Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Erwerbung bedeutender materieller Vortheile gegen latinischesRecht aufzugeben. Eine tiefe Verstimmung riss ein zwischen der römischen Bürger- und der italischen Eidgenossenschaft; sie wagte zwar noch nicht laut zu werden, aber man durfte fragen, ob, wenn einmal ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien tragen sollte, er noch auf jenen felsenfesten Wider- stand stossen würde, an dem der Karthager gescheitert war. Andrerseits war man wieder darauf bedacht die Brücke abzu- brechen zwischen der italischen Eidgenossenschaft und den nichtitalischen Nationen; an der Nordgrenze, wo am ersten eine factische Verschmelzung eintreten konnte, war man be- müht sie vertragsmässig abzuschneiden und rückte desshalb in die Verträge mit den Keltenstämmen, die diesseit der Alpen geduldet wurden, die Clausel ein, dass keiner aus diesen Ge- meinden das römische Bürgerrecht je solle gewinnen dürfen. So standen die senatorischen Familien gegen die Bürger, die Bürger gegen die Italiker, die Italiker gegen die Ausländer in schroffer Abgeschlossenheit und die Regierung that was sie konnte dies politische Kastenwesen zu fördern und den Ge- gensatz der privilegirten gegen die zurückgesetzte Klasse in immer weiteren Kreisen sich wiederholen zu lassen. Endlich trat in dieser Epoche in den römischen Staats- VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE. Erwerbung bedeutender materieller Vortheile gegen latinischesRecht aufzugeben. Eine tiefe Verstimmung riſs ein zwischen der römischen Bürger- und der italischen Eidgenossenschaft; sie wagte zwar noch nicht laut zu werden, aber man durfte fragen, ob, wenn einmal ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien tragen sollte, er noch auf jenen felsenfesten Wider- stand stoſsen würde, an dem der Karthager gescheitert war. Andrerseits war man wieder darauf bedacht die Brücke abzu- brechen zwischen der italischen Eidgenossenschaft und den nichtitalischen Nationen; an der Nordgrenze, wo am ersten eine factische Verschmelzung eintreten konnte, war man be- müht sie vertragsmäſsig abzuschneiden und rückte deſshalb in die Verträge mit den Keltenstämmen, die diesseit der Alpen geduldet wurden, die Clausel ein, daſs keiner aus diesen Ge- meinden das römische Bürgerrecht je solle gewinnen dürfen. So standen die senatorischen Familien gegen die Bürger, die Bürger gegen die Italiker, die Italiker gegen die Ausländer in schroffer Abgeschlossenheit und die Regierung that was sie konnte dies politische Kastenwesen zu fördern und den Ge- gensatz der privilegirten gegen die zurückgesetzte Klasse in immer weiteren Kreisen sich wiederholen zu lassen. Endlich trat in dieser Epoche in den römischen Staats- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0627" n="613"/><fw place="top" type="header">VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.</fw><lb/> Erwerbung bedeutender materieller Vortheile gegen latinisches<lb/> Recht aufzugeben. 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Das<lb/> ältere römische Staatsrecht kannte eigentliche Unterthanen<lb/> nicht; die überwundenen Bürgerschaften wurden entweder in<lb/> die Sclaverei verkauft und vernichtet oder zu einem Bündniſs<lb/> zugelassen, das ihnen wenigstens die communale Selbstständig-<lb/> keit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein mit den Gebieten,<lb/> die man Karthago entriſs, ward zugleich der Grundsatz über-<lb/> nommen, daſs in den auswärtigen Besitzungen Land und Leute<lb/> nur bestimmt seien Geld zu machen für ihre Zwingherrn. Da<lb/> die drei ältesten römischen Aemter, Sicilien, wo man übrigens<lb/> auch in dem hieronischen Theil eine der karthagischen gleich-<lb/> artige Verwaltung vorgefunden hatte, Sardinien und das jen-<lb/> seitige Spanien, im Wesentlichen den Karthagern abgenommen<lb/> worden waren, ist es begreiflich und zunächst vielleicht mehr<lb/> aus Bequemlichkeit und Kurzsichtigkeit als in bestimmter Ab-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [613/0627]
VERFASSUNG UND INNERE VERHAELTNISSE.
Erwerbung bedeutender materieller Vortheile gegen latinisches
Recht aufzugeben. Eine tiefe Verstimmung riſs ein zwischen
der römischen Bürger- und der italischen Eidgenossenschaft;
sie wagte zwar noch nicht laut zu werden, aber man durfte
fragen, ob, wenn einmal ein zweiter Hannibal den Krieg nach
Italien tragen sollte, er noch auf jenen felsenfesten Wider-
stand stoſsen würde, an dem der Karthager gescheitert war.
Andrerseits war man wieder darauf bedacht die Brücke abzu-
brechen zwischen der italischen Eidgenossenschaft und den
nichtitalischen Nationen; an der Nordgrenze, wo am ersten
eine factische Verschmelzung eintreten konnte, war man be-
müht sie vertragsmäſsig abzuschneiden und rückte deſshalb in
die Verträge mit den Keltenstämmen, die diesseit der Alpen
geduldet wurden, die Clausel ein, daſs keiner aus diesen Ge-
meinden das römische Bürgerrecht je solle gewinnen dürfen.
So standen die senatorischen Familien gegen die Bürger, die
Bürger gegen die Italiker, die Italiker gegen die Ausländer in
schroffer Abgeschlossenheit und die Regierung that was sie
konnte dies politische Kastenwesen zu fördern und den Ge-
gensatz der privilegirten gegen die zurückgesetzte Klasse in
immer weiteren Kreisen sich wiederholen zu lassen.
Endlich trat in dieser Epoche in den römischen Staats-
verband eine neue Klasse von Staatsangehörigen ein, die der
älteren Zeit fremd und eigentlich dem Geiste der römischen
Institutionen zuwider war; es waren dies die Aemter, deren
es am Schluſs dieser Periode fünf gab: Sicilien, Sardinien mit
Corsica, das jen- und das diesseitige Spanien und Gallien, das
heiſst das Keltenland zwischen Apenninen und Alpen. Das
ältere römische Staatsrecht kannte eigentliche Unterthanen
nicht; die überwundenen Bürgerschaften wurden entweder in
die Sclaverei verkauft und vernichtet oder zu einem Bündniſs
zugelassen, das ihnen wenigstens die communale Selbstständig-
keit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein mit den Gebieten,
die man Karthago entriſs, ward zugleich der Grundsatz über-
nommen, daſs in den auswärtigen Besitzungen Land und Leute
nur bestimmt seien Geld zu machen für ihre Zwingherrn. Da
die drei ältesten römischen Aemter, Sicilien, wo man übrigens
auch in dem hieronischen Theil eine der karthagischen gleich-
artige Verwaltung vorgefunden hatte, Sardinien und das jen-
seitige Spanien, im Wesentlichen den Karthagern abgenommen
worden waren, ist es begreiflich und zunächst vielleicht mehr
aus Bequemlichkeit und Kurzsichtigkeit als in bestimmter Ab-
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