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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ERSTES BUCH. KAPITEL IV.
piter (Ve-diovis), das sogenannte Asyl war mit Wald bedeckt
und offenbar ursprünglich bestimmt die Bauern mit ihren
Heerden aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg
sie von der Ebene vertrieb. Ganz ähnliche uralte Zufluchts-
stätten sind noch heutzutage in dem Hügellande der Ost-
schweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Die städ-
tische Ansiedlung musste demnach, in Rom wie überall, nicht
innerhalb, sondern unterhalb der Burg beginnen und als sie
bedeutend genug ward um Schutz durch Wall und Graben zu
erheischen, entstand ausserhalb des Capitols die erste eigent-
liche Stadt, an welche dann wieder Vorstädte und, indem auch
diese aufblühten und Schutz bedurften, neue Umwallungen
an die erste sich anschlossen wie in den Marschen ein
Deich an den andern, bis eine Reihe solcher einzelner Mauer-
ringe um die Burg herum gelagert war. Das Andenken hieran
bewahrte das Fest der sieben Berge (septimontium), das man
zu feiern fortfuhr als jene alten Befestigungen längst nicht
mehr bestanden. Die ,sieben Ringe' sind der Cermalus und
der Palatinus, das heisst die beiden Abhänge des später Pa-
latin genannten Hügels gegen Capitol und Aventin; die Velia,
der den Palatin mit dem Esquilin verbindende später durch
die kaiserlichen Bauten fast ganz verschwundene Hügelrücken;
der Oppius, Cispius und Fagutal, die drei Spitzen des Esqui-
lin; endlich die Sucusa oder Subura, die in der Niederung
zwischen dem Capitol, dem Esquilin und dem Palatin ange-
legte künstliche Festung. Augenscheinlich sind diese Umwal-
lungen nicht auf einmal entstanden. Die älteste Anlage um-
fasste nach glaubwürdigen Zeugnissen nur den palatinischen
Hügel in dem weiteren Sinn, wo der Cermalus und die Velia
dazu gehören; dies ist die alte Roma quadrata, so genannt
von der viereckigen Form dieses Hügels, welche die ältesten
Heiligthümer, das strohgedeckte Haus des Romulus, das Kö-
nigshaus, den Vestatempel einschliesst, und deren Thore und
Mauern zum Theil noch in der Kaiserzeit sichtbar waren.
Namentlich die Thore am Cermalus Porta Romana und Porta
Mugonia werden oft erwähnt und noch Tacitus beschreibt
genau den Zug des Walles am palatinischen Hügel vom Ende
des Cermalus bis zum Anfang der Velia. Es war dies und
blieb für alle Zeiten der vornehmste Stadttheil und bildete
später den ersten servianischen Bezirk. Hieran schloss sich
zuerst die Ansiedlung auf den Carinen, der äussersten Spitze
des Esquilin, mit der Festung gegen die Gabiner im Thal der

ERSTES BUCH. KAPITEL IV.
piter (Ve-diovis), das sogenannte Asyl war mit Wald bedeckt
und offenbar ursprünglich bestimmt die Bauern mit ihren
Heerden aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg
sie von der Ebene vertrieb. Ganz ähnliche uralte Zufluchts-
stätten sind noch heutzutage in dem Hügellande der Ost-
schweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Die städ-
tische Ansiedlung muſste demnach, in Rom wie überall, nicht
innerhalb, sondern unterhalb der Burg beginnen und als sie
bedeutend genug ward um Schutz durch Wall und Graben zu
erheischen, entstand auſserhalb des Capitols die erste eigent-
liche Stadt, an welche dann wieder Vorstädte und, indem auch
diese aufblühten und Schutz bedurften, neue Umwallungen
an die erste sich anschlossen wie in den Marschen ein
Deich an den andern, bis eine Reihe solcher einzelner Mauer-
ringe um die Burg herum gelagert war. Das Andenken hieran
bewahrte das Fest der sieben Berge (septimontium), das man
zu feiern fortfuhr als jene alten Befestigungen längst nicht
mehr bestanden. Die ‚sieben Ringe‘ sind der Cermalus und
der Palatinus, das heisst die beiden Abhänge des später Pa-
latin genannten Hügels gegen Capitol und Aventin; die Velia,
der den Palatin mit dem Esquilin verbindende später durch
die kaiserlichen Bauten fast ganz verschwundene Hügelrücken;
der Oppius, Cispius und Fagutal, die drei Spitzen des Esqui-
lin; endlich die Sucusa oder Subura, die in der Niederung
zwischen dem Capitol, dem Esquilin und dem Palatin ange-
legte künstliche Festung. Augenscheinlich sind diese Umwal-
lungen nicht auf einmal entstanden. Die älteste Anlage um-
faſste nach glaubwürdigen Zeugnissen nur den palatinischen
Hügel in dem weiteren Sinn, wo der Cermalus und die Velia
dazu gehören; dies ist die alte Roma quadrata, so genannt
von der viereckigen Form dieses Hügels, welche die ältesten
Heiligthümer, das strohgedeckte Haus des Romulus, das Kö-
nigshaus, den Vestatempel einschlieſst, und deren Thore und
Mauern zum Theil noch in der Kaiserzeit sichtbar waren.
Namentlich die Thore am Cermalus Porta Romana und Porta
Mugonia werden oft erwähnt und noch Tacitus beschreibt
genau den Zug des Walles am palatinischen Hügel vom Ende
des Cermalus bis zum Anfang der Velia. Es war dies und
blieb für alle Zeiten der vornehmste Stadttheil und bildete
später den ersten servianischen Bezirk. Hieran schloſs sich
zuerst die Ansiedlung auf den Carinen, der äuſsersten Spitze
des Esquilin, mit der Festung gegen die Gabiner im Thal der

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[36/0050] ERSTES BUCH. KAPITEL IV. piter (Ve-diovis), das sogenannte Asyl war mit Wald bedeckt und offenbar ursprünglich bestimmt die Bauern mit ihren Heerden aufzunehmen, wenn Ueberschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Ganz ähnliche uralte Zufluchts- stätten sind noch heutzutage in dem Hügellande der Ost- schweiz auf mehreren Bergspitzen zu erkennen. Die städ- tische Ansiedlung muſste demnach, in Rom wie überall, nicht innerhalb, sondern unterhalb der Burg beginnen und als sie bedeutend genug ward um Schutz durch Wall und Graben zu erheischen, entstand auſserhalb des Capitols die erste eigent- liche Stadt, an welche dann wieder Vorstädte und, indem auch diese aufblühten und Schutz bedurften, neue Umwallungen an die erste sich anschlossen wie in den Marschen ein Deich an den andern, bis eine Reihe solcher einzelner Mauer- ringe um die Burg herum gelagert war. Das Andenken hieran bewahrte das Fest der sieben Berge (septimontium), das man zu feiern fortfuhr als jene alten Befestigungen längst nicht mehr bestanden. Die ‚sieben Ringe‘ sind der Cermalus und der Palatinus, das heisst die beiden Abhänge des später Pa- latin genannten Hügels gegen Capitol und Aventin; die Velia, der den Palatin mit dem Esquilin verbindende später durch die kaiserlichen Bauten fast ganz verschwundene Hügelrücken; der Oppius, Cispius und Fagutal, die drei Spitzen des Esqui- lin; endlich die Sucusa oder Subura, die in der Niederung zwischen dem Capitol, dem Esquilin und dem Palatin ange- legte künstliche Festung. Augenscheinlich sind diese Umwal- lungen nicht auf einmal entstanden. Die älteste Anlage um- faſste nach glaubwürdigen Zeugnissen nur den palatinischen Hügel in dem weiteren Sinn, wo der Cermalus und die Velia dazu gehören; dies ist die alte Roma quadrata, so genannt von der viereckigen Form dieses Hügels, welche die ältesten Heiligthümer, das strohgedeckte Haus des Romulus, das Kö- nigshaus, den Vestatempel einschlieſst, und deren Thore und Mauern zum Theil noch in der Kaiserzeit sichtbar waren. Namentlich die Thore am Cermalus Porta Romana und Porta Mugonia werden oft erwähnt und noch Tacitus beschreibt genau den Zug des Walles am palatinischen Hügel vom Ende des Cermalus bis zum Anfang der Velia. Es war dies und blieb für alle Zeiten der vornehmste Stadttheil und bildete später den ersten servianischen Bezirk. Hieran schloſs sich zuerst die Ansiedlung auf den Carinen, der äuſsersten Spitze des Esquilin, mit der Festung gegen die Gabiner im Thal der

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/50>, abgerufen am 21.11.2024.