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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
Tod; die übrigen übergaben die Stadt der Gnade eines un-
versöhnlich erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen
mussten, verstand sich von selbst; man stritt nur über langen
oder kurzen Prozess: ob es klüger und zweckmässiger sei die
weiteren Verzweigungen des Hochverraths auch ausserhalb
Capuas gründlich zu ermitteln oder durch rasche Execution
der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius
Claudius und der römische Senat; die letztere Meinung, viel-
leicht die weniger unmenschliche, siegte ob. Dreiundfunfzig
Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplätzen von Cales
und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Proconsuls
Quintus Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des
Rathes eingekerkert, ein zahlreicher Theil der Bürgerschaft
in die Sclaverei verkauft, das Vermögen der Wohlhabenderen
confiscirt. Aehnliche Gerichte ergingen über Atella und Ca-
latia. Diese Strafen waren hart; allein mit Rücksicht auf
das, was Capuas Abfall für Rom bedeutet und auf das,
was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn nicht recht, doch
üblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht
durch den Mord der sämmtlichen in Capua zur Zeit des Ab-
falls anwesenden römischen Bürger unmittelbar nach dem
Uebertritt die Bürgerschaft sich selber ihr Urtheil gesprochen?
Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte um
die stille Rivalität, die lange zwischen den beiden grössten
Städten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen durch die völlige
politische Vernichtung des gehassten und beneideten Nebenbuh-
lers, die Aufhebung der campanischen Stadtverfassung. -- Unge-
heuer war der Eindruck von Capuas Fall, um so mehr, da er nicht
durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijährige allen An-
strengungen Hannibals zum Trotz durchgeführte Belagerung her-
beigeführt worden war; er war ebenso sehr das Signal der den
Römern wiedergewonnenen Oberhand in Italien wie sechs Jahre
zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlore-
nen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht dem Ein-
druck dieser Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzu-
arbeiten durch die Einnahme von Rhegion oder der tarentini-
schen Burg. Sein Gewaltmarsch um Rhegion zu überraschen
hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der
Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwa-
der den Hafen sperrte, aber da die Römer mit ihrer weit
stärkeren Flotte jenem Geschwader selbst die Zufuhr abzu-
schneiden vermochten und Hannibal in dem Gebiet, das er

DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
Tod; die übrigen übergaben die Stadt der Gnade eines un-
versöhnlich erbitterten Feindes. Daſs Blutgerichte folgen
muſsten, verstand sich von selbst; man stritt nur über langen
oder kurzen Prozeſs: ob es klüger und zweckmäſsiger sei die
weiteren Verzweigungen des Hochverraths auch auſserhalb
Capuas gründlich zu ermitteln oder durch rasche Execution
der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius
Claudius und der römische Senat; die letztere Meinung, viel-
leicht die weniger unmenschliche, siegte ob. Dreiundfunfzig
Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplätzen von Cales
und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Proconsuls
Quintus Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des
Rathes eingekerkert, ein zahlreicher Theil der Bürgerschaft
in die Sclaverei verkauft, das Vermögen der Wohlhabenderen
confiscirt. Aehnliche Gerichte ergingen über Atella und Ca-
latia. Diese Strafen waren hart; allein mit Rücksicht auf
das, was Capuas Abfall für Rom bedeutet und auf das,
was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn nicht recht, doch
üblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht
durch den Mord der sämmtlichen in Capua zur Zeit des Ab-
falls anwesenden römischen Bürger unmittelbar nach dem
Uebertritt die Bürgerschaft sich selber ihr Urtheil gesprochen?
Arg aber war es, daſs Rom diese Gelegenheit benutzte um
die stille Rivalität, die lange zwischen den beiden gröſsten
Städten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen durch die völlige
politische Vernichtung des gehaſsten und beneideten Nebenbuh-
lers, die Aufhebung der campanischen Stadtverfassung. — Unge-
heuer war der Eindruck von Capuas Fall, um so mehr, da er nicht
durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijährige allen An-
strengungen Hannibals zum Trotz durchgeführte Belagerung her-
beigeführt worden war; er war ebenso sehr das Signal der den
Römern wiedergewonnenen Oberhand in Italien wie sechs Jahre
zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlore-
nen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht dem Ein-
druck dieser Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzu-
arbeiten durch die Einnahme von Rhegion oder der tarentini-
schen Burg. Sein Gewaltmarsch um Rhegion zu überraschen
hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der
Mangel zwar groſs, seit das tarentinisch-karthagische Geschwa-
der den Hafen sperrte, aber da die Römer mit ihrer weit
stärkeren Flotte jenem Geschwader selbst die Zufuhr abzu-
schneiden vermochten und Hannibal in dem Gebiet, das er

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[462/0476] DRITTES BUCH. KAPITEL VI. Tod; die übrigen übergaben die Stadt der Gnade eines un- versöhnlich erbitterten Feindes. Daſs Blutgerichte folgen muſsten, verstand sich von selbst; man stritt nur über langen oder kurzen Prozeſs: ob es klüger und zweckmäſsiger sei die weiteren Verzweigungen des Hochverraths auch auſserhalb Capuas gründlich zu ermitteln oder durch rasche Execution der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius Claudius und der römische Senat; die letztere Meinung, viel- leicht die weniger unmenschliche, siegte ob. Dreiundfunfzig Offiziere und Beamte wurden auf den Marktplätzen von Cales und Teanum auf Befehl und vor den Augen des Proconsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und enthauptet, der Rest des Rathes eingekerkert, ein zahlreicher Theil der Bürgerschaft in die Sclaverei verkauft, das Vermögen der Wohlhabenderen confiscirt. Aehnliche Gerichte ergingen über Atella und Ca- latia. Diese Strafen waren hart; allein mit Rücksicht auf das, was Capuas Abfall für Rom bedeutet und auf das, was der Kriegsgebrauch jener Zeit wenn nicht recht, doch üblich gemacht hatte, sind sie begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der sämmtlichen in Capua zur Zeit des Ab- falls anwesenden römischen Bürger unmittelbar nach dem Uebertritt die Bürgerschaft sich selber ihr Urtheil gesprochen? Arg aber war es, daſs Rom diese Gelegenheit benutzte um die stille Rivalität, die lange zwischen den beiden gröſsten Städten Italiens bestanden hatte, zu befriedigen durch die völlige politische Vernichtung des gehaſsten und beneideten Nebenbuh- lers, die Aufhebung der campanischen Stadtverfassung. — Unge- heuer war der Eindruck von Capuas Fall, um so mehr, da er nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijährige allen An- strengungen Hannibals zum Trotz durchgeführte Belagerung her- beigeführt worden war; er war ebenso sehr das Signal der den Römern wiedergewonnenen Oberhand in Italien wie sechs Jahre zuvor der Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlore- nen gewesen war. Vergeblich hatte Hannibal versucht dem Ein- druck dieser Nachricht auf die Bundesgenossen entgegenzu- arbeiten durch die Einnahme von Rhegion oder der tarentini- schen Burg. Sein Gewaltmarsch um Rhegion zu überraschen hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war der Mangel zwar groſs, seit das tarentinisch-karthagische Geschwa- der den Hafen sperrte, aber da die Römer mit ihrer weit stärkeren Flotte jenem Geschwader selbst die Zufuhr abzu- schneiden vermochten und Hannibal in dem Gebiet, das er

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/476>, abgerufen am 28.11.2024.