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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
eintraten, das Schicksal, welches Hannibal über Rom hatte
bringen wollen, jetzt über Karthago walten zu lassen. Scipio
hat es nicht gethan; er gewährte Frieden (553), freilich nicht
mehr auf die früheren Bedingungen. Ausser den Abtretungen,
die schon bei den letzten Verhandlungen für Rom wie für
Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern
auf funfzig Jahre eine jährliche Contribution von 200 Talenten
(300000 Thaler) aufgelegt und mussten sie sich anheischig
machen nicht gegen Rom oder seine Verbündeten und über-
haupt ausserhalb Africa gar nicht, in Africa ausserhalb ihres
eigenen Gebietes nur nach eingeholter Erlaubniss Roms Krieg
zu führen; was thatsächlich darauf hinauslief, dass Karthago
tributpflichtig ward und seine politische Selbstständigkeit ver-
lor. Es scheint sogar, dass sie unter Umständen verpflichtet
waren Kriegsschiffe zu der römischen Flotte zu stellen. --
Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Been-
digung des schwersten Krieges, den Rom geführt hat, nicht
mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu müssen,
dem Feinde zu günstige Bedingungen gewährte. Die Anklage
möchte gegründet sein, wenn der erste Entwurf zu Stande ge-
kommen wäre; gegen den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt.
Weder standen in Rom die Verhältnisse so, dass der Günstling
des Volkes nach dem Siege bei Zama die Abberufung ernstlich
zu fürchten gehabt hätte; noch rechtfertigen die Bedingungen
selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem
ihr also die Hände gebunden und ein mächtiger Nachbar ihr
zur Seite gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht
sich der römischen Suprematie zu entziehen, geschweige denn
mit Rom zu rivalisiren; es wusste überdies jeder, der es
wissen wollte, dass der so eben beendigte Krieg viel mehr von
Hannibal unternommen worden war als von Karthago und
dass an eine Erneuerung des Riesenplanes der Patriotenpartei
sich schlechterdings nicht denken liess. Es mochte den rach-
süchtigen Italienern wenig dünken, dass nur die fünfhundert
ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen aufloderten und nicht
auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und Dorfschulzenver-
stand mochten die Meinung verfechten, dass nur der vernich-
tete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der es
verschmäht hatte das Verbrechen die Römer zittern gemacht
zu haben gründlich zu bestrafen. Scipio dachte anders und
wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen,
dass in diesem Fall die gemeinen Motive den Römer bestimm-

DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
eintraten, das Schicksal, welches Hannibal über Rom hatte
bringen wollen, jetzt über Karthago walten zu lassen. Scipio
hat es nicht gethan; er gewährte Frieden (553), freilich nicht
mehr auf die früheren Bedingungen. Auſser den Abtretungen,
die schon bei den letzten Verhandlungen für Rom wie für
Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern
auf funfzig Jahre eine jährliche Contribution von 200 Talenten
(300000 Thaler) aufgelegt und muſsten sie sich anheischig
machen nicht gegen Rom oder seine Verbündeten und über-
haupt auſserhalb Africa gar nicht, in Africa auſserhalb ihres
eigenen Gebietes nur nach eingeholter Erlaubniſs Roms Krieg
zu führen; was thatsächlich darauf hinauslief, daſs Karthago
tributpflichtig ward und seine politische Selbstständigkeit ver-
lor. Es scheint sogar, daſs sie unter Umständen verpflichtet
waren Kriegsschiffe zu der römischen Flotte zu stellen. —
Man hat Scipio beschuldigt, daſs er, um die Ehre der Been-
digung des schwersten Krieges, den Rom geführt hat, nicht
mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu müssen,
dem Feinde zu günstige Bedingungen gewährte. Die Anklage
möchte gegründet sein, wenn der erste Entwurf zu Stande ge-
kommen wäre; gegen den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt.
Weder standen in Rom die Verhältnisse so, daſs der Günstling
des Volkes nach dem Siege bei Zama die Abberufung ernstlich
zu fürchten gehabt hätte; noch rechtfertigen die Bedingungen
selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem
ihr also die Hände gebunden und ein mächtiger Nachbar ihr
zur Seite gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht
sich der römischen Suprematie zu entziehen, geschweige denn
mit Rom zu rivalisiren; es wuſste überdies jeder, der es
wissen wollte, daſs der so eben beendigte Krieg viel mehr von
Hannibal unternommen worden war als von Karthago und
daſs an eine Erneuerung des Riesenplanes der Patriotenpartei
sich schlechterdings nicht denken lieſs. Es mochte den rach-
süchtigen Italienern wenig dünken, daſs nur die fünfhundert
ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen aufloderten und nicht
auch die verhaſste Stadt; Verbissenheit und Dorfschulzenver-
stand mochten die Meinung verfechten, daſs nur der vernich-
tete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der es
verschmäht hatte das Verbrechen die Römer zittern gemacht
zu haben gründlich zu bestrafen. Scipio dachte anders und
wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen,
daſs in diesem Fall die gemeinen Motive den Römer bestimm-

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[478/0492] DRITTES BUCH. KAPITEL VI. eintraten, das Schicksal, welches Hannibal über Rom hatte bringen wollen, jetzt über Karthago walten zu lassen. Scipio hat es nicht gethan; er gewährte Frieden (553), freilich nicht mehr auf die früheren Bedingungen. Auſser den Abtretungen, die schon bei den letzten Verhandlungen für Rom wie für Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf funfzig Jahre eine jährliche Contribution von 200 Talenten (300000 Thaler) aufgelegt und muſsten sie sich anheischig machen nicht gegen Rom oder seine Verbündeten und über- haupt auſserhalb Africa gar nicht, in Africa auſserhalb ihres eigenen Gebietes nur nach eingeholter Erlaubniſs Roms Krieg zu führen; was thatsächlich darauf hinauslief, daſs Karthago tributpflichtig ward und seine politische Selbstständigkeit ver- lor. Es scheint sogar, daſs sie unter Umständen verpflichtet waren Kriegsschiffe zu der römischen Flotte zu stellen. — Man hat Scipio beschuldigt, daſs er, um die Ehre der Been- digung des schwersten Krieges, den Rom geführt hat, nicht mit dem Oberbefehl an einen Nachfolger abgeben zu müssen, dem Feinde zu günstige Bedingungen gewährte. Die Anklage möchte gegründet sein, wenn der erste Entwurf zu Stande ge- kommen wäre; gegen den zweiten scheint sie nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhältnisse so, daſs der Günstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die Abberufung ernstlich zu fürchten gehabt hätte; noch rechtfertigen die Bedingungen selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also die Hände gebunden und ein mächtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt war, nie auch nur einen Versuch gemacht sich der römischen Suprematie zu entziehen, geschweige denn mit Rom zu rivalisiren; es wuſste überdies jeder, der es wissen wollte, daſs der so eben beendigte Krieg viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago und daſs an eine Erneuerung des Riesenplanes der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht denken lieſs. Es mochte den rach- süchtigen Italienern wenig dünken, daſs nur die fünfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen aufloderten und nicht auch die verhaſste Stadt; Verbissenheit und Dorfschulzenver- stand mochten die Meinung verfechten, daſs nur der vernich- tete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der es verschmäht hatte das Verbrechen die Römer zittern gemacht zu haben gründlich zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen Grund und also kein Recht anzunehmen, daſs in diesem Fall die gemeinen Motive den Römer bestimm-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/492>, abgerufen am 28.11.2024.