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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil
Kleinasiens daselbst ansässig gewordenen Kelten, in den be-
ständigen Bestrebungen den Emancipationsversuchen der öst-
lichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern,
und in den Familienzwisten und Prätendentenversuchen, an
denen es zwar in keinem der Diadochenstaaten fehlt wie über-
haupt an keinem der Gräuel, welche die absolute Monarchie
in entarteter Zeit in ihrem Gefolge führt, allein die in dem
Staate Asien desshalb verderblicher waren als anderswo, weil
bei der losen Zusammenfügung des Reiches sie hier zu der
Trennung einzelner Landestheile auf kürzere oder längere
Zeit zu führen pflegten. -- Im entschiedensten Gegensatz
gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener Einheitsstaat,
in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter
geschickter Benutzung des alten nationalen und religiösen
Herkommens ein vollkommen absolutes Cabinetsregiment be-
gründet hatte, in welchem selbst das schlimmste Missregiment
weder Emancipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufüh-
ren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Roya-
lismus der Makedonier, der auf ihrem Selbstgefühl ruhte und
dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten das Land
vollständig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese
Hauptstadt Dependenz des Hofes; wesshalb hier mehr noch
als in Makedonien und Asien die Schlaffheit und Trägheit der
Herrscher den Staat lähmte, während umgekehrt in den Hän-
den von Männern, wie der erste Ptolemaeos und Ptolemiaeos
Euergetes, diese Staatsmaschine sich äusserst brauchbar er-
wies. Zu den eigenthümlichen Vorzügen Aegyptens vor den
beiden grossen Rivalen gehört es, dass die aegyptische Politik
nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare
Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimath Alexanders; Asien,
das Land, in dem Alexander seinen Thron gegründet hatte,
hörten nicht auf sich als unmittelbare Fortsetzungen der ale-
xandrischen Monarchie zu betrachten und erhoben lauter
oder leiser den Anspruch dieselbe wenn nicht her-, so doch
wenigstens darzustellen. Aegypten dagegen begnügte sich ein
Handels- und Seestaat zu sein, der von der engen Heimath
aus nicht die Erde zu beherrschen gedachte, wohl aber das
östliche Mittelmeer und dessen Küsten und Inseln; es ist be-
zeichnend, dass Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberun-
gen freiwillig an Seleukos Kallinikos zurückgab bis auf die
Hafenstadt von Antiochia. Theils hiedurch, theils durch die

DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil
Kleinasiens daselbst ansässig gewordenen Kelten, in den be-
ständigen Bestrebungen den Emancipationsversuchen der öst-
lichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern,
und in den Familienzwisten und Prätendentenversuchen, an
denen es zwar in keinem der Diadochenstaaten fehlt wie über-
haupt an keinem der Gräuel, welche die absolute Monarchie
in entarteter Zeit in ihrem Gefolge führt, allein die in dem
Staate Asien deſshalb verderblicher waren als anderswo, weil
bei der losen Zusammenfügung des Reiches sie hier zu der
Trennung einzelner Landestheile auf kürzere oder längere
Zeit zu führen pflegten. — Im entschiedensten Gegensatz
gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener Einheitsstaat,
in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter
geschickter Benutzung des alten nationalen und religiösen
Herkommens ein vollkommen absolutes Cabinetsregiment be-
gründet hatte, in welchem selbst das schlimmste Miſsregiment
weder Emancipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufüh-
ren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Roya-
lismus der Makedonier, der auf ihrem Selbstgefühl ruhte und
dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten das Land
vollständig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese
Hauptstadt Dependenz des Hofes; weſshalb hier mehr noch
als in Makedonien und Asien die Schlaffheit und Trägheit der
Herrscher den Staat lähmte, während umgekehrt in den Hän-
den von Männern, wie der erste Ptolemaeos und Ptolemiaeos
Euergetes, diese Staatsmaschine sich äuſserst brauchbar er-
wies. Zu den eigenthümlichen Vorzügen Aegyptens vor den
beiden groſsen Rivalen gehört es, daſs die aegyptische Politik
nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare
Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimath Alexanders; Asien,
das Land, in dem Alexander seinen Thron gegründet hatte,
hörten nicht auf sich als unmittelbare Fortsetzungen der ale-
xandrischen Monarchie zu betrachten und erhoben lauter
oder leiser den Anspruch dieselbe wenn nicht her-, so doch
wenigstens darzustellen. Aegypten dagegen begnügte sich ein
Handels- und Seestaat zu sein, der von der engen Heimath
aus nicht die Erde zu beherrschen gedachte, wohl aber das
östliche Mittelmeer und dessen Küsten und Inseln; es ist be-
zeichnend, daſs Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberun-
gen freiwillig an Seleukos Kallinikos zurückgab bis auf die
Hafenstadt von Antiochia. Theils hiedurch, theils durch die

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[504/0518] DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. Parthern und Baktriern, in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansässig gewordenen Kelten, in den be- ständigen Bestrebungen den Emancipationsversuchen der öst- lichen Satrapen und der kleinasiatischen Griechen zu steuern, und in den Familienzwisten und Prätendentenversuchen, an denen es zwar in keinem der Diadochenstaaten fehlt wie über- haupt an keinem der Gräuel, welche die absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge führt, allein die in dem Staate Asien deſshalb verderblicher waren als anderswo, weil bei der losen Zusammenfügung des Reiches sie hier zu der Trennung einzelner Landestheile auf kürzere oder längere Zeit zu führen pflegten. — Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen und religiösen Herkommens ein vollkommen absolutes Cabinetsregiment be- gründet hatte, in welchem selbst das schlimmste Miſsregiment weder Emancipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufüh- ren vermochte. Sehr verschieden von dem nationalen Roya- lismus der Makedonier, der auf ihrem Selbstgefühl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in Aegypten das Land vollständig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weſshalb hier mehr noch als in Makedonien und Asien die Schlaffheit und Trägheit der Herrscher den Staat lähmte, während umgekehrt in den Hän- den von Männern, wie der erste Ptolemaeos und Ptolemiaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich äuſserst brauchbar er- wies. Zu den eigenthümlichen Vorzügen Aegyptens vor den beiden groſsen Rivalen gehört es, daſs die aegyptische Politik nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke verfolgte. Makedonien, die Heimath Alexanders; Asien, das Land, in dem Alexander seinen Thron gegründet hatte, hörten nicht auf sich als unmittelbare Fortsetzungen der ale- xandrischen Monarchie zu betrachten und erhoben lauter oder leiser den Anspruch dieselbe wenn nicht her-, so doch wenigstens darzustellen. Aegypten dagegen begnügte sich ein Handels- und Seestaat zu sein, der von der engen Heimath aus nicht die Erde zu beherrschen gedachte, wohl aber das östliche Mittelmeer und dessen Küsten und Inseln; es ist be- zeichnend, daſs Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberun- gen freiwillig an Seleukos Kallinikos zurückgab bis auf die Hafenstadt von Antiochia. Theils hiedurch, theils durch die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/518>, abgerufen am 22.11.2024.