Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL VII. tigkeit Karthagos mehr gelegen war als an der Geldsummeselbst, begreiflicher Weise ablehnten. Mit neidischen Augen sahen sie, dass die Stadt trotz aller angewandten Mühe doch nicht zu ruiniren war. Dies nährte ihre Furcht und immer aufs Neue lief durch Rom das Gerücht, dass ein dritter pu- nischer Krieg vor der Thür sei; was denn jedesmal das Sig- nal war zu neuen diplomatischen Misshandlungen von römi- scher, zu neuen Schädigungen von Massinissas Seite. Bald sollte Hamilkar, der im nördlichen Italien die Kelten gegen die Römer führte (554), dies im Auftrag seiner Regierung gethan haben; bald sollte Hannibal Verbindungen anspinnen mit Antiochos (559); bald hatte nach dessen Entfernung ein Emissär von ihm, Ariston von Tyros sich in Karthago blicken lassen, um die Bürger auf die Landung einer asiatischen Kriegsflotte in Karthago vorzubereiten (561); bald hatte der Rath in geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Aescula- pius den Gesandten des Perseus Audienz gegeben (580); bald sprach man in Rom von der gewaltigen Flotte, die Karthago rüste für den makedonischen Krieg (583). Es ist allerdings mehr als wahrscheinlich, dass Hannibal es keineswegs aufge- geben hatte seine Vaterstadt abermals gegen Rom zu bewaff- nen und sie in den nahe bevorstehenden Kampf der östlichen Mächte zu verwickeln; es war keine eingebildete Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter hannibalischer Krieg dort sich entspinnen könne, während die römischen Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Römer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559), die wahrscheinlich beauftragt war Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden kar- thagischen Oligarchen, die Briefe über Briefe nach Rom sand- ten um den Mann, der sie gestürzt, wegen geheimer Verbin- dungen mit den antirömisch gesinnten Mächten dem Landesfeind zu denunciren, sind verächtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener Gesandtschaft ein demüthigendes Eingeständniss der Furcht des mächtigsten Volkes vor dem einfachen Schofeten von Kar- thago lag, so begreiflich und ehrenwerth es ist, dass der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch that gegen diesen er- niedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingeständniss eben nichts andres als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur römische Gefühlspolitiker ihn länger an der Spitze des karthagischen Staats dulden DRITTES BUCH. KAPITEL VII. tigkeit Karthagos mehr gelegen war als an der Geldsummeselbst, begreiflicher Weise ablehnten. Mit neidischen Augen sahen sie, daſs die Stadt trotz aller angewandten Mühe doch nicht zu ruiniren war. Dies nährte ihre Furcht und immer aufs Neue lief durch Rom das Gerücht, daſs ein dritter pu- nischer Krieg vor der Thür sei; was denn jedesmal das Sig- nal war zu neuen diplomatischen Miſshandlungen von römi- scher, zu neuen Schädigungen von Massinissas Seite. Bald sollte Hamilkar, der im nördlichen Italien die Kelten gegen die Römer führte (554), dies im Auftrag seiner Regierung gethan haben; bald sollte Hannibal Verbindungen anspinnen mit Antiochos (559); bald hatte nach dessen Entfernung ein Emissär von ihm, Ariston von Tyros sich in Karthago blicken lassen, um die Bürger auf die Landung einer asiatischen Kriegsflotte in Karthago vorzubereiten (561); bald hatte der Rath in geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Aescula- pius den Gesandten des Perseus Audienz gegeben (580); bald sprach man in Rom von der gewaltigen Flotte, die Karthago rüste für den makedonischen Krieg (583). Es ist allerdings mehr als wahrscheinlich, daſs Hannibal es keineswegs aufge- geben hatte seine Vaterstadt abermals gegen Rom zu bewaff- nen und sie in den nahe bevorstehenden Kampf der östlichen Mächte zu verwickeln; es war keine eingebildete Gefahr, daſs die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter hannibalischer Krieg dort sich entspinnen könne, während die römischen Legionen in Kleinasien fochten. Man kann darum die Römer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach Karthago schickten (559), die wahrscheinlich beauftragt war Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden kar- thagischen Oligarchen, die Briefe über Briefe nach Rom sand- ten um den Mann, der sie gestürzt, wegen geheimer Verbin- dungen mit den antirömisch gesinnten Mächten dem Landesfeind zu denunciren, sind verächtlich, aber ihre Meldungen waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, daſs in jener Gesandtschaft ein demüthigendes Eingeständniſs der Furcht des mächtigsten Volkes vor dem einfachen Schofeten von Kar- thago lag, so begreiflich und ehrenwerth es ist, daſs der stolze Sieger von Zama im Senat Einspruch that gegen diesen er- niedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingeständniſs eben nichts andres als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine so auſserordentliche Natur, daſs nur römische Gefühlspolitiker ihn länger an der Spitze des karthagischen Staats dulden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0506" n="492"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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Es ist allerdings<lb/> mehr als wahrscheinlich, daſs Hannibal es keineswegs aufge-<lb/> geben hatte seine Vaterstadt abermals gegen Rom zu bewaff-<lb/> nen und sie in den nahe bevorstehenden Kampf der östlichen<lb/> Mächte zu verwickeln; es war keine eingebildete Gefahr, daſs<lb/> die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter<lb/> hannibalischer Krieg dort sich entspinnen könne, während<lb/> die römischen Legionen in Kleinasien fochten. Man kann<lb/> darum die Römer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft<lb/> nach Karthago schickten (559), die wahrscheinlich beauftragt<lb/> war Hannibals Auslieferung zu fordern. 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DRITTES BUCH. KAPITEL VII.
tigkeit Karthagos mehr gelegen war als an der Geldsumme
selbst, begreiflicher Weise ablehnten. Mit neidischen Augen
sahen sie, daſs die Stadt trotz aller angewandten Mühe doch
nicht zu ruiniren war. Dies nährte ihre Furcht und immer
aufs Neue lief durch Rom das Gerücht, daſs ein dritter pu-
nischer Krieg vor der Thür sei; was denn jedesmal das Sig-
nal war zu neuen diplomatischen Miſshandlungen von römi-
scher, zu neuen Schädigungen von Massinissas Seite. Bald
sollte Hamilkar, der im nördlichen Italien die Kelten gegen
die Römer führte (554), dies im Auftrag seiner Regierung
gethan haben; bald sollte Hannibal Verbindungen anspinnen
mit Antiochos (559); bald hatte nach dessen Entfernung ein
Emissär von ihm, Ariston von Tyros sich in Karthago blicken
lassen, um die Bürger auf die Landung einer asiatischen
Kriegsflotte in Karthago vorzubereiten (561); bald hatte der
Rath in geheimer nächtlicher Sitzung im Tempel des Aescula-
pius den Gesandten des Perseus Audienz gegeben (580); bald
sprach man in Rom von der gewaltigen Flotte, die Karthago
rüste für den makedonischen Krieg (583). Es ist allerdings
mehr als wahrscheinlich, daſs Hannibal es keineswegs aufge-
geben hatte seine Vaterstadt abermals gegen Rom zu bewaff-
nen und sie in den nahe bevorstehenden Kampf der östlichen
Mächte zu verwickeln; es war keine eingebildete Gefahr, daſs
die karthagische Flotte in Italien landen und ein zweiter
hannibalischer Krieg dort sich entspinnen könne, während
die römischen Legionen in Kleinasien fochten. Man kann
darum die Römer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft
nach Karthago schickten (559), die wahrscheinlich beauftragt
war Hannibals Auslieferung zu fordern. Die grollenden kar-
thagischen Oligarchen, die Briefe über Briefe nach Rom sand-
ten um den Mann, der sie gestürzt, wegen geheimer Verbin-
dungen mit den antirömisch gesinnten Mächten dem Landesfeind
zu denunciren, sind verächtlich, aber ihre Meldungen waren
wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, daſs in jener
Gesandtschaft ein demüthigendes Eingeständniſs der Furcht
des mächtigsten Volkes vor dem einfachen Schofeten von Kar-
thago lag, so begreiflich und ehrenwerth es ist, daſs der stolze
Sieger von Zama im Senat Einspruch that gegen diesen er-
niedrigenden Schritt, so war doch jenes Eingeständniſs eben
nichts andres als die schlichte Wahrheit, und Hannibal eine
so auſserordentliche Natur, daſs nur römische Gefühlspolitiker
ihn länger an der Spitze des karthagischen Staats dulden
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Zitationshilfe: | Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/506>, abgerufen am 16.02.2025. |