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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Linnen und tyrischen Purpur, aber so viel wir wissen, ward
weder im Ausland noch im Inland von Italikern fabricirt. --
Während also der bisherige Mittelstand zu siechen beginnt,
und die Bauerschaft droht sich in Gutsbesitzer und Tagelöhner
oder Sclaven aufzulösen, bildet sich eine neue Mittelklasse
von Banquiers, die hinter dem senatorischen Stand mehr an
Geburt, Rang und Einfluss zurückstehen als an Vermögen.
Es sind die Anfänge des Ritterstandes.

Dass die Latinisirung Italiens in dieser Epoche rasch
vorschritt, ist begreiflich und war für das Land ein Glück.
Ausser den allgemeinen Umständen, die sie förderten, waren
es wieder besonders die Colonien und Einzelassignationen,
durch die die latinische Bevölkerung im Brettierland, in Pice-
num, vor allem im Pothal sich ausbreitete. Nur dem Grie-
chenthum gegenüber machte das latinische Wesen keine Er-
oberungen, wie es eben auch in den Verhältnissen dieser
hellenisirenden Epoche liegt; die Griechenstädte in Italien
blieben was sie waren, so weit nicht der Krieg sie zernichtete,
und in Apulien, das wie kein anderer Theil Italiens von den
Römern vernachlässigt ward und fast ganz mit Colonien ver-
schont blieb, scheint in dieser Epoche der Hellenismus voll-
ständig geherrscht und hier eine localgriechische Civilisation
ins Leben gerufen zu haben, die unter dem Einfluss der ver-
blühenden hellenischen Cultur stand. Die Ueberlieferung
schweigt zwar davon; aber die zahlreichen städtischen Münzen
durchgängig mit griechischer Aufschrift und die Vasenmalerei,
die hier allein in Italien in grossem Umfang, aber mit mehr
Pracht als Geschmack betrieben ward, zeigen uns Apulien voll-
ständig eingegangen in den Kreis griechischer Art und Sitte. --
Weit wichtiger indess als diese vereinzelte Erscheinung ist das
hellenisirende Wesen, das in der latinischen Nation auf jedem
Gebiet des Denkens und Handelns sich eindrängt und im
heftigsten Kampfe mit der Richtung, die an dem Glauben
und dem Leben der Väter festhält, immer weiter Boden ge-
winnt. Wohl haben Beziehungen zu Hellas und Einwirkung des
Griechenthums auf Rom auch in den beiden ersten Perioden
schon bestanden; zuerst die naive und originelle Aufnahme
der frischen Anregung, wie sie das jugendliche Griechenthum
den Italikern darbot, dann ein äusserliches Anschliessen an
den hellenischen Volkskreis und die Aneignung der Sprache
und der Erfindungen der Griechen um den praktischen Be-
dürfnissen zu genügen. Allein jetzt ist es anders; das Hel-

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Linnen und tyrischen Purpur, aber so viel wir wissen, ward
weder im Ausland noch im Inland von Italikern fabricirt. —
Während also der bisherige Mittelstand zu siechen beginnt,
und die Bauerschaft droht sich in Gutsbesitzer und Tagelöhner
oder Sclaven aufzulösen, bildet sich eine neue Mittelklasse
von Banquiers, die hinter dem senatorischen Stand mehr an
Geburt, Rang und Einfluſs zurückstehen als an Vermögen.
Es sind die Anfänge des Ritterstandes.

Daſs die Latinisirung Italiens in dieser Epoche rasch
vorschritt, ist begreiflich und war für das Land ein Glück.
Auſser den allgemeinen Umständen, die sie förderten, waren
es wieder besonders die Colonien und Einzelassignationen,
durch die die latinische Bevölkerung im Brettierland, in Pice-
num, vor allem im Pothal sich ausbreitete. Nur dem Grie-
chenthum gegenüber machte das latinische Wesen keine Er-
oberungen, wie es eben auch in den Verhältnissen dieser
hellenisirenden Epoche liegt; die Griechenstädte in Italien
blieben was sie waren, so weit nicht der Krieg sie zernichtete,
und in Apulien, das wie kein anderer Theil Italiens von den
Römern vernachlässigt ward und fast ganz mit Colonien ver-
schont blieb, scheint in dieser Epoche der Hellenismus voll-
ständig geherrscht und hier eine localgriechische Civilisation
ins Leben gerufen zu haben, die unter dem Einfluſs der ver-
blühenden hellenischen Cultur stand. Die Ueberlieferung
schweigt zwar davon; aber die zahlreichen städtischen Münzen
durchgängig mit griechischer Aufschrift und die Vasenmalerei,
die hier allein in Italien in groſsem Umfang, aber mit mehr
Pracht als Geschmack betrieben ward, zeigen uns Apulien voll-
ständig eingegangen in den Kreis griechischer Art und Sitte. —
Weit wichtiger indeſs als diese vereinzelte Erscheinung ist das
hellenisirende Wesen, das in der latinischen Nation auf jedem
Gebiet des Denkens und Handelns sich eindrängt und im
heftigsten Kampfe mit der Richtung, die an dem Glauben
und dem Leben der Väter festhält, immer weiter Boden ge-
winnt. Wohl haben Beziehungen zu Hellas und Einwirkung des
Griechenthums auf Rom auch in den beiden ersten Perioden
schon bestanden; zuerst die naive und originelle Aufnahme
der frischen Anregung, wie sie das jugendliche Griechenthum
den Italikern darbot, dann ein äuſserliches Anschlieſsen an
den hellenischen Volkskreis und die Aneignung der Sprache
und der Erfindungen der Griechen um den praktischen Be-
dürfnissen zu genügen. Allein jetzt ist es anders; das Hel-

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[626/0640] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Linnen und tyrischen Purpur, aber so viel wir wissen, ward weder im Ausland noch im Inland von Italikern fabricirt. — Während also der bisherige Mittelstand zu siechen beginnt, und die Bauerschaft droht sich in Gutsbesitzer und Tagelöhner oder Sclaven aufzulösen, bildet sich eine neue Mittelklasse von Banquiers, die hinter dem senatorischen Stand mehr an Geburt, Rang und Einfluſs zurückstehen als an Vermögen. Es sind die Anfänge des Ritterstandes. Daſs die Latinisirung Italiens in dieser Epoche rasch vorschritt, ist begreiflich und war für das Land ein Glück. Auſser den allgemeinen Umständen, die sie förderten, waren es wieder besonders die Colonien und Einzelassignationen, durch die die latinische Bevölkerung im Brettierland, in Pice- num, vor allem im Pothal sich ausbreitete. Nur dem Grie- chenthum gegenüber machte das latinische Wesen keine Er- oberungen, wie es eben auch in den Verhältnissen dieser hellenisirenden Epoche liegt; die Griechenstädte in Italien blieben was sie waren, so weit nicht der Krieg sie zernichtete, und in Apulien, das wie kein anderer Theil Italiens von den Römern vernachlässigt ward und fast ganz mit Colonien ver- schont blieb, scheint in dieser Epoche der Hellenismus voll- ständig geherrscht und hier eine localgriechische Civilisation ins Leben gerufen zu haben, die unter dem Einfluſs der ver- blühenden hellenischen Cultur stand. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen städtischen Münzen durchgängig mit griechischer Aufschrift und die Vasenmalerei, die hier allein in Italien in groſsem Umfang, aber mit mehr Pracht als Geschmack betrieben ward, zeigen uns Apulien voll- ständig eingegangen in den Kreis griechischer Art und Sitte. — Weit wichtiger indeſs als diese vereinzelte Erscheinung ist das hellenisirende Wesen, das in der latinischen Nation auf jedem Gebiet des Denkens und Handelns sich eindrängt und im heftigsten Kampfe mit der Richtung, die an dem Glauben und dem Leben der Väter festhält, immer weiter Boden ge- winnt. Wohl haben Beziehungen zu Hellas und Einwirkung des Griechenthums auf Rom auch in den beiden ersten Perioden schon bestanden; zuerst die naive und originelle Aufnahme der frischen Anregung, wie sie das jugendliche Griechenthum den Italikern darbot, dann ein äuſserliches Anschlieſsen an den hellenischen Volkskreis und die Aneignung der Sprache und der Erfindungen der Griechen um den praktischen Be- dürfnissen zu genügen. Allein jetzt ist es anders; das Hel-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/640>, abgerufen am 22.11.2024.