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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
im Lager bei Herakleion eingetroffen war, säumte die Entschei-
dung nicht lange. Während Vorpostengefechte im Flussbett
des Enipeus die Makedonier beschäftigten, liess er durch
Publius Nasica den schlecht bewachten Pass bei Pythion über-
rumpeln; der Feind war also umgangen und musste nach
Pydna zurückweichen. Am römischen 4. September 586 oder
am 22. Juni des julianischen Kalenders -- eine Sonnenfinster-
niss, die ein kundiger römischer Offizier dem Heer voraus-
sagte, damit kein böses Anzeichen darin gefunden werde,
gestattet hier die genaue Zeitbestimmung -- wurden beim
Tränken der Rosse nach Mittag zufällig die Vorposten hand-
gemein, und beide Theile entschlossen sich die eigentlich
erst auf den nächsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu
liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend
ordnete der greise Feldherr der Römer selber seine Leute. Kaum
standen sie, so stürmte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der
Feldherr selber, der doch manchen harten Kampf gesehen
hatte, gestand später ein, dass er gezittert habe. Die römi-
sche Vorhut zerstob, eine paelignische Cohorte ward nieder-
gerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig
zurück bis sie einen Hügel erreicht hatten, bis hart an das
römische Lager. Hier wandte sich das Glück. Das unebene
Terrain und die eilige Verfolgung lösten die Glieder der Pha-
lanx; in einzelnen Cohorten drangen die Römer in jede Lücke
ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die
makedonische Reiterei, die allein noch hätte Hülfe bringen
können, ruhig zusah und bald sich in Massen davon machte,
mit ihr unter den Ersten der König, so war in weniger als
einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die
3000 erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf
den letzten Mann; es war, als wolle hier die Phalanx selbst
untergehen, die bei Pydna ihre letzte grosse Schlacht schlug.
Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem
Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu
Ende, am funfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl
übernommen hatte; ganz Makedonien unterwarf sich in zwei
Tagen. Der König flüchte mit seinem Golde -- noch hatte
er über 6000 Talente (9 Mill. Thlr.) in seiner Kasse -- nach
Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er
selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von
Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes
zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch

DRITTES BUCH. KAPITEL X.
im Lager bei Herakleion eingetroffen war, säumte die Entschei-
dung nicht lange. Während Vorpostengefechte im Fluſsbett
des Enipeus die Makedonier beschäftigten, lieſs er durch
Publius Nasica den schlecht bewachten Paſs bei Pythion über-
rumpeln; der Feind war also umgangen und muſste nach
Pydna zurückweichen. Am römischen 4. September 586 oder
am 22. Juni des julianischen Kalenders — eine Sonnenfinster-
niſs, die ein kundiger römischer Offizier dem Heer voraus-
sagte, damit kein böses Anzeichen darin gefunden werde,
gestattet hier die genaue Zeitbestimmung — wurden beim
Tränken der Rosse nach Mittag zufällig die Vorposten hand-
gemein, und beide Theile entschlossen sich die eigentlich
erst auf den nächsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu
liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend
ordnete der greise Feldherr der Römer selber seine Leute. Kaum
standen sie, so stürmte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der
Feldherr selber, der doch manchen harten Kampf gesehen
hatte, gestand später ein, daſs er gezittert habe. Die römi-
sche Vorhut zerstob, eine paelignische Cohorte ward nieder-
gerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig
zurück bis sie einen Hügel erreicht hatten, bis hart an das
römische Lager. Hier wandte sich das Glück. Das unebene
Terrain und die eilige Verfolgung lösten die Glieder der Pha-
lanx; in einzelnen Cohorten drangen die Römer in jede Lücke
ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die
makedonische Reiterei, die allein noch hätte Hülfe bringen
können, ruhig zusah und bald sich in Massen davon machte,
mit ihr unter den Ersten der König, so war in weniger als
einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die
3000 erlesenen Phalangiten lieſsen sich niederhauen bis auf
den letzten Mann; es war, als wolle hier die Phalanx selbst
untergehen, die bei Pydna ihre letzte groſse Schlacht schlug.
Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem
Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu
Ende, am funfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl
übernommen hatte; ganz Makedonien unterwarf sich in zwei
Tagen. Der König flüchte mit seinem Golde — noch hatte
er über 6000 Talente (9 Mill. Thlr.) in seiner Kasse — nach
Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er
selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von
Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes
zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verlieſsen ihn auch

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[588/0602] DRITTES BUCH. KAPITEL X. im Lager bei Herakleion eingetroffen war, säumte die Entschei- dung nicht lange. Während Vorpostengefechte im Fluſsbett des Enipeus die Makedonier beschäftigten, lieſs er durch Publius Nasica den schlecht bewachten Paſs bei Pythion über- rumpeln; der Feind war also umgangen und muſste nach Pydna zurückweichen. Am römischen 4. September 586 oder am 22. Juni des julianischen Kalenders — eine Sonnenfinster- niſs, die ein kundiger römischer Offizier dem Heer voraus- sagte, damit kein böses Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue Zeitbestimmung — wurden beim Tränken der Rosse nach Mittag zufällig die Vorposten hand- gemein, und beide Theile entschlossen sich die eigentlich erst auf den nächsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der greise Feldherr der Römer selber seine Leute. Kaum standen sie, so stürmte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der doch manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand später ein, daſs er gezittert habe. Die römi- sche Vorhut zerstob, eine paelignische Cohorte ward nieder- gerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen eilig zurück bis sie einen Hügel erreicht hatten, bis hart an das römische Lager. Hier wandte sich das Glück. Das unebene Terrain und die eilige Verfolgung lösten die Glieder der Pha- lanx; in einzelnen Cohorten drangen die Römer in jede Lücke ein, griffen von der Seite und von hinten an, und da die makedonische Reiterei, die allein noch hätte Hülfe bringen können, ruhig zusah und bald sich in Massen davon machte, mit ihr unter den Ersten der König, so war in weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000 erlesenen Phalangiten lieſsen sich niederhauen bis auf den letzten Mann; es war, als wolle hier die Phalanx selbst untergehen, die bei Pydna ihre letzte groſse Schlacht schlug. Die Niederlage war furchtbar; 20000 Makedonier lagen auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der Krieg war zu Ende, am funfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl übernommen hatte; ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der König flüchte mit seinem Golde — noch hatte er über 6000 Talente (9 Mill. Thlr.) in seiner Kasse — nach Samothrake, begleitet von wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch einen ermordete, den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verlieſsen ihn auch

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/602>, abgerufen am 22.11.2024.