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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HANNIBALISCHER KRIEG.
so eben auf dem Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht
bezwungen. In der That, Scipio mochte die Gunst seines
Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen
Fehlers von ihm und dem Lande abwandte.

Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom
wieder 23 Legionen auf; man rief Freiwillige zu den
Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten
zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man über-
rascht. Freunden und Feinden über alle Erwartung früh
stand Hasdrubal diesseit der Alpen (547); die Gallier, der
Durchmärsche jetzt gewohnt, öffneten für gutes Geld willig
ihre Pässe und lieferten was das Heer bedurfte. Wenn man
in Rom beabsichtigt hatte die Ausgänge der Alpenpässe zu
besetzen, so kam man damit zu spät; schon vernahm man,
dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die Gallier mit glei-
chem Erfolg wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, dass
Placentia berannt worden sei. Schleunigst begab der Consul
Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit,
dass er erschien: Etrurien und Umbrien waren in dumpfer
Gährung; Freiwillige von dort verstärkten das punische
Heer. Sein College Gaius Nero zog aus Venusia den Prätor
Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit einem Heere
von 40000 Mann Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen.
Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet und
die grosse Strasse, die von Rhegion nach Apulien führt, ent-
lang marschirend traf er bei Grumentum auf den Consul. Es
kam zu einem hartnäckigen Gefecht, in welchem Nero sich
den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens,
wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewöhnlichen ge-
schickten Seitenmärsche sich dem Feinde zu entziehen und
ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und
lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der
ihm auf dem Fuss gefolgt war, dort wie hier gegenüber. Dass
Hannibal freiwillig stehen blieb und nicht von der römischen
Armee am Vorrücken gehindert ward, scheint nicht zu be-
zweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
nördlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen
Hannibals mit Hasdrubal oder in Muthmassungen über dessen
Marsch, die wir nicht kennen. Während also hier die beiden
Heere sich unthätig gegenüberstanden, ward von Neros Posten
die im feindlichen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdru-
bals aufgefangen; sie enthielt, dass Hasdrubal beabsichtige die

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HANNIBALISCHER KRIEG.
so eben auf dem Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht
bezwungen. In der That, Scipio mochte die Gunst seines
Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen
Fehlers von ihm und dem Lande abwandte.

Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom
wieder 23 Legionen auf; man rief Freiwillige zu den
Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten
zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man über-
rascht. Freunden und Feinden über alle Erwartung früh
stand Hasdrubal diesseit der Alpen (547); die Gallier, der
Durchmärsche jetzt gewohnt, öffneten für gutes Geld willig
ihre Pässe und lieferten was das Heer bedurfte. Wenn man
in Rom beabsichtigt hatte die Ausgänge der Alpenpässe zu
besetzen, so kam man damit zu spät; schon vernahm man,
daſs Hasdrubal am Padus stehe, daſs er die Gallier mit glei-
chem Erfolg wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, daſs
Placentia berannt worden sei. Schleunigst begab der Consul
Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit,
daſs er erschien: Etrurien und Umbrien waren in dumpfer
Gährung; Freiwillige von dort verstärkten das punische
Heer. Sein College Gaius Nero zog aus Venusia den Prätor
Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit einem Heere
von 40000 Mann Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen.
Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet und
die groſse Straſse, die von Rhegion nach Apulien führt, ent-
lang marschirend traf er bei Grumentum auf den Consul. Es
kam zu einem hartnäckigen Gefecht, in welchem Nero sich
den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens,
wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewöhnlichen ge-
schickten Seitenmärsche sich dem Feinde zu entziehen und
ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und
lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der
ihm auf dem Fuſs gefolgt war, dort wie hier gegenüber. Daſs
Hannibal freiwillig stehen blieb und nicht von der römischen
Armee am Vorrücken gehindert ward, scheint nicht zu be-
zweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
nördlich sich aufstellte, muſs gelegen haben in Verabredungen
Hannibals mit Hasdrubal oder in Muthmaſsungen über dessen
Marsch, die wir nicht kennen. Während also hier die beiden
Heere sich unthätig gegenüberstanden, ward von Neros Posten
die im feindlichen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdru-
bals aufgefangen; sie enthielt, daſs Hasdrubal beabsichtige die

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[467/0481] HANNIBALISCHER KRIEG. so eben auf dem Schlachtfeld gefallen und Hannibal nicht bezwungen. In der That, Scipio mochte die Gunst seines Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von ihm und dem Lande abwandte. Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder 23 Legionen auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man über- rascht. Freunden und Feinden über alle Erwartung früh stand Hasdrubal diesseit der Alpen (547); die Gallier, der Durchmärsche jetzt gewohnt, öffneten für gutes Geld willig ihre Pässe und lieferten was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom beabsichtigt hatte die Ausgänge der Alpenpässe zu besetzen, so kam man damit zu spät; schon vernahm man, daſs Hasdrubal am Padus stehe, daſs er die Gallier mit glei- chem Erfolg wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe, daſs Placentia berannt worden sei. Schleunigst begab der Consul Marcus Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, daſs er erschien: Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gährung; Freiwillige von dort verstärkten das punische Heer. Sein College Gaius Nero zog aus Venusia den Prätor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit einem Heere von 40000 Mann Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen. Dieser sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet und die groſse Straſse, die von Rhegion nach Apulien führt, ent- lang marschirend traf er bei Grumentum auf den Consul. Es kam zu einem hartnäckigen Gefecht, in welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewöhnlichen ge- schickten Seitenmärsche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuſs gefolgt war, dort wie hier gegenüber. Daſs Hannibal freiwillig stehen blieb und nicht von der römischen Armee am Vorrücken gehindert ward, scheint nicht zu be- zweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter nördlich sich aufstellte, muſs gelegen haben in Verabredungen Hannibals mit Hasdrubal oder in Muthmaſsungen über dessen Marsch, die wir nicht kennen. Während also hier die beiden Heere sich unthätig gegenüberstanden, ward von Neros Posten die im feindlichen Lager sehnlich erwartete Depesche Hasdru- bals aufgefangen; sie enthielt, daſs Hasdrubal beabsichtige die 30*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/481>, abgerufen am 24.11.2024.