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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL III.
Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht be-
reits früher geschehen war (S. 62), und sogar den bezeichnen-
den Antrag gestellt die Bekleidung des Volkstribunats während
mehrerer auf einander folgender Jahre zu gestatten, also das
Hinderniss, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war,
gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Wider-
stand Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint
nach dessen Tode, ging das Gesetz durch. Die hauptsächliche
Absicht der Partei ging indess auf Reactivirung der Theilungs-
commission; unter den Führern ward der Plan ernstlich bespro-
chen die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen dersel-
ben entgegenstellten, durch Ertheilung des Bürgerrechts an die-
selben zu beseitigen und vorwiegend nahm die Agitation diese
Richtung. Um ihr zu begegnen, liess der Senat 628 durch den
Volkstribun Marcus Junius Pennus die Ausweisung sämmtlicher
Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und trotz des Wider-
standes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und
der durch diese gehässige Massregel hervorgerufenen Gährung in
den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629) als Consul
mit dem Antrag, dass es jedem Bundesgenossen verstattet sein
solle das römische Bürgerrecht zu erbitten und über diese Bitte
in den Comitien abstimmen zu lassen; allein er stand fast ein-
sam -- Carbo hatte die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger
Aristokrat, Gaius Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien
-- und scheiterte an dem Widerstand nicht bloss des Senats,
sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer
Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war.
Flaccus verliess Rom um den Oberbefehl gegen die Kelten zu
übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen
den grossen Plänen der Demokratie vorarbeitend zog er zugleich
sich aus der üblen Lage heraus gegen die von ihm selber agitir-
ten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an
der Grenze von Latium und Campanien am Hauptübergang über
den Liris inmitten eines grossen und fruchtbaren Gebiets gelegen,
war damals vielleicht die zweite Stadt Italiens; für die sämmtli-
chen latinischen Colonien führten ihre Abgeordneten in der Re-
gel das Wort. In Folge der Zurückweisung des von Flaccus
eingebrachten Antrags begann diese Stadt den Krieg gegen
Rom -- seit hundertfunfzig Jahren der erste Fall einer ernstli-
chen nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhe-
bung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indess gelang es

VIERTES BUCH. KAPITEL III.
Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht be-
reits früher geschehen war (S. 62), und sogar den bezeichnen-
den Antrag gestellt die Bekleidung des Volkstribunats während
mehrerer auf einander folgender Jahre zu gestatten, also das
Hinderniſs, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war,
gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Wider-
stand Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint
nach dessen Tode, ging das Gesetz durch. Die hauptsächliche
Absicht der Partei ging indeſs auf Reactivirung der Theilungs-
commission; unter den Führern ward der Plan ernstlich bespro-
chen die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen dersel-
ben entgegenstellten, durch Ertheilung des Bürgerrechts an die-
selben zu beseitigen und vorwiegend nahm die Agitation diese
Richtung. Um ihr zu begegnen, lieſs der Senat 628 durch den
Volkstribun Marcus Junius Pennus die Ausweisung sämmtlicher
Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und trotz des Wider-
standes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und
der durch diese gehässige Maſsregel hervorgerufenen Gährung in
den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus
Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629) als Consul
mit dem Antrag, daſs es jedem Bundesgenossen verstattet sein
solle das römische Bürgerrecht zu erbitten und über diese Bitte
in den Comitien abstimmen zu lassen; allein er stand fast ein-
sam — Carbo hatte die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger
Aristokrat, Gaius Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien
— und scheiterte an dem Widerstand nicht bloſs des Senats,
sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer
Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war.
Flaccus verlieſs Rom um den Oberbefehl gegen die Kelten zu
übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen
den groſsen Plänen der Demokratie vorarbeitend zog er zugleich
sich aus der üblen Lage heraus gegen die von ihm selber agitir-
ten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an
der Grenze von Latium und Campanien am Hauptübergang über
den Liris inmitten eines groſsen und fruchtbaren Gebiets gelegen,
war damals vielleicht die zweite Stadt Italiens; für die sämmtli-
chen latinischen Colonien führten ihre Abgeordneten in der Re-
gel das Wort. In Folge der Zurückweisung des von Flaccus
eingebrachten Antrags begann diese Stadt den Krieg gegen
Rom — seit hundertfunfzig Jahren der erste Fall einer ernstli-
chen nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhe-
bung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indeſs gelang es

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[96/0106] VIERTES BUCH. KAPITEL III. Bürgerschaftsversammlungen durchgesetzt, soweit es nicht be- reits früher geschehen war (S. 62), und sogar den bezeichnen- den Antrag gestellt die Bekleidung des Volkstribunats während mehrerer auf einander folgender Jahre zu gestatten, also das Hinderniſs, an dem Tiberius Gracchus zunächst gescheitert war, gesetzlich zu beseitigen. Der Plan war damals durch den Wider- stand Scipios vereitelt worden; einige Jahre später, wie es scheint nach dessen Tode, ging das Gesetz durch. Die hauptsächliche Absicht der Partei ging indeſs auf Reactivirung der Theilungs- commission; unter den Führern ward der Plan ernstlich bespro- chen die Hindernisse, die die italischen Bundesgenossen dersel- ben entgegenstellten, durch Ertheilung des Bürgerrechts an die- selben zu beseitigen und vorwiegend nahm die Agitation diese Richtung. Um ihr zu begegnen, lieſs der Senat 628 durch den Volkstribun Marcus Junius Pennus die Ausweisung sämmtlicher Nichtbürger aus der Hauptstadt beantragen und trotz des Wider- standes der Demokraten, namentlich des Gaius Gracchus, und der durch diese gehässige Maſsregel hervorgerufenen Gährung in den latinischen Gemeinden ging der Vorschlag durch. Marcus Fulvius Flaccus antwortete im folgenden Jahr (629) als Consul mit dem Antrag, daſs es jedem Bundesgenossen verstattet sein solle das römische Bürgerrecht zu erbitten und über diese Bitte in den Comitien abstimmen zu lassen; allein er stand fast ein- sam — Carbo hatte die Farbe gewechselt und war jetzt eifriger Aristokrat, Gaius Gracchus abwesend als Quaestor in Sardinien — und scheiterte an dem Widerstand nicht bloſs des Senats, sondern auch der Bürgerschaft, die der Ausdehnung ihrer Privilegien auf noch weitere Kreise sehr wenig geneigt war. Flaccus verlieſs Rom um den Oberbefehl gegen die Kelten zu übernehmen; auch so durch seine transalpinischen Eroberungen den groſsen Plänen der Demokratie vorarbeitend zog er zugleich sich aus der üblen Lage heraus gegen die von ihm selber agitir- ten Bundesgenossen die Waffen tragen zu müssen. Fregellae, an der Grenze von Latium und Campanien am Hauptübergang über den Liris inmitten eines groſsen und fruchtbaren Gebiets gelegen, war damals vielleicht die zweite Stadt Italiens; für die sämmtli- chen latinischen Colonien führten ihre Abgeordneten in der Re- gel das Wort. In Folge der Zurückweisung des von Flaccus eingebrachten Antrags begann diese Stadt den Krieg gegen Rom — seit hundertfunfzig Jahren der erste Fall einer ernstli- chen nicht durch auswärtige Mächte herbeigeführten Schilderhe- bung Italiens gegen die römische Hegemonie. Indeſs gelang es

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/106>, abgerufen am 23.11.2024.