Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL V. sondern theils aus den dienstgewohnten Legionen von Arimi-num, theils aus einberufener Landwehr, und weit entfernt durch die letzten Niederlagen entmuthigt zu sein, war es er- bittert über die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, ,Hannibals Lakai', ihm zuwies, und verlangte mit lauter Stimme gegen den Feind geführt zu werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Bürgerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Marcus Terentius Varro, bemächtigten sich des Haders -- wobei man nicht vergessen darf, dass der Dictator thatsächlich vom Senat ernannt ward und dies Amt galt als das Palladium der conservativen Partei -- und setzten im Verein mit den unmuthigen Soldaten und den Be- sitzern der geplünderten Güter den verfassungs- und sinn- widrigen Volksbeschluss durch: die Dictatur, die dazu bestimmt war in Zeiten der Gefahr die Uebelstände des getheilten Ober- befehls zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fa- bius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu ertheilen. So wurde die römische Armee, nachdem ihre gefährliche Spaltung in zwei abgesonderte Corps eben erst zweckmässig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum ge- theilt, sondern an die Spitze einer jeden Abtheilung ein Füh- rer gestellt, der einen dem des Collegen geradezu und offen- kundig entgegengesetzten Kriegsplan befolgte. Quintus Fabius blieb natürlich mehr als je bei seinem methodischen Nichts- thun; Marcus Minucius, genöthigt seinen Dictatortitel auf dem Schlachtfeld zu rechtfertigen, griff übereilt und mit geringen Streitkräften an und wäre vernichtet worden, wenn nicht hier sein College durch das rechtzeitige Erscheinen seines frischen Corps grösseres Unglück abgewandt hätte. Der Dictator Quin- tus Fabius, dem diese letzte Wendung der Dinge gewisserma- ssen Recht gegeben hatte, legte verfassungsmässig in der Mitte des Herbstes sein Amt nieder und übergab den beiden Consuln Gnaeus Servilius und Marcus Regulus den Oberbefehl, worauf bald nachher von beiden Seiten die Operationen für dies Jahr eingestellt wurden. Hannibal hatte in diesem Feldzug vollstän- dig erreicht, was mit den Waffen sich erreichen liess; nicht eine einzige wesentliche Operation hatte der Gegner ihm ver- eitelt. Nicht der ,Zauderer' hat Rom gerettet, sondern die feste Fugung seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass, mit dem der phoenikische Mann von den Occidentalen empfangen ward. DRITTES BUCH. KAPITEL V. sondern theils aus den dienstgewohnten Legionen von Arimi-num, theils aus einberufener Landwehr, und weit entfernt durch die letzten Niederlagen entmuthigt zu sein, war es er- bittert über die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, ‚Hannibals Lakai‘, ihm zuwies, und verlangte mit lauter Stimme gegen den Feind geführt zu werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Bürgerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Marcus Terentius Varro, bemächtigten sich des Haders — wobei man nicht vergessen darf, daſs der Dictator thatsächlich vom Senat ernannt ward und dies Amt galt als das Palladium der conservativen Partei — und setzten im Verein mit den unmuthigen Soldaten und den Be- sitzern der geplünderten Güter den verfassungs- und sinn- widrigen Volksbeschluſs durch: die Dictatur, die dazu bestimmt war in Zeiten der Gefahr die Uebelstände des getheilten Ober- befehls zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fa- bius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu ertheilen. So wurde die römische Armee, nachdem ihre gefährliche Spaltung in zwei abgesonderte Corps eben erst zweckmäſsig beseitigt worden war, nicht bloſs wiederum ge- theilt, sondern an die Spitze einer jeden Abtheilung ein Füh- rer gestellt, der einen dem des Collegen geradezu und offen- kundig entgegengesetzten Kriegsplan befolgte. Quintus Fabius blieb natürlich mehr als je bei seinem methodischen Nichts- thun; Marcus Minucius, genöthigt seinen Dictatortitel auf dem Schlachtfeld zu rechtfertigen, griff übereilt und mit geringen Streitkräften an und wäre vernichtet worden, wenn nicht hier sein College durch das rechtzeitige Erscheinen seines frischen Corps gröſseres Unglück abgewandt hätte. Der Dictator Quin- tus Fabius, dem diese letzte Wendung der Dinge gewisserma- ſsen Recht gegeben hatte, legte verfassungsmäſsig in der Mitte des Herbstes sein Amt nieder und übergab den beiden Consuln Gnaeus Servilius und Marcus Regulus den Oberbefehl, worauf bald nachher von beiden Seiten die Operationen für dies Jahr eingestellt wurden. Hannibal hatte in diesem Feldzug vollstän- dig erreicht, was mit den Waffen sich erreichen lieſs; nicht eine einzige wesentliche Operation hatte der Gegner ihm ver- eitelt. Nicht der ‚Zauderer‘ hat Rom gerettet, sondern die feste Fugung seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhaſs, mit dem der phoenikische Mann von den Occidentalen empfangen ward. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0434" n="420"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL V.
sondern theils aus den dienstgewohnten Legionen von Arimi-
num, theils aus einberufener Landwehr, und weit entfernt
durch die letzten Niederlagen entmuthigt zu sein, war es er-
bittert über die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr,
‚Hannibals Lakai‘, ihm zuwies, und verlangte mit lauter
Stimme gegen den Feind geführt zu werden. Es kam zu
den heftigsten Auftritten in den Bürgerversammlungen gegen
den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an
ihrer Spitze der gewesene Praetor Marcus Terentius Varro,
bemächtigten sich des Haders — wobei man nicht vergessen
darf, daſs der Dictator thatsächlich vom Senat ernannt ward und
dies Amt galt als das Palladium der conservativen Partei — und
setzten im Verein mit den unmuthigen Soldaten und den Be-
sitzern der geplünderten Güter den verfassungs- und sinn-
widrigen Volksbeschluſs durch: die Dictatur, die dazu bestimmt
war in Zeiten der Gefahr die Uebelstände des getheilten Ober-
befehls zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fa-
bius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius
zu ertheilen. So wurde die römische Armee, nachdem ihre
gefährliche Spaltung in zwei abgesonderte Corps eben erst
zweckmäſsig beseitigt worden war, nicht bloſs wiederum ge-
theilt, sondern an die Spitze einer jeden Abtheilung ein Füh-
rer gestellt, der einen dem des Collegen geradezu und offen-
kundig entgegengesetzten Kriegsplan befolgte. Quintus Fabius
blieb natürlich mehr als je bei seinem methodischen Nichts-
thun; Marcus Minucius, genöthigt seinen Dictatortitel auf dem
Schlachtfeld zu rechtfertigen, griff übereilt und mit geringen
Streitkräften an und wäre vernichtet worden, wenn nicht hier
sein College durch das rechtzeitige Erscheinen seines frischen
Corps gröſseres Unglück abgewandt hätte. Der Dictator Quin-
tus Fabius, dem diese letzte Wendung der Dinge gewisserma-
ſsen Recht gegeben hatte, legte verfassungsmäſsig in der Mitte
des Herbstes sein Amt nieder und übergab den beiden Consuln
Gnaeus Servilius und Marcus Regulus den Oberbefehl, worauf
bald nachher von beiden Seiten die Operationen für dies Jahr
eingestellt wurden. Hannibal hatte in diesem Feldzug vollstän-
dig erreicht, was mit den Waffen sich erreichen lieſs; nicht
eine einzige wesentliche Operation hatte der Gegner ihm ver-
eitelt. Nicht der ‚Zauderer‘ hat Rom gerettet, sondern die
feste Fugung seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht
minder der Nationalhaſs, mit dem der phoenikische Mann von
den Occidentalen empfangen ward.
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