blieb ihm nichts übrig als abzuwarten, bis etwa Philippos die längst versprochene Landung ausführen oder die Brüder aus Spanien ihm die Hand reichen würden, und mittlerweile sich, seine Armee und seine Clientel so weit möglich unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zähen Defensive, die jetzt beginnt, kaum den Feldherrn wieder, der wie kaum ein anderer stürmisch und verwegen die Offensive geführt hat; est ist psychologisch wie militärisch bewunderns- werth, dass derselbe Mann die beiden ihm gestellten Auf- gaben ganz entgegengesetzter Art mit gleicher Vollkommenheit gelöst hat.
Zunächst zog der Krieg sich vornämlich nach Campanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er hinderte; allein weder vermochte er von den campanischen Städten, die die Römer besassen, irgend eine den starken römischen Besatzungen zu entreissen noch konnte er wehren, dass ausser einer Menge minder wichtiger Landstädte auch Casilinum, das ihm den Uebergang über den Volturnus sicherte, von den beiden Consularheeren nach hartnäckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch Han- nibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sichern Landungsplatz für die makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich in Lucanien mit der römischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem glücklichen Gefecht, bei dem die zum Dienst gepressten Sclavenlegionen sich aus- gezeichnet hatten, den Sclavensoldaten im Namen des Volkes die Freiheit und das Bürgerrecht. -- Im folgenden Jahr (541) gewannen die Römer das reiche und wichtige Arpi zurück, dessen Bürgerschaft, nachdem die römischen Soldaten sich in die Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gemeinschaftliche Sache machte gegen die karthagische Besatzung. Ueberhaupt lockerten sich die Bande der hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere brettische Städte gingen über zu Rom; ja sogar eine spanische Abthei- lung des punischen Heeres trat, durch spanische Emissäre von dem Gang der Ereignisse in der Heimath in Kenntniss gesetzt, aus karthagischen in römische Dienste. -- Ungünstiger war für die Römer das Jahr 542 durch neue politische und militärische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterliess. In den grossgriechischen Städten, die bisher treu zu Rom
DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
blieb ihm nichts übrig als abzuwarten, bis etwa Philippos die längst versprochene Landung ausführen oder die Brüder aus Spanien ihm die Hand reichen würden, und mittlerweile sich, seine Armee und seine Clientel so weit möglich unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zähen Defensive, die jetzt beginnt, kaum den Feldherrn wieder, der wie kaum ein anderer stürmisch und verwegen die Offensive geführt hat; est ist psychologisch wie militärisch bewunderns- werth, daſs derselbe Mann die beiden ihm gestellten Auf- gaben ganz entgegengesetzter Art mit gleicher Vollkommenheit gelöst hat.
Zunächst zog der Krieg sich vornämlich nach Campanien. Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschlieſsung er hinderte; allein weder vermochte er von den campanischen Städten, die die Römer besaſsen, irgend eine den starken römischen Besatzungen zu entreiſsen noch konnte er wehren, daſs auſser einer Menge minder wichtiger Landstädte auch Casilinum, das ihm den Uebergang über den Volturnus sicherte, von den beiden Consularheeren nach hartnäckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch Han- nibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen sichern Landungsplatz für die makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager unter Hanno schlug sich in Lucanien mit der römischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit Erfolg den Kampf und gab nach einem glücklichen Gefecht, bei dem die zum Dienst gepreſsten Sclavenlegionen sich aus- gezeichnet hatten, den Sclavensoldaten im Namen des Volkes die Freiheit und das Bürgerrecht. — Im folgenden Jahr (541) gewannen die Römer das reiche und wichtige Arpi zurück, dessen Bürgerschaft, nachdem die römischen Soldaten sich in die Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gemeinschaftliche Sache machte gegen die karthagische Besatzung. Ueberhaupt lockerten sich die Bande der hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere brettische Städte gingen über zu Rom; ja sogar eine spanische Abthei- lung des punischen Heeres trat, durch spanische Emissäre von dem Gang der Ereignisse in der Heimath in Kenntniſs gesetzt, aus karthagischen in römische Dienste. — Ungünstiger war für die Römer das Jahr 542 durch neue politische und militärische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterlieſs. In den groſsgriechischen Städten, die bisher treu zu Rom
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DRITTES BUCH. KAPITEL VI.
blieb ihm nichts übrig als abzuwarten, bis etwa Philippos die
längst versprochene Landung ausführen oder die Brüder aus
Spanien ihm die Hand reichen würden, und mittlerweile sich,
seine Armee und seine Clientel so weit möglich unversehrt
und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zähen
Defensive, die jetzt beginnt, kaum den Feldherrn wieder, der
wie kaum ein anderer stürmisch und verwegen die Offensive
geführt hat; est ist psychologisch wie militärisch bewunderns-
werth, daſs derselbe Mann die beiden ihm gestellten Auf-
gaben ganz entgegengesetzter Art mit gleicher Vollkommenheit
gelöst hat.
Zunächst zog der Krieg sich vornämlich nach Campanien.
Hannibal erschien rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt,
deren Einschlieſsung er hinderte; allein weder vermochte er
von den campanischen Städten, die die Römer besaſsen, irgend
eine den starken römischen Besatzungen zu entreiſsen noch
konnte er wehren, daſs auſser einer Menge minder wichtiger
Landstädte auch Casilinum, das ihm den Uebergang über
den Volturnus sicherte, von den beiden Consularheeren nach
hartnäckiger Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch Han-
nibals Tarent zu gewinnen, wobei es namentlich auf einen
sichern Landungsplatz für die makedonische Armee abgesehen
war, schlug ihm fehl. Das brettische Heer der Karthager
unter Hanno schlug sich in Lucanien mit der römischen
Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit
Erfolg den Kampf und gab nach einem glücklichen Gefecht,
bei dem die zum Dienst gepreſsten Sclavenlegionen sich aus-
gezeichnet hatten, den Sclavensoldaten im Namen des Volkes
die Freiheit und das Bürgerrecht. — Im folgenden Jahr (541)
gewannen die Römer das reiche und wichtige Arpi zurück,
dessen Bürgerschaft, nachdem die römischen Soldaten sich in
die Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gemeinschaftliche
Sache machte gegen die karthagische Besatzung. Ueberhaupt
lockerten sich die Bande der hannibalischen Symmachie; eine
Anzahl der vornehmsten Capuaner und mehrere brettische
Städte gingen über zu Rom; ja sogar eine spanische Abthei-
lung des punischen Heeres trat, durch spanische Emissäre
von dem Gang der Ereignisse in der Heimath in Kenntniſs
gesetzt, aus karthagischen in römische Dienste. — Ungünstiger
war für die Römer das Jahr 542 durch neue politische und
militärische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht unterlieſs.
In den groſsgriechischen Städten, die bisher treu zu Rom
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/472>, abgerufen am 24.11.2024.
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