Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.HANNIBALISCHER KRIEG. Finger sehen, weil man sie brauchte, so dass die Missbräuchearg genug wurden um zuletzt die Aedilen zu veranlassen durch Anklage vor dem Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuiren. Man nahm den Patriotismus der Ver- mögenden, die freilich verhältnissmässig eben am meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst; so hatten schon seit langem die Soldaten aus den besseren Klassen die An- nahme des Soldes verweigert und so gelang es durch eine freiwillige Anleihe bei den Reichen eine Flotte auszurüsten und zu bemannen (544). Man griff die Mündelgelder an, ja man sah sich endlich genöthigt den letzten lange gesparten Nothpfennig (etwa 1200000 Thlr. in Gold) im Jahre der Er- oberung von Tarent anzugreifen. Dennoch genügte der Staat seinen nothwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren Provinzen in be- sorglicher Weise. Aber die Bedrängniss des Staats war nicht der schlimmste Theil des materiellen Nothstandes. Ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Händen für die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preuss. Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (4 1/3 Thlr.), mindestens das Dreifache des hauptstädtischen Mittelpreises, und Viele wären geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegyp- ten Zufuhr gekommen wäre und nicht vor allem der in Sicilien wieder aufblühende Feldbau der ärgsten Noth gesteuert hätte. Wie aber solche Zustände die kleinen Bauerwirthschaften zerstö- ren, den sauer zurückgelegten Sparschatz verzehren, die blühen- den Dörfer in Bettler- und Räubernester verwandeln, das leh- ren ähnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben. -- Bedenklicher noch als diese materielle Noth war die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den römischen Krieg, der auch ihnen Gut und Blut frass. Zwar die nichtlatinischen Gemeinden, so weit sie nicht schon für Hannibal Partei ergriffen hatten, waren kaum im Stande sich zu widersetzen, so lange Latium zu Rom stand; aber auch die latinischen fingen an zu schwanken. Die meisten latinischen Communen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem nördlichen Campanien, also eben in denjenigen italischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklärten im Jahr 545 dem rö- mischen Senat, dass sie von jetzt an weder Contingente noch Steuern mehr schicken und es den Römern überlassen würden den in ihrem Interesse geführten Krieg selber zu bestreiten. Röm. Gesch. I: 30
HANNIBALISCHER KRIEG. Finger sehen, weil man sie brauchte, so daſs die Miſsbräuchearg genug wurden um zuletzt die Aedilen zu veranlassen durch Anklage vor dem Volk an einigen der schlimmsten ein Exempel zu statuiren. Man nahm den Patriotismus der Ver- mögenden, die freilich verhältniſsmäſsig eben am meisten litten, oft in Anspruch und nicht umsonst; so hatten schon seit langem die Soldaten aus den besseren Klassen die An- nahme des Soldes verweigert und so gelang es durch eine freiwillige Anleihe bei den Reichen eine Flotte auszurüsten und zu bemannen (544). Man griff die Mündelgelder an, ja man sah sich endlich genöthigt den letzten lange gesparten Nothpfennig (etwa 1200000 Thlr. in Gold) im Jahre der Er- oberung von Tarent anzugreifen. Dennoch genügte der Staat seinen nothwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den entfernteren Provinzen in be- sorglicher Weise. Aber die Bedrängniſs des Staats war nicht der schlimmste Theil des materiellen Nothstandes. Ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an Händen für die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos (1 preuſs. Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (4⅓ Thlr.), mindestens das Dreifache des hauptstädtischen Mittelpreises, und Viele wären geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegyp- ten Zufuhr gekommen wäre und nicht vor allem der in Sicilien wieder aufblühende Feldbau der ärgsten Noth gesteuert hätte. Wie aber solche Zustände die kleinen Bauerwirthschaften zerstö- ren, den sauer zurückgelegten Sparschatz verzehren, die blühen- den Dörfer in Bettler- und Räubernester verwandeln, das leh- ren ähnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben. — Bedenklicher noch als diese materielle Noth war die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den römischen Krieg, der auch ihnen Gut und Blut fraſs. Zwar die nichtlatinischen Gemeinden, so weit sie nicht schon für Hannibal Partei ergriffen hatten, waren kaum im Stande sich zu widersetzen, so lange Latium zu Rom stand; aber auch die latinischen fingen an zu schwanken. Die meisten latinischen Communen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet und dem nördlichen Campanien, also eben in denjenigen italischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten von dem Kriege gelitten hatten, erklärten im Jahr 545 dem rö- mischen Senat, daſs sie von jetzt an weder Contingente noch Steuern mehr schicken und es den Römern überlassen würden den in ihrem Interesse geführten Krieg selber zu bestreiten. Röm. Gesch. I: 30
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HANNIBALISCHER KRIEG.
Finger sehen, weil man sie brauchte, so daſs die Miſsbräuche
arg genug wurden um zuletzt die Aedilen zu veranlassen
durch Anklage vor dem Volk an einigen der schlimmsten ein
Exempel zu statuiren. Man nahm den Patriotismus der Ver-
mögenden, die freilich verhältniſsmäſsig eben am meisten
litten, oft in Anspruch und nicht umsonst; so hatten schon
seit langem die Soldaten aus den besseren Klassen die An-
nahme des Soldes verweigert und so gelang es durch eine
freiwillige Anleihe bei den Reichen eine Flotte auszurüsten
und zu bemannen (544). Man griff die Mündelgelder an, ja
man sah sich endlich genöthigt den letzten lange gesparten
Nothpfennig (etwa 1200000 Thlr. in Gold) im Jahre der Er-
oberung von Tarent anzugreifen. Dennoch genügte der Staat
seinen nothwendigsten Zahlungen nicht; die Entrichtung des
Soldes stockte namentlich in den entfernteren Provinzen in be-
sorglicher Weise. Aber die Bedrängniſs des Staats war nicht der
schlimmste Theil des materiellen Nothstandes. Ueberall lagen
die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste, fehlte es an
Händen für die Hacke und die Sichel. Der Preis des Medimnos
(1 preuſs. Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (4⅓ Thlr.),
mindestens das Dreifache des hauptstädtischen Mittelpreises, und
Viele wären geradezu Hungers gestorben, wenn nicht aus Aegyp-
ten Zufuhr gekommen wäre und nicht vor allem der in Sicilien
wieder aufblühende Feldbau der ärgsten Noth gesteuert hätte.
Wie aber solche Zustände die kleinen Bauerwirthschaften zerstö-
ren, den sauer zurückgelegten Sparschatz verzehren, die blühen-
den Dörfer in Bettler- und Räubernester verwandeln, das leh-
ren ähnliche Kriege, aus denen sich anschaulichere Berichte
erhalten haben. — Bedenklicher noch als diese materielle Noth
war die steigende Abneigung der Bundesgenossen gegen den
römischen Krieg, der auch ihnen Gut und Blut fraſs. Zwar
die nichtlatinischen Gemeinden, so weit sie nicht schon
für Hannibal Partei ergriffen hatten, waren kaum im Stande
sich zu widersetzen, so lange Latium zu Rom stand; aber
auch die latinischen fingen an zu schwanken. Die meisten
latinischen Communen in Etrurien, Latium, dem Marsergebiet
und dem nördlichen Campanien, also eben in denjenigen
italischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten von
dem Kriege gelitten hatten, erklärten im Jahr 545 dem rö-
mischen Senat, daſs sie von jetzt an weder Contingente noch
Steuern mehr schicken und es den Römern überlassen würden
den in ihrem Interesse geführten Krieg selber zu bestreiten.
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