sämmtlichen vom hannibalischen Krieg her unter Waffen stehen- den Bürgertruppen wurden entlassen; nur Freiwillige sollten da- raus zum makedonischen Krieg aufgeboten werden dürfen, wel- ches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene Freiwillige waren -- es rief diess später im Herbst 555 einen bedenklichen Militäraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, ge- führt von dem Consul Publius Sulpicius Galba. -- So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass für die weit- läuftigen und schwierigen Verhältnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war, die souverainen Bürgerschaftsver- sammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhängi- gen Beschlüssen schlechterdings nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefähr- lichen Modificationen der militärisch nothwendigen Massregeln und zu noch gefährlicherer Zurücksetzung der latinischen Bun- desgenossen führte.
Philippos Lage war sehr übel. Die östlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms hätten zusammenstehen müssen und unter andern Umständen auch vielleicht zusam- mengestanden haben würden, waren hauptsächlich durch Phi- lippos Schuld so unter einander verhetzt, dass sie die römi- sche Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu fördern geneigt waren. Asien, Philipps natürlicher und wichtigster Bundesgenosse, war durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen Krieg vorläufig an thätigem Eingreifen gehin- dert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse daran, dass die römische Flotte dem Ostmeer fern blieb; es ist bezeichnend, dass selbst jetzt noch eine ägyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen gab, wie bereit der alexandrinische Hof sei den Römern die Mühe abzunehmen in Attika zu interveniren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Theilungsvertrag über Aegypten warf diesen wichtigen Staat ge- radezu den Römern in die Arme und erzwang die Erklärung des Kabinets von Alexandria, dass es in die Angelegenheiten des europäischen Griechenlands sich nur mit Einwilligung der Römer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedrängter ge- stellt waren die griechischen Handelsstädte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon, Byzanz; sie hätten unter andern Umstän- den ohne Zweifel das Ihrige gethan um den Römern das Ost-
DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
sämmtlichen vom hannibalischen Krieg her unter Waffen stehen- den Bürgertruppen wurden entlassen; nur Freiwillige sollten da- raus zum makedonischen Krieg aufgeboten werden dürfen, wel- ches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene Freiwillige waren — es rief dieſs später im Herbst 555 einen bedenklichen Militäraufstand im Lager von Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, ge- führt von dem Consul Publius Sulpicius Galba. — So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, daſs für die weit- läuftigen und schwierigen Verhältnisse, in welche Rom durch seine Siege gebracht war, die souverainen Bürgerschaftsver- sammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhängi- gen Beschlüssen schlechterdings nicht mehr paſsten und daſs deren verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefähr- lichen Modificationen der militärisch nothwendigen Maſsregeln und zu noch gefährlicherer Zurücksetzung der latinischen Bun- desgenossen führte.
Philippos Lage war sehr übel. Die östlichen Staaten, die gegen jede Einmischung Roms hätten zusammenstehen müssen und unter andern Umständen auch vielleicht zusam- mengestanden haben würden, waren hauptsächlich durch Phi- lippos Schuld so unter einander verhetzt, daſs sie die römi- sche Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu fördern geneigt waren. Asien, Philipps natürlicher und wichtigster Bundesgenosse, war durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen Krieg vorläufig an thätigem Eingreifen gehin- dert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse daran, daſs die römische Flotte dem Ostmeer fern blieb; es ist bezeichnend, daſs selbst jetzt noch eine ägyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu verstehen gab, wie bereit der alexandrinische Hof sei den Römern die Mühe abzunehmen in Attika zu interveniren. Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene Theilungsvertrag über Aegypten warf diesen wichtigen Staat ge- radezu den Römern in die Arme und erzwang die Erklärung des Kabinets von Alexandria, daſs es in die Angelegenheiten des europäischen Griechenlands sich nur mit Einwilligung der Römer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedrängter ge- stellt waren die griechischen Handelsstädte, an ihrer Spitze Rhodos, Pergamon, Byzanz; sie hätten unter andern Umstän- den ohne Zweifel das Ihrige gethan um den Römern das Ost-
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DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
sämmtlichen vom hannibalischen Krieg her unter Waffen stehen-
den Bürgertruppen wurden entlassen; nur Freiwillige sollten da-
raus zum makedonischen Krieg aufgeboten werden dürfen, wel-
ches denn freilich, wie sich nachher fand, meistens gezwungene
Freiwillige waren — es rief dieſs später im Herbst 555 einen
bedenklichen Militäraufstand im Lager von Apollonia hervor.
Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen gebildet,
von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur
zwei in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, ge-
führt von dem Consul Publius Sulpicius Galba. — So hatte
sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, daſs für die weit-
läuftigen und schwierigen Verhältnisse, in welche Rom durch
seine Siege gebracht war, die souverainen Bürgerschaftsver-
sammlungen mit ihren kurzsichtigen und vom Zufall abhängi-
gen Beschlüssen schlechterdings nicht mehr paſsten und daſs
deren verkehrtes Eingreifen in die Staatsmaschine zu gefähr-
lichen Modificationen der militärisch nothwendigen Maſsregeln
und zu noch gefährlicherer Zurücksetzung der latinischen Bun-
desgenossen führte.
Philippos Lage war sehr übel. Die östlichen Staaten,
die gegen jede Einmischung Roms hätten zusammenstehen
müssen und unter andern Umständen auch vielleicht zusam-
mengestanden haben würden, waren hauptsächlich durch Phi-
lippos Schuld so unter einander verhetzt, daſs sie die römi-
sche Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu fördern
geneigt waren. Asien, Philipps natürlicher und wichtigster
Bundesgenosse, war durch die Verwicklung mit Aegypten und
den syrischen Krieg vorläufig an thätigem Eingreifen gehin-
dert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse daran, daſs die
römische Flotte dem Ostmeer fern blieb; es ist bezeichnend,
daſs selbst jetzt noch eine ägyptische Gesandtschaft in Rom sehr
deutlich zu verstehen gab, wie bereit der alexandrinische Hof sei
den Römern die Mühe abzunehmen in Attika zu interveniren.
Allein der zwischen Asien und Makedonien abgeschlossene
Theilungsvertrag über Aegypten warf diesen wichtigen Staat ge-
radezu den Römern in die Arme und erzwang die Erklärung
des Kabinets von Alexandria, daſs es in die Angelegenheiten
des europäischen Griechenlands sich nur mit Einwilligung der
Römer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedrängter ge-
stellt waren die griechischen Handelsstädte, an ihrer Spitze
Rhodos, Pergamon, Byzanz; sie hätten unter andern Umstän-
den ohne Zweifel das Ihrige gethan um den Römern das Ost-
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/534>, abgerufen am 16.07.2024.
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