Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.HANNIBALISCHER KRIEG. schwierige Operation den Winterbedarf des Heeres durch die-ses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite völlig flache apulische Ebene, die Getreide und Gras in Ueberfluss darbot und von seiner überlegenen Reiterei gänzlich beherrscht werden konnte, hatte er hiezu sich aus- ersehen. Bei Gerunium 25 Miglien nördlich von Luceria ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres täglich zum Einbringen der Vorräthe ausgesendet wur- den, während Hannibal mit dem Rest Stellung nahm um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu decken. Das römische Heer, das damals in Abwesenheit des Dictators sein Unterfeldherr Marcus Minucius befehligte, rückte an den Feind heran und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, wo es theils durch seine blosse Anwesenheit die Detachirungen und dadurch die Verproviantirung des feindlichen Heeres hinderte, theils in einer Reihe glücklicher Gefechte, die es gegen einzelne punische Abtheilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestand, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdrängte und sie nöthigte sich bei Gerunium zu concentriren. Auf die Nach- richt von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war sich römischer Seits vertheidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel des Fein- des zu erwarten, so war es doch ein seltsames Vertheidigungs- und Aushungerungssystem, bei welchem der Feind unter den Augen einer an Zahl gleichen römischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert verwüstet und durch eine geordnete Fouragirung im grössten Massstab sich für den Winter hinreichend verprovian- tirt hatte. So hatte Gnaeus Scipio, als er im Pothal comman- dirte, die defensive Haltung nicht verstanden und der Versuch seines Nachfolgers bei Casilinum ihm nachzuahmen war auf eine Weise gescheitert, die den städtischen Spottvögeln reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswerth, dass die italischen Ge- meinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegen- heit der Punier, die Nichtigkeit der römischen Hülfe so fühl- bar darthat; allein wie lange konnte man ihnen zumuthen die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der römischen Truppen und ihrer eigenen Contingente aus- plündern zu lassen? Endlich was das römische Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser Kriegführung nöthigte; es bestand nicht aus rohen Rekruten, 27*
HANNIBALISCHER KRIEG. schwierige Operation den Winterbedarf des Heeres durch die-ses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite völlig flache apulische Ebene, die Getreide und Gras in Ueberfluſs darbot und von seiner überlegenen Reiterei gänzlich beherrscht werden konnte, hatte er hiezu sich aus- ersehen. Bei Gerunium 25 Miglien nördlich von Luceria ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres täglich zum Einbringen der Vorräthe ausgesendet wur- den, während Hannibal mit dem Rest Stellung nahm um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu decken. Das römische Heer, das damals in Abwesenheit des Dictators sein Unterfeldherr Marcus Minucius befehligte, rückte an den Feind heran und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, wo es theils durch seine bloſse Anwesenheit die Detachirungen und dadurch die Verproviantirung des feindlichen Heeres hinderte, theils in einer Reihe glücklicher Gefechte, die es gegen einzelne punische Abtheilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestand, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdrängte und sie nöthigte sich bei Gerunium zu concentriren. Auf die Nach- richt von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war sich römischer Seits vertheidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel des Fein- des zu erwarten, so war es doch ein seltsames Vertheidigungs- und Aushungerungssystem, bei welchem der Feind unter den Augen einer an Zahl gleichen römischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert verwüstet und durch eine geordnete Fouragirung im gröſsten Maſsstab sich für den Winter hinreichend verprovian- tirt hatte. So hatte Gnaeus Scipio, als er im Pothal comman- dirte, die defensive Haltung nicht verstanden und der Versuch seines Nachfolgers bei Casilinum ihm nachzuahmen war auf eine Weise gescheitert, die den städtischen Spottvögeln reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswerth, daſs die italischen Ge- meinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegen- heit der Punier, die Nichtigkeit der römischen Hülfe so fühl- bar darthat; allein wie lange konnte man ihnen zumuthen die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der römischen Truppen und ihrer eigenen Contingente aus- plündern zu lassen? Endlich was das römische Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, daſs es den Feldherrn zu dieser Kriegführung nöthigte; es bestand nicht aus rohen Rekruten, 27*
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HANNIBALISCHER KRIEG.
schwierige Operation den Winterbedarf des Heeres durch die-
ses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu lassen.
Die weite völlig flache apulische Ebene, die Getreide und
Gras in Ueberfluſs darbot und von seiner überlegenen Reiterei
gänzlich beherrscht werden konnte, hatte er hiezu sich aus-
ersehen. Bei Gerunium 25 Miglien nördlich von Luceria ward
ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des
Heeres täglich zum Einbringen der Vorräthe ausgesendet wur-
den, während Hannibal mit dem Rest Stellung nahm um das
Lager und die ausgesendeten Detachements zu decken. Das
römische Heer, das damals in Abwesenheit des Dictators sein
Unterfeldherr Marcus Minucius befehligte, rückte an den Feind
heran und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, wo es
theils durch seine bloſse Anwesenheit die Detachirungen und
dadurch die Verproviantirung des feindlichen Heeres hinderte,
theils in einer Reihe glücklicher Gefechte, die es gegen einzelne
punische Abtheilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestand,
die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdrängte und
sie nöthigte sich bei Gerunium zu concentriren. Auf die Nach-
richt von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung
nicht verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus
Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es
war sich römischer Seits vertheidigend zu verhalten und den
Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel des Fein-
des zu erwarten, so war es doch ein seltsames Vertheidigungs-
und Aushungerungssystem, bei welchem der Feind unter den
Augen einer an Zahl gleichen römischen Armee ganz Mittelitalien
ungehindert verwüstet und durch eine geordnete Fouragirung im
gröſsten Maſsstab sich für den Winter hinreichend verprovian-
tirt hatte. So hatte Gnaeus Scipio, als er im Pothal comman-
dirte, die defensive Haltung nicht verstanden und der Versuch
seines Nachfolgers bei Casilinum ihm nachzuahmen war auf eine
Weise gescheitert, die den städtischen Spottvögeln reichlichen
Stoff gab. Es war bewundernswerth, daſs die italischen Ge-
meinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegen-
heit der Punier, die Nichtigkeit der römischen Hülfe so fühl-
bar darthat; allein wie lange konnte man ihnen zumuthen
die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen
der römischen Truppen und ihrer eigenen Contingente aus-
plündern zu lassen? Endlich was das römische Heer anlangte,
so konnte man nicht sagen, daſs es den Feldherrn zu dieser
Kriegführung nöthigte; es bestand nicht aus rohen Rekruten,
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