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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
sicht geschehen, dass man die Verfassung der Aemter nach
dem Muster der karthagischen ordnete oder vielmehr die kar-
thagische Provinzialverwaltung einfach beibehielt. Es war das
Hemd des Nessos, das man vom Feinde erbte. Die Herrschaft
der römischen Amtleute in den Aemtern konnte keine andere
sein als ein militärisches Willkürregiment, gegen dessen Ueber-
griffe in Gewaltthätigkeit und Spoliation es an aller ernstlichen
Schranke fehlte. Die finanziellen Lasten an sich, die Zehnten,
Zölle und Abgaben mochten erträglich sein; aber die willkür-
liche Steigerung derselben durch die Beamten und die ver-
kehrte Hebungsart drückten schwer auf die Provinzialen. Früh
riss dazu die verderbliche Sitte ein dem Amtmann ,Ehren-
wein' und andere ,freiwillige' Gaben zu verehren; schon Cato
musste in seiner Verwaltung Sardiniens im Jahre 556 sich
begnügen diese Hebungen zu reguliren und zu beschränken.
Ebenso ward das Vorspannrecht der in Staatsgeschäften Rei-
senden durch missbräuchliche Ausdehnung für die Unterthanen
eine schwere Last; ja sogar das Gastrecht, das die Beamten
auf der Durchreise in Anspruch nahmen, fing an Vorwand für
Erpressungen zu werden. Am übelsten aber war es, dass in
der Hebung der Steuern theils dem Ermessen der Beamten
zu viel überlassen ward, theils die römische Staatskasse, um
sich die Manipulation der Hebungen zu vereinfachen, durch-
gängig dieselben an Mittelsmänner übertrug, die gegen eine
feste Summe die Provinzialgefälle in Bausch und Bogen ein-
handelten und sie dann auf eigene Rechnung und Gefahr ein-
zogen. So konnte es vorkommen, dass der Amtmann in die
einzelnen Städte Militärcommissare zur Beförderung der He-
bungen bestellte; dass er die Steuerpflichtigen anwies anstatt
des schuldigen Zehntenkorns den Werth in Geld nach der
Schätzung des Amtmanns abzuliefern; dass wenn ein Dop-
pelzehnten erhoben und, wie in solchem Falle billig und
üblich, für den zweiten Zehnten von dem römischen Schatze
eine Vergütung gegeben ward, der Amtmann nach eigenem
Ermessen das Mass der Vergütung bestimmte -- lauter Miss-
bräuche, welche der Senat auf die Klagen der Spanier den
dortigen Statthaltern im Jahre 583 untersagte. Schlimmer aber
noch als die willkürlichen Hebungsvorschriften, die die Beam-
ten erliessen, war die mitleidlose Strenge der Generalsteuer-
pächter. Wie arg es schon war, zeigt zum Beispiel, dass der
Senat im Jahre 587 die Sistirung des makedonischen Gruben-
baus hauptsächlich desshalb beschloss, weil, wo Staatspächter

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
sicht geschehen, daſs man die Verfassung der Aemter nach
dem Muster der karthagischen ordnete oder vielmehr die kar-
thagische Provinzialverwaltung einfach beibehielt. Es war das
Hemd des Nessos, das man vom Feinde erbte. Die Herrschaft
der römischen Amtleute in den Aemtern konnte keine andere
sein als ein militärisches Willkürregiment, gegen dessen Ueber-
griffe in Gewaltthätigkeit und Spoliation es an aller ernstlichen
Schranke fehlte. Die finanziellen Lasten an sich, die Zehnten,
Zölle und Abgaben mochten erträglich sein; aber die willkür-
liche Steigerung derselben durch die Beamten und die ver-
kehrte Hebungsart drückten schwer auf die Provinzialen. Früh
riſs dazu die verderbliche Sitte ein dem Amtmann ‚Ehren-
wein‘ und andere ‚freiwillige‘ Gaben zu verehren; schon Cato
muſste in seiner Verwaltung Sardiniens im Jahre 556 sich
begnügen diese Hebungen zu reguliren und zu beschränken.
Ebenso ward das Vorspannrecht der in Staatsgeschäften Rei-
senden durch miſsbräuchliche Ausdehnung für die Unterthanen
eine schwere Last; ja sogar das Gastrecht, das die Beamten
auf der Durchreise in Anspruch nahmen, fing an Vorwand für
Erpressungen zu werden. Am übelsten aber war es, daſs in
der Hebung der Steuern theils dem Ermessen der Beamten
zu viel überlassen ward, theils die römische Staatskasse, um
sich die Manipulation der Hebungen zu vereinfachen, durch-
gängig dieselben an Mittelsmänner übertrug, die gegen eine
feste Summe die Provinzialgefälle in Bausch und Bogen ein-
handelten und sie dann auf eigene Rechnung und Gefahr ein-
zogen. So konnte es vorkommen, daſs der Amtmann in die
einzelnen Städte Militärcommissare zur Beförderung der He-
bungen bestellte; daſs er die Steuerpflichtigen anwies anstatt
des schuldigen Zehntenkorns den Werth in Geld nach der
Schätzung des Amtmanns abzuliefern; daſs wenn ein Dop-
pelzehnten erhoben und, wie in solchem Falle billig und
üblich, für den zweiten Zehnten von dem römischen Schatze
eine Vergütung gegeben ward, der Amtmann nach eigenem
Ermessen das Maſs der Vergütung bestimmte — lauter Miſs-
bräuche, welche der Senat auf die Klagen der Spanier den
dortigen Statthaltern im Jahre 583 untersagte. Schlimmer aber
noch als die willkürlichen Hebungsvorschriften, die die Beam-
ten erlieſsen, war die mitleidlose Strenge der Generalsteuer-
pächter. Wie arg es schon war, zeigt zum Beispiel, daſs der
Senat im Jahre 587 die Sistirung des makedonischen Gruben-
baus hauptsächlich deſshalb beschloſs, weil, wo Staatspächter

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[614/0628] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. sicht geschehen, daſs man die Verfassung der Aemter nach dem Muster der karthagischen ordnete oder vielmehr die kar- thagische Provinzialverwaltung einfach beibehielt. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feinde erbte. Die Herrschaft der römischen Amtleute in den Aemtern konnte keine andere sein als ein militärisches Willkürregiment, gegen dessen Ueber- griffe in Gewaltthätigkeit und Spoliation es an aller ernstlichen Schranke fehlte. Die finanziellen Lasten an sich, die Zehnten, Zölle und Abgaben mochten erträglich sein; aber die willkür- liche Steigerung derselben durch die Beamten und die ver- kehrte Hebungsart drückten schwer auf die Provinzialen. Früh riſs dazu die verderbliche Sitte ein dem Amtmann ‚Ehren- wein‘ und andere ‚freiwillige‘ Gaben zu verehren; schon Cato muſste in seiner Verwaltung Sardiniens im Jahre 556 sich begnügen diese Hebungen zu reguliren und zu beschränken. Ebenso ward das Vorspannrecht der in Staatsgeschäften Rei- senden durch miſsbräuchliche Ausdehnung für die Unterthanen eine schwere Last; ja sogar das Gastrecht, das die Beamten auf der Durchreise in Anspruch nahmen, fing an Vorwand für Erpressungen zu werden. Am übelsten aber war es, daſs in der Hebung der Steuern theils dem Ermessen der Beamten zu viel überlassen ward, theils die römische Staatskasse, um sich die Manipulation der Hebungen zu vereinfachen, durch- gängig dieselben an Mittelsmänner übertrug, die gegen eine feste Summe die Provinzialgefälle in Bausch und Bogen ein- handelten und sie dann auf eigene Rechnung und Gefahr ein- zogen. So konnte es vorkommen, daſs der Amtmann in die einzelnen Städte Militärcommissare zur Beförderung der He- bungen bestellte; daſs er die Steuerpflichtigen anwies anstatt des schuldigen Zehntenkorns den Werth in Geld nach der Schätzung des Amtmanns abzuliefern; daſs wenn ein Dop- pelzehnten erhoben und, wie in solchem Falle billig und üblich, für den zweiten Zehnten von dem römischen Schatze eine Vergütung gegeben ward, der Amtmann nach eigenem Ermessen das Maſs der Vergütung bestimmte — lauter Miſs- bräuche, welche der Senat auf die Klagen der Spanier den dortigen Statthaltern im Jahre 583 untersagte. Schlimmer aber noch als die willkürlichen Hebungsvorschriften, die die Beam- ten erlieſsen, war die mitleidlose Strenge der Generalsteuer- pächter. Wie arg es schon war, zeigt zum Beispiel, daſs der Senat im Jahre 587 die Sistirung des makedonischen Gruben- baus hauptsächlich deſshalb beschloſs, weil, wo Staatspächter

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/628>, abgerufen am 25.11.2024.