Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. lenenthum ist weder bloss Anregung mehr noch bloss Neben-sache, sondern es möchte das lateinische Wesen geradezu verdrängen in Versmass und Dichtweise, Bau- und Bildkunst, Familie und Religion -- man möchte ein Grieche werden mit seinem ganzen inneren Leben und nur eben fortfahren mit römischen Worten zu reden. Die Ursache liegt nahe. Rom hatte die Epoche der Civilisation erreicht, wo ein rei- cheres geistiges Leben anfängt Bedürfniss zu werden; und wie die germanischen Nationen, Engländer wie Deutsche, in den Pausen ihrer eigenen Productivität es nicht verschmähten die armselige französische Civilisation sich anzueignen, so warf sich die überhaupt unproductive italische Nation mit all ihrem Sinnen und Denken auf die herrlichen Schätze wie auf den schandbaren Unflat der hellenischen Cultur. Diese ein- reissende neue Sitte aber weckt unvermeidlich ein Gegenstreben; wie bei uns der französische Frack den germanischen Deutschrock gerufen hat, so in Rom das fremde Wesen denjenigen Geist, der gleichsam verkörpert erscheint in Marcus Porcius Cato (520-605). Er pflegt als das Muster des ächten Römers angesehen zu werden, weil er der letzte namhafte Staatsmann der alten Schule war. Mit grösserem Recht gilt er als der Repräsentant der nationalen Opposition gegen den italischen Hellenismus. Beim Pfluge hergekommen und in die politische Laufbahn gezogen durch seinen Gutsnachbar, einen der we- nigen Adlichen die dem Zug der Zeit abhold waren, Lucius Valerius Flaccus, der in dem derben sabinischen Bauer den rechten Mann erkannte um dem Strom der Zeit sich ent- gegenzustemmen, hat er sein langes Leben daran gesetzt diese Aufgabe redlich wie er es verstand nach allen Seiten hin zu lösen und noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schön -- grüne Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rothe Haare -- und politisch wie sittlich gründlich bornirt; aber die elegante Corruption in und ausser dem Senat zitterte doch im Geheimen vor dem derben tref- fenden Bauernwitz des furchtlosen und schlagfertigen Mannes, des narbenbedeckten Veteranen aus dem hannibalischen Kriege, wenn er einem nach dem andern seiner vornehmen Collegen sein Sündenregister auf dem Markt vorhielt, allerdings ohne es mit den Beweisen sehr genau zu nehmen und freilich auch immer mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persönlich gereizt hatten. Die Scipionen und die Flaminine sahen zwar 40*
VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. lenenthum ist weder bloſs Anregung mehr noch bloſs Neben-sache, sondern es möchte das lateinische Wesen geradezu verdrängen in Versmaſs und Dichtweise, Bau- und Bildkunst, Familie und Religion — man möchte ein Grieche werden mit seinem ganzen inneren Leben und nur eben fortfahren mit römischen Worten zu reden. Die Ursache liegt nahe. Rom hatte die Epoche der Civilisation erreicht, wo ein rei- cheres geistiges Leben anfängt Bedürfniſs zu werden; und wie die germanischen Nationen, Engländer wie Deutsche, in den Pausen ihrer eigenen Productivität es nicht verschmähten die armselige französische Civilisation sich anzueignen, so warf sich die überhaupt unproductive italische Nation mit all ihrem Sinnen und Denken auf die herrlichen Schätze wie auf den schandbaren Unflat der hellenischen Cultur. Diese ein- reiſsende neue Sitte aber weckt unvermeidlich ein Gegenstreben; wie bei uns der französische Frack den germanischen Deutschrock gerufen hat, so in Rom das fremde Wesen denjenigen Geist, der gleichsam verkörpert erscheint in Marcus Porcius Cato (520-605). Er pflegt als das Muster des ächten Römers angesehen zu werden, weil er der letzte namhafte Staatsmann der alten Schule war. Mit gröſserem Recht gilt er als der Repräsentant der nationalen Opposition gegen den italischen Hellenismus. Beim Pfluge hergekommen und in die politische Laufbahn gezogen durch seinen Gutsnachbar, einen der we- nigen Adlichen die dem Zug der Zeit abhold waren, Lucius Valerius Flaccus, der in dem derben sabinischen Bauer den rechten Mann erkannte um dem Strom der Zeit sich ent- gegenzustemmen, hat er sein langes Leben daran gesetzt diese Aufgabe redlich wie er es verstand nach allen Seiten hin zu lösen und noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schön — grüne Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rothe Haare — und politisch wie sittlich gründlich bornirt; aber die elegante Corruption in und auſser dem Senat zitterte doch im Geheimen vor dem derben tref- fenden Bauernwitz des furchtlosen und schlagfertigen Mannes, des narbenbedeckten Veteranen aus dem hannibalischen Kriege, wenn er einem nach dem andern seiner vornehmen Collegen sein Sündenregister auf dem Markt vorhielt, allerdings ohne es mit den Beweisen sehr genau zu nehmen und freilich auch immer mit besonderem Genuſs denjenigen, die ihn persönlich gereizt hatten. Die Scipionen und die Flaminine sahen zwar 40*
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VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
lenenthum ist weder bloſs Anregung mehr noch bloſs Neben-
sache, sondern es möchte das lateinische Wesen geradezu
verdrängen in Versmaſs und Dichtweise, Bau- und Bildkunst,
Familie und Religion — man möchte ein Grieche werden
mit seinem ganzen inneren Leben und nur eben fortfahren
mit römischen Worten zu reden. Die Ursache liegt nahe.
Rom hatte die Epoche der Civilisation erreicht, wo ein rei-
cheres geistiges Leben anfängt Bedürfniſs zu werden; und
wie die germanischen Nationen, Engländer wie Deutsche, in
den Pausen ihrer eigenen Productivität es nicht verschmähten
die armselige französische Civilisation sich anzueignen, so
warf sich die überhaupt unproductive italische Nation mit all
ihrem Sinnen und Denken auf die herrlichen Schätze wie auf
den schandbaren Unflat der hellenischen Cultur. Diese ein-
reiſsende neue Sitte aber weckt unvermeidlich ein Gegenstreben;
wie bei uns der französische Frack den germanischen Deutschrock
gerufen hat, so in Rom das fremde Wesen denjenigen Geist,
der gleichsam verkörpert erscheint in Marcus Porcius Cato
(520-605). Er pflegt als das Muster des ächten Römers
angesehen zu werden, weil er der letzte namhafte Staatsmann
der alten Schule war. Mit gröſserem Recht gilt er als der
Repräsentant der nationalen Opposition gegen den italischen
Hellenismus. Beim Pfluge hergekommen und in die politische
Laufbahn gezogen durch seinen Gutsnachbar, einen der we-
nigen Adlichen die dem Zug der Zeit abhold waren, Lucius
Valerius Flaccus, der in dem derben sabinischen Bauer den
rechten Mann erkannte um dem Strom der Zeit sich ent-
gegenzustemmen, hat er sein langes Leben daran gesetzt diese
Aufgabe redlich wie er es verstand nach allen Seiten hin zu
lösen und noch in seinem fünfundachtzigsten Jahr auf dem
Marktplatz dem neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war
nichts weniger als schön — grüne Augen habe er, behaupteten
seine Feinde, und rothe Haare — und politisch wie sittlich
gründlich bornirt; aber die elegante Corruption in und auſser
dem Senat zitterte doch im Geheimen vor dem derben tref-
fenden Bauernwitz des furchtlosen und schlagfertigen Mannes,
des narbenbedeckten Veteranen aus dem hannibalischen Kriege,
wenn er einem nach dem andern seiner vornehmen Collegen
sein Sündenregister auf dem Markt vorhielt, allerdings ohne
es mit den Beweisen sehr genau zu nehmen und freilich auch
immer mit besonderem Genuſs denjenigen, die ihn persönlich
gereizt hatten. Die Scipionen und die Flaminine sahen zwar
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