knabenhaften Opposition setzten die Römer nichts entgegen als die Langmuth der Uebermacht. Flamininus begnügte sich so weit es ohne Gewaltthätigkeit anging, auf die inneren Ver- hältnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden einzuwirken, mit den Reichern den Rath und die Gerichte zu besetzen, die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die städtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das was in jeder Gemeinde nach Kriegsrecht an die Römer gefallen war, zu dem Vermögen der betreffenden Stadt schlug, mög- lichst an das römische Interesse zu knüpfen. Im Frühjahr 560 war die Arbeit beendigt; Flamininus versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der sämmtlichen griechi- schen Gemeinden, ermahnte sie zu verständigem und mässi- gem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige Gegengabe für die Römer, dass man die italischen Gefangenen, die während des hannibalischen Krieges nach Grie- chenland verkauft worden waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf räumte er die letzten Festungen, in denen noch römische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst den davon abhängigen kleineren Forts auf Euboea, und Akroko- rinth, also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt, thatsächlich Lügen stra- fend, und zog mit den sämmtlichen römischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die Heimath.
Nur von der verächtlichen Unredlichkeit oder der elenden Sentimentalität kann es verkannt werden, dass es mit der Be- freiung Griechenlands den Römern vollkommen Ernst war und die Ursache, wesshalb der grossartig angelegte Plan ein so kümmerliches Gebäude lieferte, einzig zu suchen ist in der vollständigen sittlichen und staatlichen Auflösung der helleni- schen Nation. Es war nichts Geringes, dass eine mächtige Nation das Land, welches sie sich gewöhnt hatte als ihre Urheimath und als das Heiligthum ihrer geistigen und höheren Interessen zu betrachten, mit ihrem mächtigen Arm plötzlich zur vollen Freiheit führte und jeder Gemeinde die Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die un- beschränkte Selbstregierung verlieh; bloss die Jämmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung. Der politische Calcul machte den Römern die Befreiung Griechenlands mög- lich; zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich mächtigen hellenischen Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Römer trifft,
DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
knabenhaften Opposition setzten die Römer nichts entgegen als die Langmuth der Uebermacht. Flamininus begnügte sich so weit es ohne Gewaltthätigkeit anging, auf die inneren Ver- hältnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden einzuwirken, mit den Reichern den Rath und die Gerichte zu besetzen, die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die städtischen Gemeinwesen dadurch, daſs er das was in jeder Gemeinde nach Kriegsrecht an die Römer gefallen war, zu dem Vermögen der betreffenden Stadt schlug, mög- lichst an das römische Interesse zu knüpfen. Im Frühjahr 560 war die Arbeit beendigt; Flamininus versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der sämmtlichen griechi- schen Gemeinden, ermahnte sie zu verständigem und mäſsi- gem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige Gegengabe für die Römer, daſs man die italischen Gefangenen, die während des hannibalischen Krieges nach Grie- chenland verkauft worden waren, binnen dreiſsig Tagen ihm zusende. Darauf räumte er die letzten Festungen, in denen noch römische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst den davon abhängigen kleineren Forts auf Euboea, und Akroko- rinth, also die Rede der Aetoler, daſs Rom die Fesseln Griechenlands von Philippos geerbt, thatsächlich Lügen stra- fend, und zog mit den sämmtlichen römischen Truppen und den befreiten Gefangenen in die Heimath.
Nur von der verächtlichen Unredlichkeit oder der elenden Sentimentalität kann es verkannt werden, daſs es mit der Be- freiung Griechenlands den Römern vollkommen Ernst war und die Ursache, weſshalb der groſsartig angelegte Plan ein so kümmerliches Gebäude lieferte, einzig zu suchen ist in der vollständigen sittlichen und staatlichen Auflösung der helleni- schen Nation. Es war nichts Geringes, daſs eine mächtige Nation das Land, welches sie sich gewöhnt hatte als ihre Urheimath und als das Heiligthum ihrer geistigen und höheren Interessen zu betrachten, mit ihrem mächtigen Arm plötzlich zur vollen Freiheit führte und jeder Gemeinde die Befreiung von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die un- beschränkte Selbstregierung verlieh; bloſs die Jämmerlichkeit sieht hierin nichts als politische Berechnung. Der politische Calcul machte den Römern die Befreiung Griechenlands mög- lich; zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich mächtigen hellenischen Sympathien. Wenn ein Vorwurf die Römer trifft,
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[538/0552]
DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
knabenhaften Opposition setzten die Römer nichts entgegen
als die Langmuth der Uebermacht. Flamininus begnügte sich
so weit es ohne Gewaltthätigkeit anging, auf die inneren Ver-
hältnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden einzuwirken,
mit den Reichern den Rath und die Gerichte zu besetzen,
die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen
und die städtischen Gemeinwesen dadurch, daſs er das was
in jeder Gemeinde nach Kriegsrecht an die Römer gefallen
war, zu dem Vermögen der betreffenden Stadt schlug, mög-
lichst an das römische Interesse zu knüpfen. Im Frühjahr
560 war die Arbeit beendigt; Flamininus versammelte noch
einmal in Korinth die Abgeordneten der sämmtlichen griechi-
schen Gemeinden, ermahnte sie zu verständigem und mäſsi-
gem Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich
als einzige Gegengabe für die Römer, daſs man die italischen
Gefangenen, die während des hannibalischen Krieges nach Grie-
chenland verkauft worden waren, binnen dreiſsig Tagen ihm
zusende. Darauf räumte er die letzten Festungen, in denen
noch römische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis nebst den
davon abhängigen kleineren Forts auf Euboea, und Akroko-
rinth, also die Rede der Aetoler, daſs Rom die Fesseln
Griechenlands von Philippos geerbt, thatsächlich Lügen stra-
fend, und zog mit den sämmtlichen römischen Truppen und
den befreiten Gefangenen in die Heimath.
Nur von der verächtlichen Unredlichkeit oder der elenden
Sentimentalität kann es verkannt werden, daſs es mit der Be-
freiung Griechenlands den Römern vollkommen Ernst war und
die Ursache, weſshalb der groſsartig angelegte Plan ein so
kümmerliches Gebäude lieferte, einzig zu suchen ist in der
vollständigen sittlichen und staatlichen Auflösung der helleni-
schen Nation. Es war nichts Geringes, daſs eine mächtige
Nation das Land, welches sie sich gewöhnt hatte als ihre
Urheimath und als das Heiligthum ihrer geistigen und höheren
Interessen zu betrachten, mit ihrem mächtigen Arm plötzlich
zur vollen Freiheit führte und jeder Gemeinde die Befreiung
von fremder Schatzung und fremder Besatzung und die un-
beschränkte Selbstregierung verlieh; bloſs die Jämmerlichkeit
sieht hierin nichts als politische Berechnung. Der politische
Calcul machte den Römern die Befreiung Griechenlands mög-
lich; zur Wirklichkeit wurde sie durch die eben damals in Rom
und vor allem in Flamininus selbst unbeschreiblich mächtigen
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/552>, abgerufen am 16.02.2025.
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