talienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt und sie hat Recht daran gethan.
Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativ- reform vor die Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung erscheint, dass es dem Volkstri- bun freistehen solle sich für das folgende Jahr wiederwählen zu lassen. Wenn hiemit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung gewonnen war, so galt es zunächst demselben die materielle Macht zu sichern, das heisst die hauptstädtische Menge -- denn dass auf das nur von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlass war, hatte sich sattsam gezeigt -- mit ihren Interessen fest an ihn zu knüpfen. Hiezu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen Getreidevertheilung. Schon früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukom- mende Getreide nicht selten zu Schleuderpreisen an die Bürger- schaft abgegeben worden (I, 619). Gracchus verfügte, dass fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bür- ger monatlich eine bestimmte Quantität -- es scheint 5 Modii ( 5/6 preuss. Scheffel) -- aus den öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6 1/3 As (31/2 Gr.) oder kaum für die Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises (I, 620 A.); zu wel- chem Ende durch Anlage der neuen sempronischen Speicher die Staatskornmagazine erweitert wurden. Diese Vertheilung, welche folgeweise die ausserhalb der Hauptstadt lebenden Bürger aus- schloss und nothwendig die ganze Masse des Bürgerproletariats nach Rom ziehen musste, machte das hauptstädtische Bürger- proletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte, zum Clienten der Führer der Bewegungspartei; der neue Herr des Staats erhielt in demselben zugleich eine Leibwache und eine feste Majorität über die Comitien. Zu mehrerer Sicher- heit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Centuriatcomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf Vermögens- classen in jedem Bezirk nach einander ihre Stimmen abgaben (I, 602), abgeschafft und dafür verfügt, dass über die Reihen- folge in der Abstimmung unter den einzelnen Centurien künftig das Loos entscheiden solle. -- Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten durch das hauptstädtische Proleta- riat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition
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DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
talienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt und sie hat Recht daran gethan.
Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativ- reform vor die Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe gesonderter Vorschläge einbrachte, war nichts anderes als eine vollständig neue Verfassung, als deren erster Grundstein die schon früher durchgesetzte Neuerung erscheint, daſs es dem Volkstri- bun freistehen solle sich für das folgende Jahr wiederwählen zu lassen. Wenn hiemit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer dauernden und den Inhaber schützenden Stellung gewonnen war, so galt es zunächst demselben die materielle Macht zu sichern, das heiſst die hauptstädtische Menge — denn daſs auf das nur von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk kein Verlaſs war, hatte sich sattsam gezeigt — mit ihren Interessen fest an ihn zu knüpfen. Hiezu diente zuvörderst die Einführung der hauptstädtischen Getreidevertheilung. Schon früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukom- mende Getreide nicht selten zu Schleuderpreisen an die Bürger- schaft abgegeben worden (I, 619). Gracchus verfügte, daſs fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bür- ger monatlich eine bestimmte Quantität — es scheint 5 Modii (⅚ preuſs. Scheffel) — aus den öffentlichen Magazinen verabfolgt werden solle, der Modius zu 6⅓ As (3½ Gr.) oder kaum für die Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises (I, 620 A.); zu wel- chem Ende durch Anlage der neuen sempronischen Speicher die Staatskornmagazine erweitert wurden. Diese Vertheilung, welche folgeweise die auſserhalb der Hauptstadt lebenden Bürger aus- schloſs und nothwendig die ganze Masse des Bürgerproletariats nach Rom ziehen muſste, machte das hauptstädtische Bürger- proletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen hatte, zum Clienten der Führer der Bewegungspartei; der neue Herr des Staats erhielt in demselben zugleich eine Leibwache und eine feste Majorität über die Comitien. Zu mehrerer Sicher- heit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Centuriatcomitien noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf Vermögens- classen in jedem Bezirk nach einander ihre Stimmen abgaben (I, 602), abgeschafft und dafür verfügt, daſs über die Reihen- folge in der Abstimmung unter den einzelnen Centurien künftig das Loos entscheiden solle. — Wenn diese Bestimmungen wesentlich darauf hinzielten durch das hauptstädtische Proleta- riat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über die Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition
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DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
talienische Natur hat die Nachwelt mehr noch beklagt als getadelt
und sie hat Recht daran gethan.
Tiberius Gracchus war mit einer einzelnen Administrativ-
reform vor die Bürgerschaft getreten. Was Gaius in einer Reihe
gesonderter Vorschläge einbrachte, war nichts anderes als eine
vollständig neue Verfassung, als deren erster Grundstein die schon
früher durchgesetzte Neuerung erscheint, daſs es dem Volkstri-
bun freistehen solle sich für das folgende Jahr wiederwählen zu
lassen. Wenn hiemit für das Volkshaupt die Möglichkeit einer
dauernden und den Inhaber schützenden Stellung gewonnen war,
so galt es zunächst demselben die materielle Macht zu sichern,
das heiſst die hauptstädtische Menge — denn daſs auf das
nur von Zeit zu Zeit nach der Stadt kommende Landvolk
kein Verlaſs war, hatte sich sattsam gezeigt — mit ihren
Interessen fest an ihn zu knüpfen. Hiezu diente zuvörderst die
Einführung der hauptstädtischen Getreidevertheilung. Schon
früher war das dem Staat aus den Provinzialzehnten zukom-
mende Getreide nicht selten zu Schleuderpreisen an die Bürger-
schaft abgegeben worden (I, 619). Gracchus verfügte, daſs
fortan jedem persönlich in der Hauptstadt sich meldenden Bür-
ger monatlich eine bestimmte Quantität — es scheint 5 Modii
(⅚ preuſs. Scheffel) — aus den öffentlichen Magazinen verabfolgt
werden solle, der Modius zu 6⅓ As (3½ Gr.) oder kaum für die
Hälfte eines niedrigen Durchschnittspreises (I, 620 A.); zu wel-
chem Ende durch Anlage der neuen sempronischen Speicher die
Staatskornmagazine erweitert wurden. Diese Vertheilung, welche
folgeweise die auſserhalb der Hauptstadt lebenden Bürger aus-
schloſs und nothwendig die ganze Masse des Bürgerproletariats
nach Rom ziehen muſste, machte das hauptstädtische Bürger-
proletariat, das bisher wesentlich von der Aristokratie abgehangen
hatte, zum Clienten der Führer der Bewegungspartei; der neue
Herr des Staats erhielt in demselben zugleich eine Leibwache
und eine feste Majorität über die Comitien. Zu mehrerer Sicher-
heit hinsichtlich dieser wurde ferner die in den Centuriatcomitien
noch bestehende Stimmordnung, wonach die fünf Vermögens-
classen in jedem Bezirk nach einander ihre Stimmen abgaben
(I, 602), abgeschafft und dafür verfügt, daſs über die Reihen-
folge in der Abstimmung unter den einzelnen Centurien künftig
das Loos entscheiden solle. — Wenn diese Bestimmungen
wesentlich darauf hinzielten durch das hauptstädtische Proleta-
riat dem neuen Staatsoberhaupt die vollständige Herrschaft über
die Hauptstadt und damit über den Staat, die freieste Disposition
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/109>, abgerufen am 27.11.2024.
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