Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL V. fassung, mischte sich ein; die unvernünftigen Beschuldigungen,dass die Vornehmen mit dem auswärtigen Feinde conspirirten, fanden Glauben beim ,Volk'; die Heilande des politischen Köh- lerglaubens, die Gaius Flaminius und Marcus Varro, beide ,neue Männer' und Volksfreunde vom reinsten Wasser, wurden dem- nach zur Ausführung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten Operationspläne von eben dieser Menge beauftragt, und die Ergebnisse waren die Schlachten am trasimenischen See und bei Cannae. Dass der Senat, der begreiflicher Weise seine Aufgabe jetzt besser fasste als da er des Regulus halbe Armee aus Africa zurückrief, die Leitung der Angelegenheiten für sich begehrte und jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemäss; allein die Art, wie er den Krieg führte, als die erste jener beiden Nieder- lagen ihm augenblicklich das Ruder in die Hand gab, ist gleichfalls nicht unbefangen. Auch Quintus Fabius, so wenig er mit jenen römischen Kleonen verglichen werden darf, hat den Krieg nicht bloss als Militär geführt, sondern auch als politischer Gegner des Gaius Flaminius, und in einer Zeit, die Einigkeit brauchte, gethan was er konnte um zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das wichtigste Instrument, das eben für solche Fälle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Dictatur ihm unter den Hän- den zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die cannen- sische Schlacht. Den jähen Sturz der römischen Macht ver- schuldeten aber nicht Quintus Fabius noch Marcus Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und dem Regierten, die Spaltung zwischen Rath und Bürgerschaft. Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates möglich war, mussten sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was schwe- rer wiegt, dies gethan zu haben, gethan mit Unterdrückung aller an sich gerechten Recriminationen, ist die herrliche und unvergängliche Ehre des römischen Senats. Als Varro -- allein von allen Generalen, die in der Schlacht commandirt hatten -- nach Rom zurückkehrte, und die römischen Sena- toren bis an das Thor ihm entgegengingen und ihm dankten, dass er nicht verzweifelt habe an der Rettung des Vaterlandes, waren dies weder leere Reden um mit grossen Worten das Elend zu verhüllen, noch bitterer Spott über einen Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines DRITTES BUCH. KAPITEL V. fassung, mischte sich ein; die unvernünftigen Beschuldigungen,daſs die Vornehmen mit dem auswärtigen Feinde conspirirten, fanden Glauben beim ‚Volk‘; die Heilande des politischen Köh- lerglaubens, die Gaius Flaminius und Marcus Varro, beide ‚neue Männer‘ und Volksfreunde vom reinsten Wasser, wurden dem- nach zur Ausführung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten Operationspläne von eben dieser Menge beauftragt, und die Ergebnisse waren die Schlachten am trasimenischen See und bei Cannae. Daſs der Senat, der begreiflicher Weise seine Aufgabe jetzt besser faſste als da er des Regulus halbe Armee aus Africa zurückrief, die Leitung der Angelegenheiten für sich begehrte und jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemäſs; allein die Art, wie er den Krieg führte, als die erste jener beiden Nieder- lagen ihm augenblicklich das Ruder in die Hand gab, ist gleichfalls nicht unbefangen. Auch Quintus Fabius, so wenig er mit jenen römischen Kleonen verglichen werden darf, hat den Krieg nicht bloſs als Militär geführt, sondern auch als politischer Gegner des Gaius Flaminius, und in einer Zeit, die Einigkeit brauchte, gethan was er konnte um zu erbittern. Die Folge war erstlich, daſs das wichtigste Instrument, das eben für solche Fälle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Dictatur ihm unter den Hän- den zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die cannen- sische Schlacht. Den jähen Sturz der römischen Macht ver- schuldeten aber nicht Quintus Fabius noch Marcus Varro, sondern das Miſstrauen zwischen dem Regiment und dem Regierten, die Spaltung zwischen Rath und Bürgerschaft. Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates möglich war, muſsten sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was schwe- rer wiegt, dies gethan zu haben, gethan mit Unterdrückung aller an sich gerechten Recriminationen, ist die herrliche und unvergängliche Ehre des römischen Senats. Als Varro — allein von allen Generalen, die in der Schlacht commandirt hatten — nach Rom zurückkehrte, und die römischen Sena- toren bis an das Thor ihm entgegengingen und ihm dankten, daſs er nicht verzweifelt habe an der Rettung des Vaterlandes, waren dies weder leere Reden um mit groſsen Worten das Elend zu verhüllen, noch bitterer Spott über einen Armseligen; es war der Friedensschluſs zwischen dem Regiment und den Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0442" n="428"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL V.</fw><lb/> fassung, mischte sich ein; die unvernünftigen Beschuldigungen,<lb/> daſs die Vornehmen mit dem auswärtigen Feinde conspirirten,<lb/> fanden Glauben beim ‚Volk‘; die Heilande des politischen Köh-<lb/> lerglaubens, die Gaius Flaminius und Marcus Varro, beide ‚neue<lb/> Männer‘ und Volksfreunde vom reinsten Wasser, wurden dem-<lb/> nach zur Ausführung ihrer unter dem Beifall der Menge auf<lb/> dem Markt entwickelten Operationspläne von eben dieser<lb/> Menge beauftragt, und die Ergebnisse waren die Schlachten<lb/> am trasimenischen See und bei Cannae. Daſs der Senat,<lb/> der begreiflicher Weise seine Aufgabe jetzt besser faſste als<lb/> da er des Regulus halbe Armee aus Africa zurückrief, die<lb/> Leitung der Angelegenheiten für sich begehrte und jenem<lb/> Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemäſs; allein die Art,<lb/> wie er den Krieg führte, als die erste jener beiden Nieder-<lb/> lagen ihm augenblicklich das Ruder in die Hand gab, ist<lb/> gleichfalls nicht unbefangen. Auch Quintus Fabius, so wenig<lb/> er mit jenen römischen Kleonen verglichen werden darf, hat<lb/> den Krieg nicht bloſs als Militär geführt, sondern auch als<lb/> politischer Gegner des Gaius Flaminius, und in einer Zeit,<lb/> die Einigkeit brauchte, gethan was er konnte um zu erbittern.<lb/> Die Folge war erstlich, daſs das wichtigste Instrument, das<lb/> eben für solche Fälle die Weisheit der Vorfahren dem Senat<lb/> in die Hand gegeben hatte, die Dictatur ihm unter den Hän-<lb/> den zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die cannen-<lb/> sische Schlacht. Den jähen Sturz der römischen Macht ver-<lb/> schuldeten aber nicht Quintus Fabius noch Marcus Varro,<lb/> sondern das Miſstrauen zwischen dem Regiment und dem<lb/> Regierten, die Spaltung zwischen Rath und Bürgerschaft.<lb/> Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates möglich<lb/> war, muſsten sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der<lb/> Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was schwe-<lb/> rer wiegt, dies gethan zu haben, gethan mit Unterdrückung<lb/> aller an sich gerechten Recriminationen, ist die herrliche und<lb/> unvergängliche Ehre des römischen Senats. Als Varro —<lb/> allein von allen Generalen, die in der Schlacht commandirt<lb/> hatten — nach Rom zurückkehrte, und die römischen Sena-<lb/> toren bis an das Thor ihm entgegengingen und ihm dankten,<lb/> daſs er nicht verzweifelt habe an der Rettung des Vaterlandes,<lb/> waren dies weder leere Reden um mit groſsen Worten das<lb/> Elend zu verhüllen, noch bitterer Spott über einen Armseligen;<lb/> es war der Friedensschluſs zwischen dem Regiment und den<lb/> Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [428/0442]
DRITTES BUCH. KAPITEL V.
fassung, mischte sich ein; die unvernünftigen Beschuldigungen,
daſs die Vornehmen mit dem auswärtigen Feinde conspirirten,
fanden Glauben beim ‚Volk‘; die Heilande des politischen Köh-
lerglaubens, die Gaius Flaminius und Marcus Varro, beide ‚neue
Männer‘ und Volksfreunde vom reinsten Wasser, wurden dem-
nach zur Ausführung ihrer unter dem Beifall der Menge auf
dem Markt entwickelten Operationspläne von eben dieser
Menge beauftragt, und die Ergebnisse waren die Schlachten
am trasimenischen See und bei Cannae. Daſs der Senat,
der begreiflicher Weise seine Aufgabe jetzt besser faſste als
da er des Regulus halbe Armee aus Africa zurückrief, die
Leitung der Angelegenheiten für sich begehrte und jenem
Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemäſs; allein die Art,
wie er den Krieg führte, als die erste jener beiden Nieder-
lagen ihm augenblicklich das Ruder in die Hand gab, ist
gleichfalls nicht unbefangen. Auch Quintus Fabius, so wenig
er mit jenen römischen Kleonen verglichen werden darf, hat
den Krieg nicht bloſs als Militär geführt, sondern auch als
politischer Gegner des Gaius Flaminius, und in einer Zeit,
die Einigkeit brauchte, gethan was er konnte um zu erbittern.
Die Folge war erstlich, daſs das wichtigste Instrument, das
eben für solche Fälle die Weisheit der Vorfahren dem Senat
in die Hand gegeben hatte, die Dictatur ihm unter den Hän-
den zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die cannen-
sische Schlacht. Den jähen Sturz der römischen Macht ver-
schuldeten aber nicht Quintus Fabius noch Marcus Varro,
sondern das Miſstrauen zwischen dem Regiment und dem
Regierten, die Spaltung zwischen Rath und Bürgerschaft.
Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates möglich
war, muſsten sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der
Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was schwe-
rer wiegt, dies gethan zu haben, gethan mit Unterdrückung
aller an sich gerechten Recriminationen, ist die herrliche und
unvergängliche Ehre des römischen Senats. Als Varro —
allein von allen Generalen, die in der Schlacht commandirt
hatten — nach Rom zurückkehrte, und die römischen Sena-
toren bis an das Thor ihm entgegengingen und ihm dankten,
daſs er nicht verzweifelt habe an der Rettung des Vaterlandes,
waren dies weder leere Reden um mit groſsen Worten das
Elend zu verhüllen, noch bitterer Spott über einen Armseligen;
es war der Friedensschluſs zwischen dem Regiment und den
Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |