem genau genommen missbräuchlichen Namen
der Ritter bezeichnet. Dieser Name, welcher ursprünglich nur
den aus den vermögendsten Bürgern zum Reiterdienst ausgeho-
benen Dienstpflichtigen zukam (I, 68), wurde späterhin auf alle
diejenigen ausgedehnt, die als Besitzer eines Vermögens von min-
destens 400000 Sesterzen (28600 Thlr.) im Allgemeinen zum
Rossdienst pflichtig waren und es wurden die aus ihnen in die
Rittercenturien wirklich eingereihten als die ,Ritter mit Staats-
pferden' von ihnen unterschieden. Insofern war jeder Senator
zugleich ein Ritter, wie denn auch viele Senatoren in den Ritter-
centurien dienten. Allein die Gegensätze, die theils zwischen
dem Kreis der regierenden Familien und der Speculanten-
schaft, theils zwischen dem Stadtrath und der Bürgerreiterei
thatsächlich immer bestanden, fanden ihre rechtliche Feststel-
lung, jener durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius
Flaminius veranlassten Volksschluss von 536, der den Senatoren
die Betreibung kaufmännischer Geschäfte untersagte (I, 621),
dieser durch das nicht lange vor 631 ergangene Gesetz, das die
Senatoren aus den Rittercenturien ausschloss und sie anwies
beim Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben. So blie-
ben unter diesen sogenannten Rittern oder vielmehr Ritterfähigen
zwar immer noch die jüngeren noch nicht in den Senat eingetre-
tenen Mitglieder der senatorischen Familien zurück, allein Senat
und Ritterschaft schlossen doch seitdem sich aus. Andrerseits
schloss nach unten hin die Ritterschaft auch durch ein äusseres
Kennzeichen sich ab, indem der goldene Fingerreif statt des ge-
wöhnlichen eisernen oder kupfernen durch Gesetz oder Sitte ein
Vorrecht der Männer vom Rittercensus ward -- eine Neuerung,
die so unwichtig sie an sich ist und so manche Ritterfähige auch
dieses Rechts ungeachtet fortfuhren den gewöhnlichen Ring zu

DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben
hatte, bestand in der That aus zwei wesentlich ungleichen Mas-
sen, die man der Lords- und der Cityaristokratie Englands ver-
gleichen kann. Die eine umfaſste den thatsächlich geschlossenen
Kreis der regierenden Familien, die der unmittelbaren Specula-
tion sich fern hielten und ihre ungeheuren Capitalien theils in
Grundbesitz anlegten, theils als stille Gesellschafter bei den gro-
ſsen Associationen verwertheten. Den Kern der zweiten Klasse
bildeten die Speculanten, welche als Geranten dieser Gesellschaf-
ten oder auf eigene Hand die Groſs- und Geldgeschäfte im gan-
zen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Jene erste
Klasse ist wesentlich im Senat vertreten; diese zweite ward ge-
wöhnlich mit dem genau genommen miſsbräuchlichen Namen
der Ritter bezeichnet. Dieser Name, welcher ursprünglich nur
den aus den vermögendsten Bürgern zum Reiterdienst ausgeho-
benen Dienstpflichtigen zukam (I, 68), wurde späterhin auf alle
diejenigen ausgedehnt, die als Besitzer eines Vermögens von min-
destens 400000 Sesterzen (28600 Thlr.) im Allgemeinen zum
Roſsdienst pflichtig waren und es wurden die aus ihnen in die
Rittercenturien wirklich eingereihten als die ‚Ritter mit Staats-
pferden‘ von ihnen unterschieden. Insofern war jeder Senator
zugleich ein Ritter, wie denn auch viele Senatoren in den Ritter-
centurien dienten. Allein die Gegensätze, die theils zwischen
dem Kreis der regierenden Familien und der Speculanten-
schaft, theils zwischen dem Stadtrath und der Bürgerreiterei
thatsächlich immer bestanden, fanden ihre rechtliche Feststel-
lung, jener durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius
Flaminius veranlaſsten Volksschluſs von 536, der den Senatoren
die Betreibung kaufmännischer Geschäfte untersagte (I, 621),
dieser durch das nicht lange vor 631 ergangene Gesetz, das die
Senatoren aus den Rittercenturien ausschloſs und sie anwies
beim Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben. So blie-
ben unter diesen sogenannten Rittern oder vielmehr Ritterfähigen
zwar immer noch die jüngeren noch nicht in den Senat eingetre-
tenen Mitglieder der senatorischen Familien zurück, allein Senat
und Ritterschaft schlossen doch seitdem sich aus. Andrerseits
schloſs nach unten hin die Ritterschaft auch durch ein äuſseres
Kennzeichen sich ab, indem der goldene Fingerreif statt des ge-
wöhnlichen eisernen oder kupfernen durch Gesetz oder Sitte ein
Vorrecht der Männer vom Rittercensus ward — eine Neuerung,
die so unwichtig sie an sich ist und so manche Ritterfähige auch
dieses Rechts ungeachtet fortfuhren den gewöhnlichen Ring zu

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[103/0113] DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. Reichen, die sich wie ein Mann gegen Tiberius Gracchus erhoben hatte, bestand in der That aus zwei wesentlich ungleichen Mas- sen, die man der Lords- und der Cityaristokratie Englands ver- gleichen kann. Die eine umfaſste den thatsächlich geschlossenen Kreis der regierenden Familien, die der unmittelbaren Specula- tion sich fern hielten und ihre ungeheuren Capitalien theils in Grundbesitz anlegten, theils als stille Gesellschafter bei den gro- ſsen Associationen verwertheten. Den Kern der zweiten Klasse bildeten die Speculanten, welche als Geranten dieser Gesellschaf- ten oder auf eigene Hand die Groſs- und Geldgeschäfte im gan- zen Umfang der römischen Hegemonie betrieben. Jene erste Klasse ist wesentlich im Senat vertreten; diese zweite ward ge- wöhnlich mit dem genau genommen miſsbräuchlichen Namen der Ritter bezeichnet. Dieser Name, welcher ursprünglich nur den aus den vermögendsten Bürgern zum Reiterdienst ausgeho- benen Dienstpflichtigen zukam (I, 68), wurde späterhin auf alle diejenigen ausgedehnt, die als Besitzer eines Vermögens von min- destens 400000 Sesterzen (28600 Thlr.) im Allgemeinen zum Roſsdienst pflichtig waren und es wurden die aus ihnen in die Rittercenturien wirklich eingereihten als die ‚Ritter mit Staats- pferden‘ von ihnen unterschieden. Insofern war jeder Senator zugleich ein Ritter, wie denn auch viele Senatoren in den Ritter- centurien dienten. Allein die Gegensätze, die theils zwischen dem Kreis der regierenden Familien und der Speculanten- schaft, theils zwischen dem Stadtrath und der Bürgerreiterei thatsächlich immer bestanden, fanden ihre rechtliche Feststel- lung, jener durch den von dem Vorläufer der Gracchen Gaius Flaminius veranlaſsten Volksschluſs von 536, der den Senatoren die Betreibung kaufmännischer Geschäfte untersagte (I, 621), dieser durch das nicht lange vor 631 ergangene Gesetz, das die Senatoren aus den Rittercenturien ausschloſs und sie anwies beim Eintritt in den Senat ihr Ritterpferd abzugeben. So blie- ben unter diesen sogenannten Rittern oder vielmehr Ritterfähigen zwar immer noch die jüngeren noch nicht in den Senat eingetre- tenen Mitglieder der senatorischen Familien zurück, allein Senat und Ritterschaft schlossen doch seitdem sich aus. Andrerseits schloſs nach unten hin die Ritterschaft auch durch ein äuſseres Kennzeichen sich ab, indem der goldene Fingerreif statt des ge- wöhnlichen eisernen oder kupfernen durch Gesetz oder Sitte ein Vorrecht der Männer vom Rittercensus ward — eine Neuerung, die so unwichtig sie an sich ist und so manche Ritterfähige auch dieses Rechts ungeachtet fortfuhren den gewöhnlichen Ring zu

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/113>, abgerufen am 24.11.2024.