Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Die Bestürzung in Rom war gross; allein für den Augenblickgab es kein Mittel die Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glück handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und süditalischen Colonien, an ihrer Spitze das mächtige und patriotische Fregellae, erklärten im Gegentheil, dass sie um so enger und treulicher an Rom sich anschlössen -- freilich war es ihnen allen sehr deutlich dar- gethan, dass bei dem gegenwärtigen Kriege ihre Existenz wo möglich noch mehr auf dem Spiele stand als die der Haupt- stadt, und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss für Rom, sondern für die Hegemonie der Latiner, ja für die nationale Unabhängigkeit Italiens geführt ward. Jener halbe Abfall war sicherlich bloss hervorgegangen aus Kurzsichtigkeit und Er- schöpfung, nicht aus Landesverrath; ohne Zweifel würden dieselben Städte ein Bündniss mit den Puniern mit Abscheu zurückgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung zwischen Römern und Latinern, und der Rückschlag auf die unterworfene Bevölkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium zeigte sich sogleich bedenkliche Gährung; eine im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwörung ward entdeckt und schien so gefährlich, dass man desswegen römische Truppen marschiren liess. Militär und Polizei unterdrückten diese Bewegung zwar ohne Mühe; allein sie war ein bedenkliches Zeichen, was in jenen Land- schaften kommen könne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr schreckten. -- In diese schwierigen und gespann- ten Verhältnisse schlug plötzlich die Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 die Pyrenäen über- schritten habe und man sich darauf gefasst machen müsse im nächsten Jahr mit den beiden Söhnen Hamilkars in Italien den Krieg zu führen. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausge- harrt; was die factiöse Opposition daheim, was der kurzsich- tige Philippos ihm versagt hatte, das führte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst Hamilkars Geist mäch- tig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch punisches Gold geworben, bereit sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen gleich dem Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen zu bringen. Italien aber war nicht mehr, was es vor eilf Jahren gewesen: der Staat und die Einzelnen waren erschöpft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Die Bestürzung in Rom war groſs; allein für den Augenblickgab es kein Mittel die Widerspenstigen zu zwingen. Zum Glück handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die gallischen, picenischen und süditalischen Colonien, an ihrer Spitze das mächtige und patriotische Fregellae, erklärten im Gegentheil, daſs sie um so enger und treulicher an Rom sich anschlössen — freilich war es ihnen allen sehr deutlich dar- gethan, daſs bei dem gegenwärtigen Kriege ihre Existenz wo möglich noch mehr auf dem Spiele stand als die der Haupt- stadt, und daſs dieser Krieg wahrlich nicht bloſs für Rom, sondern für die Hegemonie der Latiner, ja für die nationale Unabhängigkeit Italiens geführt ward. Jener halbe Abfall war sicherlich bloſs hervorgegangen aus Kurzsichtigkeit und Er- schöpfung, nicht aus Landesverrath; ohne Zweifel würden dieselben Städte ein Bündniſs mit den Puniern mit Abscheu zurückgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung zwischen Römern und Latinern, und der Rückschlag auf die unterworfene Bevölkerung der Landschaften blieb nicht aus. In Arretium zeigte sich sogleich bedenkliche Gährung; eine im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwörung ward entdeckt und schien so gefährlich, daſs man deſswegen römische Truppen marschiren lieſs. Militär und Polizei unterdrückten diese Bewegung zwar ohne Mühe; allein sie war ein bedenkliches Zeichen, was in jenen Land- schaften kommen könne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr schreckten. — In diese schwierigen und gespann- ten Verhältnisse schlug plötzlich die Nachricht hinein, daſs Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 die Pyrenäen über- schritten habe und man sich darauf gefaſst machen müsse im nächsten Jahr mit den beiden Söhnen Hamilkars in Italien den Krieg zu führen. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausge- harrt; was die factiöse Opposition daheim, was der kurzsich- tige Philippos ihm versagt hatte, das führte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst Hamilkars Geist mäch- tig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch punisches Gold geworben, bereit sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen gleich dem Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen zu bringen. Italien aber war nicht mehr, was es vor eilf Jahren gewesen: der Staat und die Einzelnen waren erschöpft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0480" n="466"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL VI.</fw><lb/> Die Bestürzung in Rom war groſs; allein für den Augenblick<lb/> gab es kein Mittel die Widerspenstigen zu zwingen. Zum<lb/> Glück handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. 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DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
Die Bestürzung in Rom war groſs; allein für den Augenblick
gab es kein Mittel die Widerspenstigen zu zwingen. Zum
Glück handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die
gallischen, picenischen und süditalischen Colonien, an ihrer
Spitze das mächtige und patriotische Fregellae, erklärten im
Gegentheil, daſs sie um so enger und treulicher an Rom sich
anschlössen — freilich war es ihnen allen sehr deutlich dar-
gethan, daſs bei dem gegenwärtigen Kriege ihre Existenz wo
möglich noch mehr auf dem Spiele stand als die der Haupt-
stadt, und daſs dieser Krieg wahrlich nicht bloſs für Rom,
sondern für die Hegemonie der Latiner, ja für die nationale
Unabhängigkeit Italiens geführt ward. Jener halbe Abfall war
sicherlich bloſs hervorgegangen aus Kurzsichtigkeit und Er-
schöpfung, nicht aus Landesverrath; ohne Zweifel würden
dieselben Städte ein Bündniſs mit den Puniern mit Abscheu
zurückgewiesen haben. Allein immer war es eine Spaltung
zwischen Römern und Latinern, und der Rückschlag auf die
unterworfene Bevölkerung der Landschaften blieb nicht aus.
In Arretium zeigte sich sogleich bedenkliche Gährung; eine
im Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete
Verschwörung ward entdeckt und schien so gefährlich, daſs
man deſswegen römische Truppen marschiren lieſs. Militär
und Polizei unterdrückten diese Bewegung zwar ohne Mühe;
allein sie war ein bedenkliches Zeichen, was in jenen Land-
schaften kommen könne, seit die latinischen Zwingburgen
nicht mehr schreckten. — In diese schwierigen und gespann-
ten Verhältnisse schlug plötzlich die Nachricht hinein, daſs
Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 die Pyrenäen über-
schritten habe und man sich darauf gefaſst machen müsse im
nächsten Jahr mit den beiden Söhnen Hamilkars in Italien
den Krieg zu führen. Nicht umsonst hatte Hannibal die
langen schweren Jahre hindurch auf seinem Posten ausge-
harrt; was die factiöse Opposition daheim, was der kurzsich-
tige Philippos ihm versagt hatte, das führte endlich der Bruder
ihm heran, in dem wie in ihm selbst Hamilkars Geist mäch-
tig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch punisches
Gold geworben, bereit sich mit Hasdrubal zu vereinigen; wenn
er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen gleich dem
Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter
die Waffen zu bringen. Italien aber war nicht mehr, was es
vor eilf Jahren gewesen: der Staat und die Einzelnen waren
erschöpft, der latinische Bund gelockert, der beste Feldherr
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