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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf
20 und eine Kriegscontribution von 4000 Talenten (6 Mill.
Thaler) -- Bedingungen, die für Karthago so beispiellos günstig
erscheinen, dass die Frage sich aufdrängt, ob sie Scipio mehr
in seinem oder in Roms Interesse anbot. Die karthagischen
Bevollmächtigten nahmen diese Bedingungen an unter Vorbehalt
der Ratification ihrer Behörden und es ging eine karthagische
Gesandtschaft desshalb nach Rom ab. Allein die karthagische
Patriotenpartei war nicht gemeint so leichten Kaufs auf den
Kampf zu verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Ver-
trauen auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das
Rom ihnen gegeben, feuerte sie an auszuharren, auch davon
abgesehen, dass der Friede nothwendig die Gegenpartei ans
Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen musste.
In der Bürgerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht;
man beschloss die Friedensverhandlungen der Opposition nur
geschehen zu lassen, um mittlerweile zu einer letzten und
entscheidenden Anstrengung sich vorzubereiten. An Mago und
an Hannibal erging der Befehl schleunigst nach Africa heim-
zukehren. Mago, der seit drei Jahren (549-551) daran
arbeitete in Norditalien eine Coalition gegen Rom ins Leben
zu rufen, hatte eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mai-
land) gegen das weit überlegene römische Doppelheer eine
Schlacht geliefert, in der die römische Reiterei zum Weichen
und das Fussvolk ins Gedränge gebracht worden war und der
Sieg sich für die Karthager zu erklären schien, als der kühne
Angriff eines römischen Trupps auf die feindlichen Elephanten
und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und
fähigen Führers das Glück der Schlacht wandte. Das puni-
sche Heer musste an die ligurische Küste zurückweichen, wo
es den Befehl zur Einschiffung empfing und vollzog; Mago
aber starb auf der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal
dagegen, der in der letzten Zeit sich in und um Kroton ver-
schanzt hatte, stand bereit dem Befehl zu folgen, dem er
wahrscheinlich zuvorgekommen wäre, wenn nicht die letzten
Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten
hätten seinem Vaterland in Italien nützlicher sein zu können
als in Libyen. Er liess seine Pferde niederstossen so wie die
italischen Soldaten, die sich weigerten ihm über das Meer zu
folgen und bestieg die auf der Rhede von Kroton längst in
Bereitschaft stehenden Transportschiffe, die ihn glücklich nach
Leptis führten; ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des

HANNIBALISCHER KRIEG.
Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf
20 und eine Kriegscontribution von 4000 Talenten (6 Mill.
Thaler) — Bedingungen, die für Karthago so beispiellos günstig
erscheinen, daſs die Frage sich aufdrängt, ob sie Scipio mehr
in seinem oder in Roms Interesse anbot. Die karthagischen
Bevollmächtigten nahmen diese Bedingungen an unter Vorbehalt
der Ratification ihrer Behörden und es ging eine karthagische
Gesandtschaft deſshalb nach Rom ab. Allein die karthagische
Patriotenpartei war nicht gemeint so leichten Kaufs auf den
Kampf zu verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Ver-
trauen auf den groſsen Feldherrn, selbst das Beispiel, das
Rom ihnen gegeben, feuerte sie an auszuharren, auch davon
abgesehen, daſs der Friede nothwendig die Gegenpartei ans
Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen muſste.
In der Bürgerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht;
man beschloſs die Friedensverhandlungen der Opposition nur
geschehen zu lassen, um mittlerweile zu einer letzten und
entscheidenden Anstrengung sich vorzubereiten. An Mago und
an Hannibal erging der Befehl schleunigst nach Africa heim-
zukehren. Mago, der seit drei Jahren (549-551) daran
arbeitete in Norditalien eine Coalition gegen Rom ins Leben
zu rufen, hatte eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mai-
land) gegen das weit überlegene römische Doppelheer eine
Schlacht geliefert, in der die römische Reiterei zum Weichen
und das Fuſsvolk ins Gedränge gebracht worden war und der
Sieg sich für die Karthager zu erklären schien, als der kühne
Angriff eines römischen Trupps auf die feindlichen Elephanten
und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und
fähigen Führers das Glück der Schlacht wandte. Das puni-
sche Heer muſste an die ligurische Küste zurückweichen, wo
es den Befehl zur Einschiffung empfing und vollzog; Mago
aber starb auf der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal
dagegen, der in der letzten Zeit sich in und um Kroton ver-
schanzt hatte, stand bereit dem Befehl zu folgen, dem er
wahrscheinlich zuvorgekommen wäre, wenn nicht die letzten
Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten
hätten seinem Vaterland in Italien nützlicher sein zu können
als in Libyen. Er lieſs seine Pferde niederstoſsen so wie die
italischen Soldaten, die sich weigerten ihm über das Meer zu
folgen und bestieg die auf der Rhede von Kroton längst in
Bereitschaft stehenden Transportschiffe, die ihn glücklich nach
Leptis führten; ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des

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[475/0489] HANNIBALISCHER KRIEG. Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf 20 und eine Kriegscontribution von 4000 Talenten (6 Mill. Thaler) — Bedingungen, die für Karthago so beispiellos günstig erscheinen, daſs die Frage sich aufdrängt, ob sie Scipio mehr in seinem oder in Roms Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmächtigten nahmen diese Bedingungen an unter Vorbehalt der Ratification ihrer Behörden und es ging eine karthagische Gesandtschaft deſshalb nach Rom ab. Allein die karthagische Patriotenpartei war nicht gemeint so leichten Kaufs auf den Kampf zu verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Ver- trauen auf den groſsen Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom ihnen gegeben, feuerte sie an auszuharren, auch davon abgesehen, daſs der Friede nothwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den Untergang bringen muſste. In der Bürgerschaft hatte die Patriotenpartei das Uebergewicht; man beschloſs die Friedensverhandlungen der Opposition nur geschehen zu lassen, um mittlerweile zu einer letzten und entscheidenden Anstrengung sich vorzubereiten. An Mago und an Hannibal erging der Befehl schleunigst nach Africa heim- zukehren. Mago, der seit drei Jahren (549-551) daran arbeitete in Norditalien eine Coalition gegen Rom ins Leben zu rufen, hatte eben damals im Gebiet der Insubrer (um Mai- land) gegen das weit überlegene römische Doppelheer eine Schlacht geliefert, in der die römische Reiterei zum Weichen und das Fuſsvolk ins Gedränge gebracht worden war und der Sieg sich für die Karthager zu erklären schien, als der kühne Angriff eines römischen Trupps auf die feindlichen Elephanten und vor allem die schwere Verwundung des geliebten und fähigen Führers das Glück der Schlacht wandte. Das puni- sche Heer muſste an die ligurische Küste zurückweichen, wo es den Befehl zur Einschiffung empfing und vollzog; Mago aber starb auf der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal dagegen, der in der letzten Zeit sich in und um Kroton ver- schanzt hatte, stand bereit dem Befehl zu folgen, dem er wahrscheinlich zuvorgekommen wäre, wenn nicht die letzten Verhandlungen mit Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten hätten seinem Vaterland in Italien nützlicher sein zu können als in Libyen. Er lieſs seine Pferde niederstoſsen so wie die italischen Soldaten, die sich weigerten ihm über das Meer zu folgen und bestieg die auf der Rhede von Kroton längst in Bereitschaft stehenden Transportschiffe, die ihn glücklich nach Leptis führten; ohne Zweifel nicht unter dem Schutz des

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/489>, abgerufen am 28.11.2024.