Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL X. rillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseuswar ein guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen Vertheidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelähmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Römer in einem zweiten Rei- tergefecht bei Phalanna davon trugen, nahm er zum Vorwand, um nun doch, wie es beschränkten und eigensinnigen Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurückzukehren und Thessalien zu räumen. Das hiess natürlich so viel, als auf jeden Gedan- ken einer hellenischen Insurrection verzichten; was sonst hätte geschehen können, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernst- liches mehr; Perseus überwand den König Genthios, züchtigte die Dardaner und liess durch Kotys die römisch gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hin- ausschlagen. Dagegen nahm die römische Westarmee einige illyrische Städte und der Consul beschäftigte sich damit Thes- salien von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden den römischen Heldenmuth die beiden unglücklichen boeoti- schen Städte, die mit Perseus hielten; Haliartos ward von dem römischen Admiral Gaius Lucretius erstürmt und die Einwoh- nerschaft in die Sclaverei verkauft, Koroneia von dem Consul Crassus gar trotz der Capitulation ebenso behandelt. Noch nie hatte ein römisches Heer so schlechte Mannszucht gehal- ten wie unter diesen Befehlshabern. Das Heer ward so zer- rüttet, dass auch im nächsten Feldzug 584 der neue Consul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfähig und niederträchtig erwies wie sein Vorgänger. Die Flotte lief ohne allen Erfolg an den thrakischen Küsten- plätzen an. Die Westarmee unter Appius Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war, er- litt eine Schlappe über die andere; nachdem eine Expedition nach Makedonien hinein völlig verunglückt war, griff der Kö- nig mit den an der Südgrenze durch den tiefen alle Pässe sperrenden Schnee disponibel gewordenen Truppen ihn seiner- seits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Ge- fangene ab und knüpfte Verbindungen mit dem König Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen in Aetolien einzufallen, während Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer DRITTES BUCH. KAPITEL X. rillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseuswar ein guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf einen Vertheidigungskrieg gefaſst gemacht, und wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelähmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die Römer in einem zweiten Rei- tergefecht bei Phalanna davon trugen, nahm er zum Vorwand, um nun doch, wie es beschränkten und eigensinnigen Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurückzukehren und Thessalien zu räumen. Das hieſs natürlich so viel, als auf jeden Gedan- ken einer hellenischen Insurrection verzichten; was sonst hätte geschehen können, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernst- liches mehr; Perseus überwand den König Genthios, züchtigte die Dardaner und lieſs durch Kotys die römisch gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hin- ausschlagen. Dagegen nahm die römische Westarmee einige illyrische Städte und der Consul beschäftigte sich damit Thes- salien von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden den römischen Heldenmuth die beiden unglücklichen boeoti- schen Städte, die mit Perseus hielten; Haliartos ward von dem römischen Admiral Gaius Lucretius erstürmt und die Einwoh- nerschaft in die Sclaverei verkauft, Koroneia von dem Consul Crassus gar trotz der Capitulation ebenso behandelt. Noch nie hatte ein römisches Heer so schlechte Mannszucht gehal- ten wie unter diesen Befehlshabern. Das Heer ward so zer- rüttet, daſs auch im nächsten Feldzug 584 der neue Consul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich ebenso unfähig und niederträchtig erwies wie sein Vorgänger. Die Flotte lief ohne allen Erfolg an den thrakischen Küsten- plätzen an. Die Westarmee unter Appius Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war, er- litt eine Schlappe über die andere; nachdem eine Expedition nach Makedonien hinein völlig verunglückt war, griff der Kö- nig mit den an der Südgrenze durch den tiefen alle Pässe sperrenden Schnee disponibel gewordenen Truppen ihn seiner- seits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Ge- fangene ab und knüpfte Verbindungen mit dem König Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen in Aetolien einzufallen, während Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0598" n="584"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL X.</fw><lb/> rillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus<lb/> war ein guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er<lb/> hatte sich auf einen Vertheidigungskrieg gefaſst gemacht, und<lb/> wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelähmt. Einen<lb/> unbedeutenden Erfolg, den die Römer in einem zweiten Rei-<lb/> tergefecht bei Phalanna davon trugen, nahm er zum Vorwand,<lb/> um nun doch, wie es beschränkten und eigensinnigen Naturen<lb/> eigen ist, zu dem ersten Plan zurückzukehren und Thessalien<lb/> zu räumen. Das hieſs natürlich so viel, als auf jeden Gedan-<lb/> ken einer hellenischen Insurrection verzichten; was sonst hätte<lb/> geschehen können, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der<lb/> Epeiroten. Von beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernst-<lb/> liches mehr; Perseus überwand den König Genthios, züchtigte<lb/> die Dardaner und lieſs durch Kotys die römisch gesinnten<lb/> Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hin-<lb/> ausschlagen. Dagegen nahm die römische Westarmee einige<lb/> illyrische Städte und der Consul beschäftigte sich damit Thes-<lb/> salien von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und<lb/> sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung<lb/> von Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden<lb/> den römischen Heldenmuth die beiden unglücklichen boeoti-<lb/> schen Städte, die mit Perseus hielten; Haliartos ward von dem<lb/> römischen Admiral Gaius Lucretius erstürmt und die Einwoh-<lb/> nerschaft in die Sclaverei verkauft, Koroneia von dem Consul<lb/> Crassus gar trotz der Capitulation ebenso behandelt. Noch<lb/> nie hatte ein römisches Heer so schlechte Mannszucht gehal-<lb/> ten wie unter diesen Befehlshabern. Das Heer ward so zer-<lb/> rüttet, daſs auch im nächsten Feldzug 584 der neue Consul<lb/> Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken<lb/> konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich<lb/> ebenso unfähig und niederträchtig erwies wie sein Vorgänger.<lb/> Die Flotte lief ohne allen Erfolg an den thrakischen Küsten-<lb/> plätzen an. Die Westarmee unter Appius Claudius, dessen<lb/> Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war, er-<lb/> litt eine Schlappe über die andere; nachdem eine Expedition<lb/> nach Makedonien hinein völlig verunglückt war, griff der Kö-<lb/> nig mit den an der Südgrenze durch den tiefen alle Pässe<lb/> sperrenden Schnee disponibel gewordenen Truppen ihn seiner-<lb/> seits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Ge-<lb/> fangene ab und knüpfte Verbindungen mit dem König Genthios<lb/> an; ja er konnte einen Versuch machen in Aetolien einzufallen,<lb/> während Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [584/0598]
DRITTES BUCH. KAPITEL X.
rillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus
war ein guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er
hatte sich auf einen Vertheidigungskrieg gefaſst gemacht, und
wie die Dinge anders gingen, fand er sich wie gelähmt. Einen
unbedeutenden Erfolg, den die Römer in einem zweiten Rei-
tergefecht bei Phalanna davon trugen, nahm er zum Vorwand,
um nun doch, wie es beschränkten und eigensinnigen Naturen
eigen ist, zu dem ersten Plan zurückzukehren und Thessalien
zu räumen. Das hieſs natürlich so viel, als auf jeden Gedan-
ken einer hellenischen Insurrection verzichten; was sonst hätte
geschehen können, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der
Epeiroten. Von beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernst-
liches mehr; Perseus überwand den König Genthios, züchtigte
die Dardaner und lieſs durch Kotys die römisch gesinnten
Thraker und die pergamenischen Truppen aus Thrakien hin-
ausschlagen. Dagegen nahm die römische Westarmee einige
illyrische Städte und der Consul beschäftigte sich damit Thes-
salien von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und
sich der unruhigen Aetoler und Akarnanen durch Besetzung
von Ambrakia zu versichern. Am schwersten aber empfanden
den römischen Heldenmuth die beiden unglücklichen boeoti-
schen Städte, die mit Perseus hielten; Haliartos ward von dem
römischen Admiral Gaius Lucretius erstürmt und die Einwoh-
nerschaft in die Sclaverei verkauft, Koroneia von dem Consul
Crassus gar trotz der Capitulation ebenso behandelt. Noch
nie hatte ein römisches Heer so schlechte Mannszucht gehal-
ten wie unter diesen Befehlshabern. Das Heer ward so zer-
rüttet, daſs auch im nächsten Feldzug 584 der neue Consul
Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen nicht denken
konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich
ebenso unfähig und niederträchtig erwies wie sein Vorgänger.
Die Flotte lief ohne allen Erfolg an den thrakischen Küsten-
plätzen an. Die Westarmee unter Appius Claudius, dessen
Hauptquartier in Lychnidos im dassaretischen Gebiet war, er-
litt eine Schlappe über die andere; nachdem eine Expedition
nach Makedonien hinein völlig verunglückt war, griff der Kö-
nig mit den an der Südgrenze durch den tiefen alle Pässe
sperrenden Schnee disponibel gewordenen Truppen ihn seiner-
seits an, nahm ihm zahlreiche Ortschaften und eine Menge Ge-
fangene ab und knüpfte Verbindungen mit dem König Genthios
an; ja er konnte einen Versuch machen in Aetolien einzufallen,
während Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |