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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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den makedonischen Einfällen geöffnet worden war. Endlich
entschlossen die Aetoler sich den vermittelnden Städten Gehör
zu geben und trotz der Gegenbestrebungen der Römer kam im
Winter 548/9 ein Friede zwischen den griechischen Mächten
zu Stande. Die Aetoler hatten einen übermächtigen Bundes-
genossen in einen gefährlichen Feind verwandelt; indess es
schien dem römischen Senat, der eben damals alle Kräfte
des erschöpften Staates zu der entscheidenden africanischen
Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick den Bruch
des Bündnisses zu ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos,
der nach dem Rücktritt der Aetoler neue Anstrengungen von den
Römern selbst gefordert haben würde, schien es zweckmässi-
ger durch einen Frieden zu beendigen, durch den Rom mit
Ausnahme des werthlosen atintanischen Gebiets seine sämmt-
lichen Besitzungen in Epeiros behielt. Unter den Umständen
musste Philippos sich glücklich schätzen so günstige Bedingun-
gen zu erhalten; allein es war damit ausgesprochen, was sich
freilich nicht länger verbergen liess, dass all das unsägliche
Elend, welches die zehn Jahre eines mit widerwärtiger Un-
menschlichkeit geführten Krieges über Griechenland gebracht
hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und richtige
Combination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland
einen Augenblick getheilt hatte, unwiederbringlich geschei-
tert war.

In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals mäch-
tig war, war der Kampf ernster. Er bewegt sich in selt-
samen Wechselfällen, wie die eigenthümliche Beschaffenheit
des Landes und Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die
Bauern und Hirten, die in dem schönen Ebrothal und dem
üppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahl-
reichen Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen
jenem und diesem wohnten, waren eben so leicht als bewaff-
neter Landsturm zusammenzutreiben, wie sie schwer gegen
den Feind sich führen und überhaupt nur sich zusammenhal-
ten liessen. Die Städter waren ebensowenig zu festem und
gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnäckig jede
einzelne Bürgerschaft hinter ihren Wällen dem Dränger Trotz
bot. Sie alle scheinen zwischen den Römern und den Kar-
thagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob die lästigen
Gäste, die sich im Ebrothal, oder die, welche am Guadal-
quivir sich festgesetzt hatten, ein grösseres oder kleineres
Stück der Halbinsel besassen, mag den Eingebornen ziemlich

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den makedonischen Einfällen geöffnet worden war. Endlich
entschlossen die Aetoler sich den vermittelnden Städten Gehör
zu geben und trotz der Gegenbestrebungen der Römer kam im
Winter 548/9 ein Friede zwischen den griechischen Mächten
zu Stande. Die Aetoler hatten einen übermächtigen Bundes-
genossen in einen gefährlichen Feind verwandelt; indeſs es
schien dem römischen Senat, der eben damals alle Kräfte
des erschöpften Staates zu der entscheidenden africanischen
Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick den Bruch
des Bündnisses zu ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos,
der nach dem Rücktritt der Aetoler neue Anstrengungen von den
Römern selbst gefordert haben würde, schien es zweckmäſsi-
ger durch einen Frieden zu beendigen, durch den Rom mit
Ausnahme des werthlosen atintanischen Gebiets seine sämmt-
lichen Besitzungen in Epeiros behielt. Unter den Umständen
muſste Philippos sich glücklich schätzen so günstige Bedingun-
gen zu erhalten; allein es war damit ausgesprochen, was sich
freilich nicht länger verbergen lieſs, daſs all das unsägliche
Elend, welches die zehn Jahre eines mit widerwärtiger Un-
menschlichkeit geführten Krieges über Griechenland gebracht
hatten, nutzlos erduldet, und daſs die groſsartige und richtige
Combination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland
einen Augenblick getheilt hatte, unwiederbringlich geschei-
tert war.

In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals mäch-
tig war, war der Kampf ernster. Er bewegt sich in selt-
samen Wechselfällen, wie die eigenthümliche Beschaffenheit
des Landes und Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die
Bauern und Hirten, die in dem schönen Ebrothal und dem
üppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahl-
reichen Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen
jenem und diesem wohnten, waren eben so leicht als bewaff-
neter Landsturm zusammenzutreiben, wie sie schwer gegen
den Feind sich führen und überhaupt nur sich zusammenhal-
ten lieſsen. Die Städter waren ebensowenig zu festem und
gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnäckig jede
einzelne Bürgerschaft hinter ihren Wällen dem Dränger Trotz
bot. Sie alle scheinen zwischen den Römern und den Kar-
thagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob die lästigen
Gäste, die sich im Ebrothal, oder die, welche am Guadal-
quivir sich festgesetzt hatten, ein gröſseres oder kleineres
Stück der Halbinsel besaſsen, mag den Eingebornen ziemlich

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[446/0460] DRITTES BUCH. KAPITEL VI. den makedonischen Einfällen geöffnet worden war. Endlich entschlossen die Aetoler sich den vermittelnden Städten Gehör zu geben und trotz der Gegenbestrebungen der Römer kam im Winter 548/9 ein Friede zwischen den griechischen Mächten zu Stande. Die Aetoler hatten einen übermächtigen Bundes- genossen in einen gefährlichen Feind verwandelt; indeſs es schien dem römischen Senat, der eben damals alle Kräfte des erschöpften Staates zu der entscheidenden africanischen Expedition aufbot, nicht der geeignete Augenblick den Bruch des Bündnisses zu ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, der nach dem Rücktritt der Aetoler neue Anstrengungen von den Römern selbst gefordert haben würde, schien es zweckmäſsi- ger durch einen Frieden zu beendigen, durch den Rom mit Ausnahme des werthlosen atintanischen Gebiets seine sämmt- lichen Besitzungen in Epeiros behielt. Unter den Umständen muſste Philippos sich glücklich schätzen so günstige Bedingun- gen zu erhalten; allein es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht länger verbergen lieſs, daſs all das unsägliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit widerwärtiger Un- menschlichkeit geführten Krieges über Griechenland gebracht hatten, nutzlos erduldet, und daſs die groſsartige und richtige Combination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland einen Augenblick getheilt hatte, unwiederbringlich geschei- tert war. In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals mäch- tig war, war der Kampf ernster. Er bewegt sich in selt- samen Wechselfällen, wie die eigenthümliche Beschaffenheit des Landes und Sitte des Volkes sie mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schönen Ebrothal und dem üppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahl- reichen Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem wohnten, waren eben so leicht als bewaff- neter Landsturm zusammenzutreiben, wie sie schwer gegen den Feind sich führen und überhaupt nur sich zusammenhal- ten lieſsen. Die Städter waren ebensowenig zu festem und gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnäckig jede einzelne Bürgerschaft hinter ihren Wällen dem Dränger Trotz bot. Sie alle scheinen zwischen den Römern und den Kar- thagern wenig Unterschied gemacht zu haben; ob die lästigen Gäste, die sich im Ebrothal, oder die, welche am Guadal- quivir sich festgesetzt hatten, ein gröſseres oder kleineres Stück der Halbinsel besaſsen, mag den Eingebornen ziemlich

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/460>, abgerufen am 28.11.2024.