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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Angriffs von Gaius Flaminius sich mehr und mehr befestigte,
von Haus aus zur Guts- und zur Weidewirthschaft einluden;
denn die Regierung war thöricht genug den Einzelnen regel-
mässig grössere Striche occupiren zu lassen und die Occu-
panten fühlten keineswegs sich geneigt in einen so unsichern
Besitz Bau- und Bestellungskosten hineinzustecken. Schon
jetzt klagten die Einsichtigen laut über die Ausdehnung der
Gutswirthschaft und das Verschwinden der Bauerstellen; auf
die weitausgedehnten und neben und gleich Eigenthum
besessenen Possessionen der Vornehmen im cisalpinischen
Gallien, in Samnium, in Apulien, im Brettierland hinweisend
forderte Cato Abhülfe des Uebels und zunächst neue und
umfängliche Landanweisungen. Es war dies nicht ganz ver-
geblich. Die weise Colonisation der Landschaft zwischen den
Apenninen und dem Po trug ihre Früchte; die zahlreichen
neugegründeten Bauerstellen daselbst verschwanden nicht so
schnell und Polybios, der bald nach dem Ende dieser Periode
die Gegend bereiste, rühmt deren zahlreiche, schöne und kräf-
tige Bevölkerung. Wenn man das Interesse des Landes ver-
standen hätte, so hätte diese Landschaft werden müssen, was
Sicilien war: die Kornkammer Italiens. In ähnlicher Weise
war für Picenum die Auftheilung der Possessionen durch
Gaius Flaminius 522 nützlich geworden -- eine Massregel,
die nicht aus den reinsten Absichten hervorgegangen sein
mag, in ihren Wirkungen aber sich nützlich erwies; indess
hatte die Gegend im hannibalischen Kriege viel auszustehen
gehabt. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die
inneren Verhältnisse schon von Haus aus dem Gedeihen eines
freien Bauerstandes ungünstig. Besser stand es in Latium,
dem der hauptstädtische Markt zu Gute kam, und in den
abgeschlossenen Bergthälern der Marser und Sabeller, die alle
der hannibalische Krieg im Ganzen verschont hatte. Samnium
dagegen, nach der Zählung von 529 die blühendste Landschaft
der Halbinsel nächst dem römischen Bürgerdistrict und da-
mals im Stande halb so viel Waffenfähige zu stellen als die
sämmtlichen latinischen Städte, hatte im hannibalischen Kriege
schwer gelitten; und die Ackeranweisungen daselbst an die
Soldaten des scipionischen Heeres deckten, obwohl bedeutend,
doch den Verlust nicht. Noch übler waren in demselben
Kriege Campanien und Apulien, beide bis dahin wohl bevöl-
kerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet wor-
den. In Apulien fanden später Assignationen statt, allein

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Angriffs von Gaius Flaminius sich mehr und mehr befestigte,
von Haus aus zur Guts- und zur Weidewirthschaft einluden;
denn die Regierung war thöricht genug den Einzelnen regel-
mäſsig gröſsere Striche occupiren zu lassen und die Occu-
panten fühlten keineswegs sich geneigt in einen so unsichern
Besitz Bau- und Bestellungskosten hineinzustecken. Schon
jetzt klagten die Einsichtigen laut über die Ausdehnung der
Gutswirthschaft und das Verschwinden der Bauerstellen; auf
die weitausgedehnten und neben und gleich Eigenthum
besessenen Possessionen der Vornehmen im cisalpinischen
Gallien, in Samnium, in Apulien, im Brettierland hinweisend
forderte Cato Abhülfe des Uebels und zunächst neue und
umfängliche Landanweisungen. Es war dies nicht ganz ver-
geblich. Die weise Colonisation der Landschaft zwischen den
Apenninen und dem Po trug ihre Früchte; die zahlreichen
neugegründeten Bauerstellen daselbst verschwanden nicht so
schnell und Polybios, der bald nach dem Ende dieser Periode
die Gegend bereiste, rühmt deren zahlreiche, schöne und kräf-
tige Bevölkerung. Wenn man das Interesse des Landes ver-
standen hätte, so hätte diese Landschaft werden müssen, was
Sicilien war: die Kornkammer Italiens. In ähnlicher Weise
war für Picenum die Auftheilung der Possessionen durch
Gaius Flaminius 522 nützlich geworden — eine Maſsregel,
die nicht aus den reinsten Absichten hervorgegangen sein
mag, in ihren Wirkungen aber sich nützlich erwies; indeſs
hatte die Gegend im hannibalischen Kriege viel auszustehen
gehabt. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die
inneren Verhältnisse schon von Haus aus dem Gedeihen eines
freien Bauerstandes ungünstig. Besser stand es in Latium,
dem der hauptstädtische Markt zu Gute kam, und in den
abgeschlossenen Bergthälern der Marser und Sabeller, die alle
der hannibalische Krieg im Ganzen verschont hatte. Samnium
dagegen, nach der Zählung von 529 die blühendste Landschaft
der Halbinsel nächst dem römischen Bürgerdistrict und da-
mals im Stande halb so viel Waffenfähige zu stellen als die
sämmtlichen latinischen Städte, hatte im hannibalischen Kriege
schwer gelitten; und die Ackeranweisungen daselbst an die
Soldaten des scipionischen Heeres deckten, obwohl bedeutend,
doch den Verlust nicht. Noch übler waren in demselben
Kriege Campanien und Apulien, beide bis dahin wohl bevöl-
kerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet wor-
den. In Apulien fanden später Assignationen statt, allein

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[622/0636] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Angriffs von Gaius Flaminius sich mehr und mehr befestigte, von Haus aus zur Guts- und zur Weidewirthschaft einluden; denn die Regierung war thöricht genug den Einzelnen regel- mäſsig gröſsere Striche occupiren zu lassen und die Occu- panten fühlten keineswegs sich geneigt in einen so unsichern Besitz Bau- und Bestellungskosten hineinzustecken. Schon jetzt klagten die Einsichtigen laut über die Ausdehnung der Gutswirthschaft und das Verschwinden der Bauerstellen; auf die weitausgedehnten und neben und gleich Eigenthum besessenen Possessionen der Vornehmen im cisalpinischen Gallien, in Samnium, in Apulien, im Brettierland hinweisend forderte Cato Abhülfe des Uebels und zunächst neue und umfängliche Landanweisungen. Es war dies nicht ganz ver- geblich. Die weise Colonisation der Landschaft zwischen den Apenninen und dem Po trug ihre Früchte; die zahlreichen neugegründeten Bauerstellen daselbst verschwanden nicht so schnell und Polybios, der bald nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, rühmt deren zahlreiche, schöne und kräf- tige Bevölkerung. Wenn man das Interesse des Landes ver- standen hätte, so hätte diese Landschaft werden müssen, was Sicilien war: die Kornkammer Italiens. In ähnlicher Weise war für Picenum die Auftheilung der Possessionen durch Gaius Flaminius 522 nützlich geworden — eine Maſsregel, die nicht aus den reinsten Absichten hervorgegangen sein mag, in ihren Wirkungen aber sich nützlich erwies; indeſs hatte die Gegend im hannibalischen Kriege viel auszustehen gehabt. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren Verhältnisse schon von Haus aus dem Gedeihen eines freien Bauerstandes ungünstig. Besser stand es in Latium, dem der hauptstädtische Markt zu Gute kam, und in den abgeschlossenen Bergthälern der Marser und Sabeller, die alle der hannibalische Krieg im Ganzen verschont hatte. Samnium dagegen, nach der Zählung von 529 die blühendste Landschaft der Halbinsel nächst dem römischen Bürgerdistrict und da- mals im Stande halb so viel Waffenfähige zu stellen als die sämmtlichen latinischen Städte, hatte im hannibalischen Kriege schwer gelitten; und die Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des scipionischen Heeres deckten, obwohl bedeutend, doch den Verlust nicht. Noch übler waren in demselben Kriege Campanien und Apulien, beide bis dahin wohl bevöl- kerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet wor- den. In Apulien fanden später Assignationen statt, allein

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/636>, abgerufen am 25.11.2024.