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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DIE ETRUSKER.
davon könnte aus Latium nach Etrurien gekommen sein, wie
die Götternamen Minerva, Lasa, Neptunus, die entschieden
italischen Ursprungs sind, oder wenigstens in romanisirten
Formen uns überliefert sein, wie zum Beispiel der Name der
etruskischen Göttin Voltumna mit lateinischer Endung. Siche-
rer deuten allerdings einzelne Spuren wenigstens auf indoger-
manischen Ursprung; wie namentlich mi im Anfang vieler
älterer Inschriften sicher emi, eimi ist und die Genitivform
consonantischer Stämme veneruf, rafuvuf im Lateinischen
genau sich wiederfindet und der alten sanskritischen Endung
as entspricht. Ebenso hängt der Name des etruskischen Zeus
Tina oder Tinia wohl ebenso mit dem sanskritischen dina=
Tag zusammen, wie Zav mit dem gleichbedeutenden diwan.
Aber mag auch, wie allerdings wahrscheinlich ist, die etruski-
sche Sprache dem indogermanischen Stamm angehören, so
steht sie doch von den sämmtlichen griechisch-italischen Idio-
men ebenso weit ab wie die Sprache der Kelten und der
Slaven; und so klang sie auch den Römern: ,tuskisch und
gallisch' sind Barbarensprachen, ,oskisch und volskisch' Bauern-
mundarten. Ebenso wenig wie dem griechisch-italischen ist
es gelungen die tuskische Sprache irgend einem andern be-
kannten Sprachstamm anzuschliessen; bis jetzt wenigstens sind
sämmtliche Sprachen in dieser Beziehung bald mit der ein-
fachen, bald mit der peinlichen Frage, aber immer vergeblich
befragt worden. Mit dem Baskischen, an das sich der geogra-
phischen Lage nach noch am ersten denken liesse, haben ent-
scheidende Analogien sich nicht herausgestellt; ebenso wenig
deuten die geringen Reste der ligurischen Sprache in Orts-
und Personennamen auf Zusammenhang mit den Tuskern.
Selbst die verschollene Nation, die auf den Inseln des tuski-
schen Meeres, namenlich auf Sardinien, jene räthselhaften
Grabthürme (Nurhagen genannt) zu tausenden aufgeführt hat,
kann nicht die etruskische gewesen sein, da in deren Gebiet
kein einziges gleichartiges Gebäude vorkommt. Die Etrusker,
sagt schon Dionysios, stehen keinem Volke gleich an Sprache
und Sitte; und weiter haben auch wir nichts zu sagen.

Ebenso wenig lässt sich bestimmen, von wo die Etrusker
nach Italien eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel
verloren, da diese Wanderung auf jeden Fall der Kinderzeit
des Volkes angehört und dessen geschichtliche Entwicklung in
Italien beginnt und endet. Indess ist kaum eine Frage eifri-
ger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der

Röm. Gesch. I. 6

DIE ETRUSKER.
davon könnte aus Latium nach Etrurien gekommen sein, wie
die Götternamen Minerva, Lasa, Neptunus, die entschieden
italischen Ursprungs sind, oder wenigstens in romanisirten
Formen uns überliefert sein, wie zum Beispiel der Name der
etruskischen Göttin Voltumna mit lateinischer Endung. Siche-
rer deuten allerdings einzelne Spuren wenigstens auf indoger-
manischen Ursprung; wie namentlich mi im Anfang vieler
älterer Inschriften sicher ἐμί, εἰμί ist und die Genitivform
consonantischer Stämme veneruf, rafuvuf im Lateinischen
genau sich wiederfindet und der alten sanskritischen Endung
as entspricht. Ebenso hängt der Name des etruskischen Zeus
Tina oder Tinia wohl ebenso mit dem sanskritischen dina=
Tag zusammen, wie Záv mit dem gleichbedeutenden diwan.
Aber mag auch, wie allerdings wahrscheinlich ist, die etruski-
sche Sprache dem indogermanischen Stamm angehören, so
steht sie doch von den sämmtlichen griechisch-italischen Idio-
men ebenso weit ab wie die Sprache der Kelten und der
Slaven; und so klang sie auch den Römern: ‚tuskisch und
gallisch‘ sind Barbarensprachen, ‚oskisch und volskisch‘ Bauern-
mundarten. Ebenso wenig wie dem griechisch-italischen ist
es gelungen die tuskische Sprache irgend einem andern be-
kannten Sprachstamm anzuschlieſsen; bis jetzt wenigstens sind
sämmtliche Sprachen in dieser Beziehung bald mit der ein-
fachen, bald mit der peinlichen Frage, aber immer vergeblich
befragt worden. Mit dem Baskischen, an das sich der geogra-
phischen Lage nach noch am ersten denken lieſse, haben ent-
scheidende Analogien sich nicht herausgestellt; ebenso wenig
deuten die geringen Reste der ligurischen Sprache in Orts-
und Personennamen auf Zusammenhang mit den Tuskern.
Selbst die verschollene Nation, die auf den Inseln des tuski-
schen Meeres, namenlich auf Sardinien, jene räthselhaften
Grabthürme (Nurhagen genannt) zu tausenden aufgeführt hat,
kann nicht die etruskische gewesen sein, da in deren Gebiet
kein einziges gleichartiges Gebäude vorkommt. Die Etrusker,
sagt schon Dionysios, stehen keinem Volke gleich an Sprache
und Sitte; und weiter haben auch wir nichts zu sagen.

Ebenso wenig läſst sich bestimmen, von wo die Etrusker
nach Italien eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel
verloren, da diese Wanderung auf jeden Fall der Kinderzeit
des Volkes angehört und dessen geschichtliche Entwicklung in
Italien beginnt und endet. Indeſs ist kaum eine Frage eifri-
ger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der

Röm. Gesch. I. 6
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[81/0095] DIE ETRUSKER. davon könnte aus Latium nach Etrurien gekommen sein, wie die Götternamen Minerva, Lasa, Neptunus, die entschieden italischen Ursprungs sind, oder wenigstens in romanisirten Formen uns überliefert sein, wie zum Beispiel der Name der etruskischen Göttin Voltumna mit lateinischer Endung. Siche- rer deuten allerdings einzelne Spuren wenigstens auf indoger- manischen Ursprung; wie namentlich mi im Anfang vieler älterer Inschriften sicher ἐμί, εἰμί ist und die Genitivform consonantischer Stämme veneruf, rafuvuf im Lateinischen genau sich wiederfindet und der alten sanskritischen Endung as entspricht. Ebenso hängt der Name des etruskischen Zeus Tina oder Tinia wohl ebenso mit dem sanskritischen dina= Tag zusammen, wie Záv mit dem gleichbedeutenden diwan. Aber mag auch, wie allerdings wahrscheinlich ist, die etruski- sche Sprache dem indogermanischen Stamm angehören, so steht sie doch von den sämmtlichen griechisch-italischen Idio- men ebenso weit ab wie die Sprache der Kelten und der Slaven; und so klang sie auch den Römern: ‚tuskisch und gallisch‘ sind Barbarensprachen, ‚oskisch und volskisch‘ Bauern- mundarten. Ebenso wenig wie dem griechisch-italischen ist es gelungen die tuskische Sprache irgend einem andern be- kannten Sprachstamm anzuschlieſsen; bis jetzt wenigstens sind sämmtliche Sprachen in dieser Beziehung bald mit der ein- fachen, bald mit der peinlichen Frage, aber immer vergeblich befragt worden. Mit dem Baskischen, an das sich der geogra- phischen Lage nach noch am ersten denken lieſse, haben ent- scheidende Analogien sich nicht herausgestellt; ebenso wenig deuten die geringen Reste der ligurischen Sprache in Orts- und Personennamen auf Zusammenhang mit den Tuskern. Selbst die verschollene Nation, die auf den Inseln des tuski- schen Meeres, namenlich auf Sardinien, jene räthselhaften Grabthürme (Nurhagen genannt) zu tausenden aufgeführt hat, kann nicht die etruskische gewesen sein, da in deren Gebiet kein einziges gleichartiges Gebäude vorkommt. Die Etrusker, sagt schon Dionysios, stehen keinem Volke gleich an Sprache und Sitte; und weiter haben auch wir nichts zu sagen. Ebenso wenig läſst sich bestimmen, von wo die Etrusker nach Italien eingewandert sind; und hiermit ist nicht viel verloren, da diese Wanderung auf jeden Fall der Kinderzeit des Volkes angehört und dessen geschichtliche Entwicklung in Italien beginnt und endet. Indeſs ist kaum eine Frage eifri- ger verhandelt worden als diese, nach jenem Grundsatz der Röm. Gesch. I. 6

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/95>, abgerufen am 22.11.2024.