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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
an jeder Thüre für die Göttin eine Gabe heischen liessen, war
damit übergesiedelt nach Rom, und wenn auch zunächst man
streng darauf hielt, dass die Priester dieser neuen Göttin --
die Galli und ihr Haupt, der Archigallus -- nicht Römer
waren, sondern Kleinasiaten, so musste dennoch dies sinnlich-
mönchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stim-
mung und die Anschauung des Volkes sein. Die goldene Zeit
der Bettelpropheten beginnt; vergeblich stemmten die einsich-
tigeren Männer sich gegen das um sich greifende Gesindel.
Die Polizei wies die Schwindler aus der Hauptstadt; der Senat
verbot jede nicht vom Staat gestattete Gottesverehrung; allein
wenn einmal die Köpfe verrückt sind, so legen sie selbst auf
höhern Befehl nicht sofort sich zur Ruhe. Mehr nützte es, wenn
ein Gutsherr seinem Meier in den Contract setzte: ,dass er kein
Opfer darbringen dürfe anders als an dem Markfest auf dem
Grenzaltar oder auf seinem eigenen Heerd, und dass er nicht
befragen solle weder einen Eingeweidebesichtiger noch einen
Vogelschauer noch einen Wahrsager noch einen Chaldäer' --
wie Cato that und anrieth; allein solche strenge Zucht war
auch nicht mehr nach dem Geschmack der Zeit. Nicht bloss
machte jeder ausländische Schwindel Glück in den niederen
wie in den höheren Kreisen, sondern es ward auch schon
einheimischer geliefert; so entdeckte man zum Beispiel im
Jahre 573 die hinterlassenen Schriften des Königs Numa, in
denen ganz neuer und seltsamer Gottesdienst vorgeschrieben
gewesen sein soll -- mehr als dies und dass die Bücher sehr
neu ausgesehen hätten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu
ihrem Leidwesen nicht, denn der Senat legte die Hand auf
die Rollen und liess sie kurzweg ins Feuer werfen. Wohin
das führen konnte, zeigt der bakchische Geheimdienst, der
durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien und
von da aus nach Rom und über ganz Italien verbreitet wor-
den war -- eine Muckerwirthschaft der scheusslichsten Art,
mit Unzucht, Testamentsfälschungen und Giftmischerei im Ge-
folge, um sich fressend wie ein Krebs und überall die Fami-
lien zerrüttend. Der Senat schritt ein mit furchtbarem, aber
heilsamem Nachdruck, als die Sache zur Anzeige kam (568);
die Behörden verurtheilten über 7000 Menschen, grossentheils
zum Tode, und strenge Vorschriften ergingen für die Zukunft.
Dennoch ging die Wirthschaft fort; noch 574 klagte der be-
treffende Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurtheilt
worden seien und noch kein Ende sich absehen lasse. Die

VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
an jeder Thüre für die Göttin eine Gabe heischen lieſsen, war
damit übergesiedelt nach Rom, und wenn auch zunächst man
streng darauf hielt, daſs die Priester dieser neuen Göttin —
die Galli und ihr Haupt, der Archigallus — nicht Römer
waren, sondern Kleinasiaten, so muſste dennoch dies sinnlich-
mönchische Treiben vom wesentlichsten Einfluſs auf die Stim-
mung und die Anschauung des Volkes sein. Die goldene Zeit
der Bettelpropheten beginnt; vergeblich stemmten die einsich-
tigeren Männer sich gegen das um sich greifende Gesindel.
Die Polizei wies die Schwindler aus der Hauptstadt; der Senat
verbot jede nicht vom Staat gestattete Gottesverehrung; allein
wenn einmal die Köpfe verrückt sind, so legen sie selbst auf
höhern Befehl nicht sofort sich zur Ruhe. Mehr nützte es, wenn
ein Gutsherr seinem Meier in den Contract setzte: ‚daſs er kein
Opfer darbringen dürfe anders als an dem Markfest auf dem
Grenzaltar oder auf seinem eigenen Heerd, und daſs er nicht
befragen solle weder einen Eingeweidebesichtiger noch einen
Vogelschauer noch einen Wahrsager noch einen Chaldäer‘ —
wie Cato that und anrieth; allein solche strenge Zucht war
auch nicht mehr nach dem Geschmack der Zeit. Nicht bloſs
machte jeder ausländische Schwindel Glück in den niederen
wie in den höheren Kreisen, sondern es ward auch schon
einheimischer geliefert; so entdeckte man zum Beispiel im
Jahre 573 die hinterlassenen Schriften des Königs Numa, in
denen ganz neuer und seltsamer Gottesdienst vorgeschrieben
gewesen sein soll — mehr als dies und daſs die Bücher sehr
neu ausgesehen hätten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu
ihrem Leidwesen nicht, denn der Senat legte die Hand auf
die Rollen und lieſs sie kurzweg ins Feuer werfen. Wohin
das führen konnte, zeigt der bakchische Geheimdienst, der
durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien und
von da aus nach Rom und über ganz Italien verbreitet wor-
den war — eine Muckerwirthschaft der scheuſslichsten Art,
mit Unzucht, Testamentsfälschungen und Giftmischerei im Ge-
folge, um sich fressend wie ein Krebs und überall die Fami-
lien zerrüttend. Der Senat schritt ein mit furchtbarem, aber
heilsamem Nachdruck, als die Sache zur Anzeige kam (568);
die Behörden verurtheilten über 7000 Menschen, groſsentheils
zum Tode, und strenge Vorschriften ergingen für die Zukunft.
Dennoch ging die Wirthschaft fort; noch 574 klagte der be-
treffende Beamte, daſs wieder 3000 Menschen verurtheilt
worden seien und noch kein Ende sich absehen lasse. Die

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[639/0653] VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. an jeder Thüre für die Göttin eine Gabe heischen lieſsen, war damit übergesiedelt nach Rom, und wenn auch zunächst man streng darauf hielt, daſs die Priester dieser neuen Göttin — die Galli und ihr Haupt, der Archigallus — nicht Römer waren, sondern Kleinasiaten, so muſste dennoch dies sinnlich- mönchische Treiben vom wesentlichsten Einfluſs auf die Stim- mung und die Anschauung des Volkes sein. Die goldene Zeit der Bettelpropheten beginnt; vergeblich stemmten die einsich- tigeren Männer sich gegen das um sich greifende Gesindel. Die Polizei wies die Schwindler aus der Hauptstadt; der Senat verbot jede nicht vom Staat gestattete Gottesverehrung; allein wenn einmal die Köpfe verrückt sind, so legen sie selbst auf höhern Befehl nicht sofort sich zur Ruhe. Mehr nützte es, wenn ein Gutsherr seinem Meier in den Contract setzte: ‚daſs er kein Opfer darbringen dürfe anders als an dem Markfest auf dem Grenzaltar oder auf seinem eigenen Heerd, und daſs er nicht befragen solle weder einen Eingeweidebesichtiger noch einen Vogelschauer noch einen Wahrsager noch einen Chaldäer‘ — wie Cato that und anrieth; allein solche strenge Zucht war auch nicht mehr nach dem Geschmack der Zeit. Nicht bloſs machte jeder ausländische Schwindel Glück in den niederen wie in den höheren Kreisen, sondern es ward auch schon einheimischer geliefert; so entdeckte man zum Beispiel im Jahre 573 die hinterlassenen Schriften des Königs Numa, in denen ganz neuer und seltsamer Gottesdienst vorgeschrieben gewesen sein soll — mehr als dies und daſs die Bücher sehr neu ausgesehen hätten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht, denn der Senat legte die Hand auf die Rollen und lieſs sie kurzweg ins Feuer werfen. Wohin das führen konnte, zeigt der bakchische Geheimdienst, der durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien und von da aus nach Rom und über ganz Italien verbreitet wor- den war — eine Muckerwirthschaft der scheuſslichsten Art, mit Unzucht, Testamentsfälschungen und Giftmischerei im Ge- folge, um sich fressend wie ein Krebs und überall die Fami- lien zerrüttend. Der Senat schritt ein mit furchtbarem, aber heilsamem Nachdruck, als die Sache zur Anzeige kam (568); die Behörden verurtheilten über 7000 Menschen, groſsentheils zum Tode, und strenge Vorschriften ergingen für die Zukunft. Dennoch ging die Wirthschaft fort; noch 574 klagte der be- treffende Beamte, daſs wieder 3000 Menschen verurtheilt worden seien und noch kein Ende sich absehen lasse. Die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/653>, abgerufen am 25.11.2024.