Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL X. blinde Furcht vor Karthago, theils der noch viel blindere hel-lenistische Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Römer in dieser Epoche so wenig bewiesen, dass sie vielmehr eine sehr verständige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall ist die römische Politik nicht die eines einzigen gewaltigen Kopfes oder eines in einer Familie sich forterbenden Dynastenstrebens, sondern die Politik einer sehr tüchtigen, aber etwas beschränkten Raths- herrenversammlung, die um Pläne in Caesars und Napoleons Sinn zu entwerfen der grossartigen Combination viel zu wenig und des richtigen Instincts für das Glück des Volkes viel zu viel gehabt hat. Die römische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde auf der staatlichen Entwicklung des Alterthums überhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und desshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch unschädlich zu ma- chen, wie Rom, was denn freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige Grossmacht des Alterthums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen und nur der Erfolg unterschied zwischen ihnen, da nach dem Willen des Verhängnisses all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen vergehen mussten um eine unter allen zu bereichern und alle am letzten Ende bauen halfen an Italiens Grösse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall. DRITTES BUCH. KAPITEL X. blinde Furcht vor Karthago, theils der noch viel blindere hel-lenistische Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Römer in dieser Epoche so wenig bewiesen, daſs sie vielmehr eine sehr verständige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall ist die römische Politik nicht die eines einzigen gewaltigen Kopfes oder eines in einer Familie sich forterbenden Dynastenstrebens, sondern die Politik einer sehr tüchtigen, aber etwas beschränkten Raths- herrenversammlung, die um Pläne in Caesars und Napoleons Sinn zu entwerfen der groſsartigen Combination viel zu wenig und des richtigen Instincts für das Glück des Volkes viel zu viel gehabt hat. Die römische Weltherrschaft beruht in ihrem letzten Grunde auf der staatlichen Entwicklung des Alterthums überhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht und deſshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die hellenischen Staaten, oder doch unschädlich zu ma- chen, wie Rom, was denn freilich schlieſslich auch auf die Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige Groſsmacht des Alterthums, die ernstlich ein System des Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen und nur der Erfolg unterschied zwischen ihnen, da nach dem Willen des Verhängnisses all die andern reich begabten und hochentwickelten Nationen vergehen muſsten um eine unter allen zu bereichern und alle am letzten Ende bauen halfen an Italiens Gröſse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0614" n="600"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
blinde Furcht vor Karthago, theils der noch viel blindere hel-
lenistische Freiheitsschwindel; Eroberungslust haben die Römer
in dieser Epoche so wenig bewiesen, daſs sie vielmehr eine sehr
verständige Eroberungsfurcht zeigen. Ueberall ist die römische
Politik nicht die eines einzigen gewaltigen Kopfes oder eines in
einer Familie sich forterbenden Dynastenstrebens, sondern die
Politik einer sehr tüchtigen, aber etwas beschränkten Raths-
herrenversammlung, die um Pläne in Caesars und Napoleons
Sinn zu entwerfen der groſsartigen Combination viel zu wenig
und des richtigen Instincts für das Glück des Volkes viel zu
viel gehabt hat. Die römische Weltherrschaft beruht in ihrem
letzten Grunde auf der staatlichen Entwicklung des Alterthums
überhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht der Nationen
nicht und deſshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt
hatte, ihre Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt,
wie die hellenischen Staaten, oder doch unschädlich zu ma-
chen, wie Rom, was denn freilich schlieſslich auch auf die
Unterwerfung hinauslief. Aegypten ist vielleicht die einzige
Groſsmacht des Alterthums, die ernstlich ein System des
Gleichgewichts verfolgt hat; in dem entgegengesetzten trafen
Seleukos und Antigonos, Hannibal und Scipio zusammen und
nur der Erfolg unterschied zwischen ihnen, da nach dem
Willen des Verhängnisses all die andern reich begabten und
hochentwickelten Nationen vergehen muſsten um eine unter
allen zu bereichern und alle am letzten Ende bauen halfen
an Italiens Gröſse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall.
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